Pfusch blüht wie seit 20 Jahren nicht mehr
Auch wenn die Friseure seit Wochen geschlossen sind, sieht man im Straßenbild auffällig viele Menschen mit auffällig gut sitzenden Frisuren. Kein Wunder, findet auch Friedrich Schneider. Schließlich blüht der Pfusch wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Laut den Berechnungen des Linzer Wirtschaftsforschers haben die Österreicher im Vorjahr knapp 27 Milliarden Euro an der Steuer vorbeiverdient – und damit um zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Viel mehr geht offensichtlich nicht mehr. Denn Schneider rechnet heuer mit einem weiteren Zuwachs von lediglich einem Prozentpunkt.
Aber woher will man eigentlich wissen, wie viel die Leute schwarz verdienen, wenn es dazu naturgemäß keine Aufzeichnungen gibt?
Im Grunde durch Schätzungen. Vereinfacht gesagt, schaut sich Schneider an, wie viel Geld Private in bar ausgeben und für welchen Teil davon es keine Rechnungen gibt. Anders formuliert: Er schaut sich den Bargeldbestand außerhalb des Bankensektors sowie diverse andere Indikatoren an. „Wenn die Arbeitslosenquote steigt und die Leute plötzlich mehr Bargeld brauchen, ist das einer von vielen Indikatoren für Schwarzarbeit.“
1,5 Millionen Pfuscher
Die Erkenntnis, dass in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit und sinkender Einkommen (Stichwort Kurzarbeit) der Pfusch floriert, leuchtet jedem Laien ein. Normalerweise arbeiten zu Spitzenzeiten bis zu 1,1 Millionen Menschen in Österreich schwarz, derzeit sollen es gut 1,5 Millionen sein. Und das ist für die Wirtschaft nicht nur schlecht.
„80 Prozent der Einnahmen fließen sofort zurück in den Wirtschaftskreislauf“, sagt Schneider. In normalen Zeiten sind es laut seinen Berechnungen übrigens lediglich 60 Prozent. Anders formuliert: Das Geld wird jetzt für das alltägliche Leben gebraucht, fließt sofort in den nächsten Einkauf oder die Bezahlung der Miete. Schneider: „Damit dient der Pfusch auch zur Abfederung der Rezession.“
Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Staat und den Sozialversicherungsträgern Milliarden entgehen. Laut Schneider bis zu 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Wobei sich die Steuerverluste in Grenzen halten würden, da das schwarz verdiente Geld eben letztlich auch die offizielle Wirtschaft ankurbelt.
Musterschüler am Papier
In Österreich wird übrigens offiziell so wenig gepfuscht wie in kaum einem anderen Land. Der Anteil der Schwarzarbeit liegt laut Statistik bei 6,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit weit unter dem EU-Durchschnitt von 18 Prozent. Am meisten Schwarzarbeiter sind demnach in Bulgarien (32,4 Prozent), Rumänien und Kroatien (rund 29 Prozent) am Werk. So gesehen ist die Bilanz der Österreicher vorbildhaft, zumindest auf dem Papier.
Nachbarschaftshilfe
Fragt man genauer nach, stellt sich heraus, dass der Grund für die Musterschüler-Rolle relativ banal ist. In Österreich fließt beim Pfusch relativ wenig Geld. Das Motto lautet oft „eine Hand wäscht die andere“. Haarschnitt gegen Autoreparatur. Maurer- gegen Tischlerarbeit. In anderen Ländern ist es dagegen viel üblicher, den Nachbarn für seine Dienste Bargeld in die Hand zu drücken – und dieses Geld fließt dann in die Statistik ein und treibt damit die Pfusch-Quote nach oben. Ein Phänomen, das man zuletzt auch in Österreich gesehen hat: Nachbarschaftshilfe gab es zuletzt verstärkt gegen Bares, sagt Schneider.
Historisch gesehen ist in Österreich das Schwarzarbeitsvolumen seit 2005 bis zum Ausbruch der Pandemie mehr oder weniger kontinuierlich gesunken. Ein Drittel der Pfuscher sind im Baugewerbe und im Handwerk unterwegs. Schneider: „Ohne Schwarzarbeit gäbe es viele Häuser und Eigenheime gar nicht.“ Mit den ersten Lockerungen im Lockdown wird auch der Pfusch wieder mehr in Schwung kommen, sagt der Experte. „Im strengen Lockdown wird kaum gepfuscht, auch weil viele sehr neugierige Nachbarn haben.“
Kommentare