Piatnik-Chef: „Wir sind verspielt wie nie zuvor“
Heute, Montag, hätte Ferdinand Piatnik, Gründer des gleichnamigen Wiener Spieleherstellers, seinen 200. Geburtstag gefeiert. Seine Nachfahren sind der Branche treu geblieben. Allen Unkenrufen zum Trotz. „Das Gerede vom Ende des Brettspiels verfolgt mich schon mein ganzes Leben. Ich habe Zeitungsartikel aus den 1970er-Jahren, in denen schon von einem Revival des Brettspiels die Rede ist“ sagt Dieter Strehl, Ur-Ur-Enkel des Firmengründers.
In Wirklichkeit sei die Branche aber nie in der Krise gewesen, schon gar nicht jetzt. „Die Menschen sind verspielt wie nie zuvor, schauen Sie nur, wie alle auf dem Handy hin- und herwischen.“
3.000 Neuerscheinungen
Die Lust am Spielen würden auch die Branchenzahlen belegen: „Als ich vor 35 Jahren begonnen habe, gab es im deutschsprachigen Raum etwa zehn Spieleverlage, die um die 170 Spiele im Jahr herausgebracht haben. Jetzt reden wir von 70 Verlagen mit rund 3.000 Neuerscheinungen im Jahr.“ Wobei die Klassiker – wie Activity aus dem Hause Piatnik – nicht an Beliebtheit verlieren. „Wir haben das Spiel seit seiner Einführung 1990 schon zehn Millionen Mal verkauft und die Verkaufszahlen steigen weiter. Wohl auch, weil viele lieber einen Klassiker spielen als die Anleitung eines neuen Strategiespiels zu lesen.“
Ein wichtiges Marketingtool für die Branche sind laut Strehle Messen, die nach wie vor Zulauf haben. „Wir nehmen jährlich an 13 Messen teil, acht in Deutschland, fünf in Österreich. Allein zur Spielemesse nach Essen kommen 200.000 Besucher.“
Am Produktionsstandort Österreich, der 75 Mitarbeiter beschäftigt, hält Strehle fest. „Im Grunde arbeiten wir wie Porsche, kaufen diverse Dinge wie alles aus Holz und Kunststoff zu. Allerdings so gut es geht aus Europa.“ Alles, was aus Karton und Papier gemacht wird, kommt aber nach wie vor aus der hauseigenen Produktion. Dies werde auch in Zukunft so bleiben.
Weg vom Smartphone
Spielehändler bestätigen einen Trend zurück zu den klassischen Brett- und Kartenspielen. „Eltern versuchen, ihre Kinder vom Smartphone wegzukriegen. Da ist tatsächlich wieder ein Umdenken da“, sagt Heidemarie Heinz vom gleichnamigen Familienunternehmen Spielwaren Heinz. Gefragt seien vor allem Gesellschaftsspiele, auch bei Studenten stehe der klassische Spieleabend wieder hoch im Kurs. Sie selbst spiele mit ihren Kindern am liebsten Karten.
Steigende Umsätze
In Deutschland lässt sich der Trend in Zahlen ablesen. Dort erzielte die Kategorie Familienbrett- und Aktionsspiele im Vorjahr ein Wachstum von 18 Prozent. Bei Würfel- und Wortspielen gab es ein Plus von zehn Prozent. Für Österreich gibt es keine konkreten Zahlen. Laut Johannes Schüssler, Branchensprecher des Spielwarenhandels in der Wirtschaftskammer, entfallen 20 bis 25 Prozent des klassischen Spieleumsatzes auf Brett- und Kartenspiele. Diese hätten den Vorteil, altersunabhängig zu sein. Eine wachsende Zielgruppe sei die Generation 50plus. So verkaufe er das Öko-Bausteine-Stapel-Spiel „Bioblo“ an Seniorenheime ebenso häufig wie an Kinderheime. Auch Brettspiele mit größeren Figuren werden stärker nachgefragt.
