"Teure Energie erdrückt Europa"

A pressure gauge is seen at a Gaz-System gas compressor station in Rembelszczyzna outside Warsaw in this October 13, 2010 file photo. Beginning in 2014, Warsaw wants to tap an estimated 5.3 trillion cubic metres of recoverable reserves of gas - enough, according to the U.S. Energy Information Administration, to supply Poland with more than 300 years of its domestic energy needs. But the shale gas push is about more than energy. Poland wants to break its reliance on Russian energy and reduce Moscow's power over Europe. That is one reason why Warsaw has welcomed U.S. oil majors such as Chevron, Exxon Mobil, Conoco and Marathon, even though it risks igniting tensions with Russia. To match Insight POLAND-SHALEGAS/ REUTERS/Kacper Pempel/Files (POLAND - Tags: ENERGY POLITICS BUSINESS)
Der Chefvolkswirt der Internationalen Energieagentur hält die Produktion für ökologisch machbar.

Schiefergas ist zum Reizwort für Umweltschützer geworden. Sie befürchten durch die Förderung dieses in tief liegenden Gesteinsschichten lagernden Gases – „im Fachjargon „Fracking“ genannt – eine Verseuchung des Trinkwassers und massive Umweltschäden. Die Energiekonzerne in den meisten europäischen Staaten, darunter auch die österreichische OMV, haben ihre Pläne zur Schiefergas-Produktion daher auf Eis gelegt. Der renommierte internationale Energieexperte Fatih Birol, Chef-Ökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, spricht im KURIER-Interview über die Gefahren des Stopps beim Schiefergas und erklärt, wie man den Sorgen über Schäden für die Umwelt begegnen sollte.

KURIER: Herr Birol. Die meisten europäischen Staaten wollen wegen befürchteter Umweltschäden Schiefergas nicht fördern. Ist das ein kluger Schachzug?

Fatih Birol: Das ist sehr problematisch. Denn Erdgas ist in Europa sehr teuer. Viele energieintensive Unternehmen wie die voestalpine oder die deutsche BASF bauen ihre neuen Fabriken bereits außerhalb Europas. Die teure Energie erdrückt die Wirtschaft.

Würde Schiefergas den Energiepreis tatsächlich stark drücken?Da brauchen Sie nur in die USA zu schauen. Dort wird Schiefergas in großem Ausmaß produziert. Der Gaspreis liegt bei einem Fünftel Europas. Das ist ein sehr starker Wettbewerbsvorteil für die US-Unternehmen – vor allem für die Stahl-, Zement-, Aluminium- und Petrochemie-Industrie.

Europa würde ohne Schiefergas also wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten?

Alle Staaten, die auf die Produktion von Schiefergas setzen, erleben einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das sind nicht nur die USA. Auch Argentinien, Kanada, Australien und China.

Umweltschützer aber sind höchst besorgt. Sie befürchten durch die Schiefergas-Förderung eine Zerstörung der Umwelt und eine Gefährdung des Trinkwassers. Sind diese Sorgen übertrieben?

Das sind berechtigte Sorgen, die wir ernst nehmen müssen. Aber: Wir können die Probleme mit der bestehenden Technologie lösen. Wir müssen gar nichts Neues erfinden.

Haben die Regierungen und die Energiekonzerne die Bevölkerung also schlecht informiert?

"Teure Energie erdrückt Europa"
International Energy Agency (IEA) Chief Economist Fatih Birol speaks during a news conference after the opening of the International Energy and Environment Fair and Conference in Istanbul May 12, 2010. The effects of the Greek debt crisis will cut European gas and oil demand, possibly causing gas demand to fall below current levels not seen since 1999, Birol said. To match Interview IEA/BIROL REUTERS/ Osman Orsal (TURKEY - Tags: ENERGY HEADSHOT BUSINESS)
Wenn es um mögliche Verseuchung des Trinkwassers oder um einen möglichen Gasaustritt geht, sind die Menschen natürlich alarmiert. Ich rate den Staaten dringend, dass sie strenge und klare Regeln für Schiefergas aufstellen, damit dieses ökologisch verträglich produziert werden kann. Dafür gibt es Vorbilder. Australien macht das so wie einige US-Bundesstaaten. Diese „Best Practice“-Modelle sollten sich die Europäer anschauen.

In Österreich dürfte sogar das schwierig werden. Die Front der Gegner ist stark ...

