Österreichische Webshops schließen viele Nutzer aus
Zusammenfassung
- 98 von 100 österreichischen Unternehmens-Websites erfüllen die gesetzlichen Barrierefreiheitsanforderungen nicht, obwohl sie dazu verpflichtet wären.
- Häufige Mängel sind fehlende Alternativtexte, geringe Kontraste und nicht bedienbare Navigationen.
- Erste Verfahren gegen Unternehmen sind anhängig.
Unzureichende Kontraste, nicht bedienbare Navigationen, fehlende Untertitel bei Videos oder keine Alternativtexte bei Bildern. 98 von 100 Websites österreichischer Unternehmen erfüllen die gesetzlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht, obwohl viele von ihnen das eigentlich müssten. Die Unternehmensberater von EY und die Firma Risikomonitor, die untersucht haben, wie barrierefrei heimische Websites sind, orten bei heimischen Firmen Handlungsbedarf.
Denn seit mehr als einem Monat sind die Websites österreichischer Unternehmen, die mehr als zehn Beschäftigte haben oder mehr als zwei Millionen Euro Jahresumsatz oder Bilanzsumme aufweisen, dazu verpflichtet, Barrieren für den Zugang zu ihren Websites für Menschen mit Behinderung zu beseitigen. Zwar gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen. Insgesamt sind es hierzulande dennoch mehr als 70.000 Firmen, für die Vorgaben im Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) gelten.
Sie umfassen neben Alternativ- und Untertiteln etwa auch Text-zu-Sprache-Funktionalität, Möglichkeiten zur Kontrasterhöhung oder zur Bedienbarkeit der Website mittels Tastatur. Firmen, die sich nicht daran halten, müssen mit Verwaltungsstrafen von bis zu 80.000 Euro rechnen. Bei besonders schweren Verstößen ist auch die Abschaltung möglich.
Zahlreiche Missstände
4,42 Verstöße gegen die Barrierefreiheit wurden bei der Untersuchung im Schnitt auf den Startseiten heimischer Online-Shops und Websites festgestellt. Die meisten weisen mehr als fünf kritische Missstände auf. Als Missstand gilt, wenn blinde oder taube Menschen oder Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen Probleme haben, die Inhalte der Website zu erfassen.
Am häufigsten fehlen alternative Texte für Bilder, sagt Jasmin Löw-Beer von Risikomonitor. „Das hat fast niemand.“ Ebenfalls sehr häufig sind geringe Kontraste oder fehlende Untertitel bei Videos. Bei jüngeren Unternehmen sind die Fehlerquoten deutlich geringer. Risikomonitor bietet einen kostenlosen Test für die Zugänglichkeit und Barrierefreiheit von Startseiten an.
"Know-how dünn gesät"
Sowohl bei Website-Entwicklern als auch bei Firmen sei das Know-how in Bezug auf die Barrierefreiheit dünn gesät, meint Horst Schalk, dessen Firma Smarda ein Baukastensystem für barrierefreie Websites anbietet. Das liege auch daran, dass für unbeeinträchtigte Nutzer nicht unbedingt erkennbar sei, was notwendig ist, um Websites barrierefrei zu machen. So müssten etwa Buttons oder Schaltflächen mit Texten hinterlegt werden, damit sie für blinde oder sehbeeinträchtigte Nutzer vorgelesen werden können.
In Österreich leben knapp 760.000 Menschen mit einer Form von Behinderung. Der Großteil davon ist älter als 55 Jahre. Digitale Barrierefreiheit könne zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden, sagt Anja Heinrich-Huber, die bei EY für den Bereich zuständig ist. Wer Vorgaben zur Barrierefreiheit nicht befolge, schließe große Teile der Bevölkerung als Kunden aus.
Die gesetzlichen Regelungen gelten aber nicht nur für Websites, sondern auch für Laptops, Handys, Smartwatches, E-Reader, aber auch für Geld- und Ticketautomaten.
Erste Verfahren
Laut dem für das Barrierefreiheitsgesetz zuständigen Sozialministerium wurden bereits erste Verfahren eingeleitet. Aktuell seien 42 anhängig, teilt eine Sprecherin mit. Sie betreffen überwiegend Unternehmen aus dem Finanz- und Versicherungssektor. Die betroffenen Firmen seien zur Begründung etwaiger Verzögerungen bei der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen aufgefordert worden. Abhängig von den Antworten sollen die Online-Anwendungen einer umfassenden Überprüfung unterzogen werden, heißt es. Die Unternehmen würden sich bisher kooperativ und bemüht zeigen: Es gelte der Grundsatz „Beraten vor Strafen“.
In Österreich fungiert das oberösterreichische Sozialministeriumsservice als zuständige Marktüberwachungsstelle. Nutzer können dort Hinweise auf Missstände bei der Barrierefreiheit von Dienstleistungen und Produkten hinterlassen.
Barrierefreiheit werde oft als Belastung gesehen, sagt Experte Schalk. Wenn man sich an die Auflagen halte, beseitige man aber auch Hürden für unbeeinträchtigte Nutzer. Denn von Maßnahmen, die das einfache Verständnis von Inhalten fördern, etwa stärkere Kontraste oder größere Schriften, profitieren auch sie.
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