Piketty-Mania: So ungerecht ist die Welt

Thomas Piketty, Ökonom mit Popstar-Status, beim Vortrag in Wien.
Starökonom in Wien. Eine globale Vermögenssteuer, ausgehend von Österreich: "Warum nicht?".

Sicherheitskräfte, Absperrungen, Zählkarten und eine Live-Übertragung via Vidiwall. Bei der Wiener Arbeiterkammer herrschte am Freitagnachmittag akuter Popstar-Alarm. Angekündigt hatte sich allerdings kein Teenie-Idol, sondern der jüngste Star der Ökonomenzunft: Thomas Piketty (43), Professor an der Paris School of Economics. Gleich 1000 Interessierte drängten sich in zwei Sälen, um den Vortrag des Bestsellerautors ("Capital in the 21st Century") zu hören. "Ich hätte die Karten teuer auf dem Schwarzmarkt verkaufen können", flüstert eine AK-Mitarbeiterin – was natürlich als Scherz gemeint ist.

Piketty versprüht eher Sympathie als Charisma. Salopp gekleidet, bubihaft, sein Englisch mit einem starken Akzent gefärbt. Das alles erklärt nicht den riesigen Hype.

Mittelstand steckt fest

Es sind die bestechend simplen Antworten auf komplizierte Fragen, die den 685-Seiten-Wälzer zum Megaseller machten (deutsche Übersetzung folgt erst im Herbst). Mit einer Datenbank, die viele Länder und Jahrhunderte umfasst, weist Piketty nach, dass der Ertrag, den Vermögen abwerfen, auf Dauer das Wachstum der Wirtschaft übersteigt. Die Reichen und ihre Erben sicherten sich so ein immer größeres Stück vom Kuchen. Und es leide das Wachstum und die Stabilität des Finanzsystems.

Die These, einfach formuliert: Arme Menschen können gar nicht anders, als ihr Geld auszugeben. Reiche tragen es ins Finanzkasino. Und die Einkommen des Mittelstandes (der mittleren 40 Prozent) würden seit 1980 stagnieren. Zur Behebung der Schieflage schlägt Piketty vor: Von den Top-Einkommen sollen gleich 80 Prozent an den Staat fließen. Und eine globale Steuer soll bei Vermögen bis eine Million Euro mit 0,1 bis 0,5 Prozent, ab einigen Hundert Millionen sogar mit 5 bis 10 Prozent zuschlagen. Das ist global zwar eine Utopie, aber einzelne Staaten könnten anfangen, sagte Piketty vor Journalisten – der perfekte Werbeträger für die laufende Vermögenssteuer-Kampagne von ÖGB und AK.

Dass er oft der "junge Karl Marx" genannt wird, habe ihn selbst verblüfft, verrät Piketty dem KURIER. Nein, er sei weder Marxist, noch ist sein Buchtitel als Anspielung auf "Das Kapital" gedacht. Aber wenn es hilft, Debatten anzustoßen, sei ihm das recht. Ist er selbst reich? "Ich habe immer zu einer bevorzugten Minderheit gehört, mir fehlt es an nichts." Und ja, als Franzose zahle er hohe Steuern. Gerne noch mehr.

AK holt sich Schützenhilfe

Eingeladen wurde der Shootingstar von der AK vor allem aus einem Grund: "Mit seinem Besuch wollen wir der Stimme für Verteilungsgerechtigkeit noch mehr Gehör verschaffen", sagt der Präsident der Wiener AK, Rudi Kaske. Dass Thomas Piketty mit seiner Forderung nach einer Vermögenssteuer einen Nerv getroffen hat, zeigte der gut gefüllte Saal im Bildungszentrum der AK. Rund 500 Menschen – darunter auch viele Jugendliche – lauschten den Ausführungen des Starökonomen. In einem benachbarten Gebäude wurde sogar eine Videoübertragung eingerichtet – denn der Saal hätte laut Angaben der Veranstalter mehrmals gefüllt werden können.

Inhaltlich orientierte sich der Vortrag naturgemäß an seinem Bestseller. Piketty illustrierte die globale Verteilungsungerechtigkeit anhand großer Volkswirtschaften wie jener der USA, Deutschland oder seiner Heimat Frankreich. Die Hauptannahme des Werks, dass die Reichen immer mehr Kapital aggregieren, gründet dabei auf Erhebungen, die bis Christi Geburt zurückreichen. Erstaunlicherweise ist dieser Fall gerade im 20. Jahrhundert – über das es die meisten und zuverlässigsten Daten gibt – nicht eingetreten. Im Gegenteil: Der Gesamtbesitz des reichsten Prozents der Bevölkerung hat sogar merklich abgenommen. Piketty führt diese Entwicklung darauf zurück, dass die beiden Weltkriege, die Entkolonialisierung und die Schaffung von Wohlfahrtsstaaten diese Entwicklung vorübergehend ausgesetzt hätten. Für die Zukunft prognostiziert er wieder einen Umkehrschwung – der nur durch (globale) Vermögenssteuern verhindert werden könne.

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