Das ist ähnlich wie in Deutschland oder Frankreich. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn die Regierungen Schiefergas außer Acht lassen. Das wird für die wirtschaftliche Entwicklung schlecht sein. Man sollte Schiefergas-Projekte vorbereiten. Wenn man damit jetzt beginnt, startet die Förderung in fünf bis sechs Jahren. Dann sollte sich die Wirtschaft erholt haben und die Nachfrage nach Gas wieder steigen. Ohne Schiefergas wird es dann sehr teuer.

Manche Experten meinen, dass Schiefergas in Europa viel schwieriger zu fördern sei als in den USA und daher bei Weitem nicht so billig sei...Die geologische Beschaffenheit des Bodens in Europa ist tatsächlich anders als in den USA. Das Schiefergas liegt viel tiefer unter der Erdoberfläche. Die Förderung wird daher teurer als in den USA sein, aber auf jeden Fall billiger sein als das Erdgas, das wir jetzt von den großen Förderländern kaufen. Schiefergas hat aber einen zusätzlich wichtigen Vorteil: Es wird im Inland produziert, es schafft daher Jobs und inländische Wertschöpfung.

Würde Schiefergas den Bau der Erdgaspipeline Nabucco überflüssig machen?

Ich möchte nicht über einzelne Pipeline-Projekte sprechen. Sicher ist aber, dass Schiefergas den globalen Erdgasmarkt verändert. Länder, die früher Importeure waren, werden Gas exportieren. Der Wettbewerb zwischen den Pipeline-Projekten wird daher schärfer. Es wird sich jenes durchsetzen, das am wirtschaftlichsten ist, nicht jenes, das nur aus politischen Gründen favorisiert wird.

Univ.-Prof. Gerhard Thonhauser, der einen Lehrstuhl für Tiefbohrtechnik auf der Montanuniversität Leoben hat, gilt als der Experte in Österreich für Schiefergas. Der Versuch der OMV, in Österreich durch „Fracking“, dem Aufbrechen des Schiefers, Erdgas zu fördern, ging bekanntlich schief. Zum einen, weil die OMV ihren Versuch nicht in einer traditionellen Erdgas- oder Erdölgemeinde im niederösterreichischen Weinviertel durchführen wollte, sondern die bohrtechnisch „jungfräuliche“ Weinbaugemeinde Herrnbaumgarten bei Poysdorf anbohren wollte. Sofort regte sich dort der Widerstand der Bevölkerung, der durch erfahrene Umweltaktivisten aus der Region unterstützt wurde. Ergebnis: UVP.

Ursprünglich wollte Thonhauser mit einer Emulsion aus Wasser, Stärke und Sand das gashaltige Schiefergestein aufspalten, also „fracken“. Davon soll jetzt abgegangen werden. Thonhauser: „Für die OMV ist das Thema nicht beendet. Wir arbeiten jetzt an der Entwicklung einer Technik, die ohne Wasser auskommt. Wir denken an den Einsatz von flüssigem Gas, Propan, das durch Zusätze unbrennbar gemacht wurde.“ Propan kommt in diesen Gesteinsschichten ohnehin vor. Ausprobiert wird diese Technik aber nicht in Österreich, weil durch die UVP zu teuer.

Die OMV werde langfristig nicht Gasgroßhändler, sondern Gas-Produzent sein, meint OMV-Chef Gerhard Roiss. Er will eigenes Gas aus dem Schwarzen Meer nach Europa bringen. Darüber hinaus komme in 15 EU-Staaten Schiefergas vor – und da würden die Fronten „Schritt für Schritt aufbrechen“.

Momentan ist der Marktpreis in Europa durch billiges US-Schiefergas unter Druck. Gas verdränge dort Kohle, damit würden in Europa Kohlekraftwerke betrieben, und die europäischen Gaskraftwerke stünden still, so Roiss in einem APA-Interview. Dennoch meint er: „Gas wird wettbewerbsfähig sein, aber das dauert“. Er setzt auch auf Brennstoffzellen-Autos. Bei einem „unique-talk“ räumte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner Fehler Europas im Energiebereich ein. Einer davon sei die gescheiterte CO2-Strategie. Ein anderer die jahrzehntelange Bindung an die russische Gazprom. Doch den amerikanischen Weg zu kopieren sei nicht sinnvoll, ergänzte Marc Fähndrich von der Österreich-Vertretung der Europäischen Kommission. Europa habe nicht wie die USA riesige, menschenleere Flächen, auf denen man nach Schiefergas bohren könne.

Trotzdem, so die Meinung der Industrie-Vertreter am Podium, müsse über Energiegewinnung sachlicher diskutiert werden.

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