Preisdumping gefährdet Tierwohl

Elisabeth Köstinger kritisiert zu frühe Pensionen bei Frauen.
EU-Parlamentarierin und Bauernvertreterin Elisabeth Köstinger kritisiert den Handel.

Die Bauern fühlen sich mehr denn je unter Druck. Der KURIER sprach darüber mit der Lebensmittelsprecherin der EVP-Fraktion in Brüssel und befragte sie auch zum heißen Eisen Frauenpension.

KURIER: Nirgendwo sonst sind Frauen so lang in Pension wie hierzulande. Ihre Meinung dazu?

Elisabeth Köstinger: Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Arbeit ist nicht nur Strafe und das frühere Antrittsalter keine Errungenschaft, sondern eher eine Benachteiligung. Das wirkt sich negativ auf die Pensionshöhe aus.

Kann man denn den jetzt über fünfzigjährigen Frauen sagen: Ihr müsst länger arbeiten?

Die Übergangsregelungen für die Angleichung ans Männerpensionsalter müssten früher greifen. Härtefälle darf es aber nicht geben. Jeder sieht, dass es so nicht weitergehen kann. Wir gewinnen statistisch jedes Jahr rund 70 Tage an gesunder Lebenserwartung dazu. Alle, die in Pension gehen, müssten eigentlich um diese 70 Tage länger arbeiten. Auch die Wirtschaft muss in die Pflicht genommen werden, damit Frauen in diesem Alter noch arbeiten können.

Sollten Frauen, die Kinder haben, noch eine Zeit lang früher in Pension gehen dürfen?

Das wird nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Was sagen Sie als Agrarvertreterin zum Milchpreisverfall um 25 Prozent seit dem Auslaufen der Milchquote?

Wenn der Preis derartig massiv verfällt, muss die Politik handeln. Österreich steht zu einer klein strukturierten Landwirtschaft. Mit 30 Cent produzieren die Milchbauern mit Verlust. Die Zukunft von 30.000 österreichischen Milchbauern ist in Gefahr. Dafür gibt es eine Art Sicherheitsnetz auf europäischer Ebene: Wenn der Milchpreis unter den sogenannten Interventionspreis fällt, werden Milchpulver und Butter von der Kommission aufgekauft und auf Lager gelegt, damit sich der Preis erholt. Der Markt wird also entlastet.

Warum ist der Preis gefallen?

Aus unterschiedlichsten Gründen: Der Wegfall der Milchquote seit 1. April hat die Milchmenge nur um 0,3 Prozent gesteigert. Auch das Embargo Russlands spielt eine Rolle. Aber schon davor sind nur vier Prozent der Milchmenge nach Russland gegangen. Zum Teil sind Exportmärkte in Asien nicht so gut gewachsen wie erwartet.

Wobei Milch in China gerade einen Boom erlebt.

China ist ein schwieriger Markt, und Österreich tut sich schwer, so große Mengen zu liefern. Und natürlich ist der Handel ein Faktor ...

.... der oft auf den "Preishammer" setzt.

Der Handel nutzt jede Gelegenheit für Preissenkung.

Der Handel setzt auf bio, regional, vegan: Profitieren auch die Bauern von solchen Trends?

Die österreichische Naturwirtschaft ist für alle da. Konsumenten sollten noch mehr darauf schauen, woher ein Lebensmittel kommt und wie es hergestellt wurde. Aber den Bauern nutzt diese Bewusstseinsbildung wenig. Wir produzieren auf höchstem Qualitätsniveau. Der Handel weigert sich aber, das abzugelten.

Der Konsument zahlt für solche Produkte mehr.

Es wäre fair, wenn der Handel diesen Österreich-Aufschlag auch einmal den heimischen Bäuerinnen und Bauern weitergeben würde. Die Lage vieler Milchbauern ist prekär. Mit diesem Erzeugerpreis kann nicht kostendeckend gentechnikfrei, regional, bio und Heumilch produziert werden. Rewe führt übrigens gerade Verhandlungen mit dem deutschen Bio-Konzern Alnatura. Der kann aufgrund seiner Größe niedrigere Preise bieten, was heimische Biobauern massiv unter Druck bringen wird. Das finde ich sehr bedenklich. Der Kunde schätzt Regionalität, geringe Transportwege und die Partnerschaft mit der österreichischen Landwirtschaft, was der Handel ja auch stark bewirbt.

Ist Fleisch im Laden zu billig?

Ja. Bei Schweinefleisch beträgt der Aktionsanteil 48 Prozent. Aber Preisdumping und Tierwohl passen nicht zusammen. Wir konkurrieren im Binnenmarkt: Ist das österreichische Fleisch teurer, bleibt es oft im Regal liegen. Dabei ist der Fleischpreis im Vergleich zu früheren Jahren unglaublich niedrig. Jeder Konsument unterzeichnet schnell eine Petition für mehr Tierwohl, ist dann aber oft nicht bereit, mehr zu bezahlen.

Ist Gentechnikfreiheit eine Chance für österreichische Produkte am Weltmarkt – auch in den USA, wo bio im Trend liegt?

Ich glaube schon, dass wir Exportmärkte noch stärker bedienen und dafür Partner auf Augenhöhe suchen müssen. Das, was in der Vergangenheit oft geschehen ist, darf nicht mehr passieren: Dass man Entwicklungsländer mit billigen Produkten überschwemmt.

Wie sehen Sie die österreichische TTIP-Debatte?

Sie ist unsachlich geworden. Europa ist der stärkere Partner. Wir haben 500 Millionen Einwohner, die USA nur 300 Millionen. Wir gestalten die Regeln: Europas hohe Standards im Gesundheits- und Umweltbereich sind für mich unverhandelbar. Kanzler Werner Faymann hat beschleunigten Verhandlungen im Rat zugestimmt. Aber am Heimweg von Brüssel vergisst man anscheinend oft, wo man zugestimmt hat.

Zur Person:

Die gebürtige Kärntnerin (37) sitzt seit sechs Jahren für Österreich im Europaparlament und ist dort für Landwirtschaft zuständig. Sie ist Vizepräsidentin des Bauernbundes, Präsidentin des Ökosozialen Forums Europa und seit 2014 stellvertretende Bundesparteiobfrau der ÖVP.

Fakten

Im März wurde nach 30 Jahren die Milchquote abgeschafft. Sie war eingeführt worden, um die Milchüberschüsse und „Butterberge“ in der EU einzudämmen. Seit der Abschaffung verfällt der Erzeugerpreis für die Bauern. Diese Woche fand dazu in Tirol ein Krisengipfel heimischer Agrar-Spitzenvertreter statt.

Österreichs Bauern sind keine Riesenunternehmer wie etwa die deutschen. Das wird mit EU-Förderungen gestützt, denn damit wird teurer produziert. Besonders bei Fleisch bemerken das die Kunden nicht, weil hier viel über Aktionsware verkauft wird: bei Schweinefleisch fast die Hälfte.

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