Der größte deutsche Spiele-Hersteller Ravensburger konnte im Vorjahr den Umsatz um 4,3 Prozent auf 491 Mio. Euro steigern und setzt nach dem Vorbild von Lego vermehrt auf eigene Shops. Für Schüssler ein gutes Zeichen. „Das zeigt, dass der stationäre Handel noch lange nicht tot ist.“
Psychologe: Kinder erproben im Spiel das Leben der Welt
Gesellschaftsspiele haben ihren besonderen Reiz.Luise Hollerer vom Berufsverband der Psychologen hat eine Erklärung, warum Brett- und Kartenspiele boomen: „Sie sind eine Möglichkeit, Gemeinschaft zu erleben – und zwar in einem vordefinierten Rahmen: Es gibt Regeln, Anfang und Ende sind fix, und man muss nicht alles selbst erfinden.“
Das schätzen Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Gerade für Kinder sei das Gesellschaftsspiel aber noch viel mehr. „Kinder erproben im Spiel das Leben der Welt. Sie lernen etwa die Emotionen anderer zu ,lesen’ und auch die eigenen Gefühle kennen: Zorn, Freude, Ärger, Wut – ein Spiel kann allerhand Reaktionen hervorrufen.“
Sie lernen sie nicht nur kennen, sondern auch, wie man mit ihnen umgeht. Was passiert, wenn Kinder nicht spielen dürfen, hat der amerikanische Psychologe Stuart Brown untersucht, indem er 8.000 Strafgefangene analysiert hat: „Sie lernten weder die eigenen Grenzen kennen, noch die der anderen: Sie werden zu schweren sozialen Außenseitern.“
Laut Hollerer ist es gerade deshalb so wichtig, dass Erwachsene das Kind beim Spiel begleiten: „Es muss dann einmal aushalten, dass der Gewinner seinen Sieg weidlich auslebt und hämisch lacht. Das ist zwar nicht lustig, aber ein sehr gutes Training in sozialer Kompetenz.“
Vorteil Spielbrett
Beim Computerspielen sei das Kind hingegen alleine mit sich, was auch in anderer Hinsicht problematisch ist: „Da bin ich alleine für den Fortschritt verantwortlich und muss mich mit niemand anderem auseinandersetzen. Und es heißt dann auch einmal ‚Bitte warten‘. Wenn ich beim ‚Mensch ärgere dich nicht‘ verloren habe, kann ich nicht sofort eine Revanche einordnen, sondern muss vielleicht ein paar Tage warten. Diese Frustrationstoleranz ist ein Lernprozess.“
Auch das Einhalten von Regeln ist etwas, was wir Menschen erst so nach und nach lernen – und das im Spiel auch noch lustvoll. Wobei man diese Regeln auch dem Alter eines Kindes anpassen kann, was gerade bei einem Computerspiel nicht so einfach geht. „Und man kann Regeln immer wieder neu ausverhandeln – eine Fähigkeit, die ich mein Leben lang brauche.“
Traditionshaus
Der gelernte Kartenmaler Ferdinand Piatnik (geb. 1819), begann in der 1824 gegründeten Kartenmalerie im 7. Bezirk, die er später übernahm und in „Wiener Spielkartenfabrik Ferd. Piatnik & Söhne“ umbenannte.
Piatnik schuf u.a. die „Doppeldeutschen“ Spielkarten mit Figuren aus Schillers „Wilhelm Tell“, das österreichische Tarockblatt sowie viele Joker- und Rummy-Karten.
Spieleklassiker
1891 wurde auf moderne Industrieproduktion umgestellt und der Firmensitz in die Hütteldorfer Straße nach Penzing verlegt.
Seit 1956 gibt es Brettspiele von Piatnik, seit 1966 auch Puzzles. Später kamen Klassiker wie DKT, Activity oder Tick Tack Bumm dazu.
Piatnik beschäftigt 150 Mitarbeiter, die Hälfte davon in der Produktion.
Kommentare