OMV-Aktionäre sprechen Ex-Chef Seele das Misstrauen aus: 71 Prozent gegen Entlastung
Knalleffekt bei der Hauptversammlung des teilstaatlichen Öl- und Gaskonzerns OMV am Freitag: Die OMV-Aktionäre haben bei ihrer Hauptversammlung am späten Freitag Abend dem früheren Vorstandschef Rainer Seele ihr Misstrauen ausgesprochen.
Bei der Einzelabstimmung über die Vorstandsmitglieder für das Geschäftsjahr 2021 wurden alle übrigen Vorstände mit jeweils mehr als 99 Prozent der gültigen Stimmen entlastet - Seele wurde die Entlastung jedoch zu 71 Prozent verweigert. Damit haben die beiden Hauptaktionäre, Mubadala (Abu Dhabi) und die Staatsholding ÖBAG, die gemeinsam mit 56,4 Prozent die Mehrheit halten und sich mittles Syndikatvertrag abstimmen, gegen Seele gestimmt. Dass einem ehemaligen CEO eines teilstaatlichen Großunternehmens und Schwergewichtes im Wiener Leitindex ATX mit so klarer Mehrheit die Entlastung verweigert wird, hat absoluten Seltenheitswert und ist dem Image eines Managers abträglich.
Aufsichtsratsvorsitzender Mark Garrett erklärte am Beginn der HV um 14 Uhr, seit 1. Mai würden sich Untersuchungen mit der Einhaltung der Governance-Regeln durch Ex-CEO Seele befassen. Die Prüfungen der externen Anwaltskanzlei betreffen verschiedene Geschäftsfelder (der KURIER berichtete bereits).
Insbesondere, so Garrett, den Sponsor-Vertrag mit Zenit St. Petersburg und die Gaslieferverträge mit Gazprom Export. Untersucht wird aber auch eine äußerst lukrative Sondervereinbarung mit dem ehemaligen Chef der Internen Revision und Compliance sowie einer weiteren Ex-Managerin.
Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen. Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse aber schlagen Aufsichtsrat und Vorstand vor, dass Seele nicht entlastet werde, die anderen Vorstandsmitglieder schon.
Vorstand und Aufsichtsrat betonen ausdrücklich, so Garrett, dass dies auf Basis des derzeitigen Informationsstandes geschehe und das Ergebnis der Untersuchungen nicht vorwegnehme. Eine nochmalige Befassung der Hauptversammlung mit diesem Thema sei naturgemäß möglich. Ursprünglich war die Entlastung auch von Seele geplant, der Antrag wurde kurzfristig geändert.
Der Interessensverband für Anleger, IVA, hatte bereits im Vorfeld der Hauptversammlung die Nicht-Entlastung von Seele gefordert.
Milliarden-Risiko, kaum Gewinn
Die OMV schloss 2018 unter Seele zwei Gaslieferverträge ab. Der Vertrag für Österreich läuft bis 2040 und deckt 80 Prozent des Inlandsbedarfes ab. Der zweite Verträge ist für Kunden in Deutschland und bis 2032 befristet. Die OMV hat bei den Verträgen ein Milliarden-Risiko, aber kaum einen Gewinn. Der Ertrag bewegt sich in der für die OMV minimale Größenordnung von knapp 20 Millionen Euro. Die Take-or-Pay-Klausel umfasst beim Österreich-Vetrag 96 Prozent der maximalen Liefermenge, beim deutschen Vertrag sind es 80 Prozent.
Die OMV hat keine Ausstiegsklausel. Sollte die EU ein Gasembargo beschließen, müsste die OMV möglicherweise den Barwert der Verträge wertberichtigen. Experten gehen von mindestens 50 Milliarden Euro aus, im schlimmsten Fall wäre der Milliarden-Betrag sogar dreistellig. Das würde das Eigenkapital von Österreichs größtem börsenotierten Industrieunternehmen gefährden. Außer es gelingt, dass das Embargo als "Force Majeur" (Höhere Gewalt) anerkannt wird.
Putins Lieblingsverein
Unter Seele schloss die OMV einen mysteriösen Sponsor-Vertrag mit Zenit St. Petersburg. Dem Lieblings-Fußballklub von Putin wurden von 2018 bis 2023 insgesamt 25 Millionen Euro zugesagt. Mit Beginn des Ukraine-Krieges stoppte die OMV die Zahlungen.
Umgekehrt sponserte Gazprom die Wiener Austria, im selben Ausmaß und über denselben Zeitraum. Die WKStA hatte das Sponsoring auf Grund einer Whistleblower-Anzeige bereits untersucht, die Ermittlungen aber eingestellt.
"Nichts schönzureden"
Ex post betrachtet waren die Investitionen der OMV in Russland nach 2015 ein Fehler, sagte Garrett. Wenn die OMV alleine im ersten Quartal 2022 zwei Milliarden Euro wertberichtigen müsse, "müssen alle Beteiligten aufhören zu versuchen, die Entscheidungen zu verteidigen. Man kann nicht schönreden, was nicht schönzureden ist. Die Wertberichtigungen seien "schmerzhaft", aber leistbar. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit in Öterreich und anderen Teilen Östeerreich gebiete aber, die langfristigen Gasverträge einzuhalten.
Auch Seeles Nachfolger als CEO, Alfred Stern, sagte auf der HV, man habe die Risiken mit Russland unterschätzt, rückblickend betrachtet seien die Investitionen ein Fehler gewesen.
Die von Seele forcierten Investitionen in Russland wurden in der Vergangenheit nicht von allen Aufsichtsräten akzeptiert, es gab durchaus Kritik. Auch die Bestellung des Russland-affinen Seele zum CEO durch den Aufsichtsrat erfolgte nicht einstimmig.
Entlastungs-Ritual
Vorstände und Aufsichtsräte einer Aktiengesellschaft müssen sich jedes Jahr einer Entlastung durch die Aktionäre stellen. Das Prozedere bezieht sich immer auf das vorangegange Geschäftsjahr. Für eine Entlastung genügt im Regelfall eine einfache Mehrheit. Die Aktionäre sprechen damit auf der Hauptversammlung Vorstand und Aufsichtsrat das Vertrauen aus.
Ein amtierender Vorstand, der nicht entlastet wird, müsste seinen Hut nehmen. Rainer Seele ist operativ nicht mehr CEO des Konzerns, steht aber bis Ende Juni 2022, bis zum Auslaufen seines Vorstandsvertrages, noch auf der Gehaltsliste der OMV.
Eine Entlastung schützt einen Manager vor allfälligen Schadenersatzforderungen, aber nicht in allen Fällen. Etwa, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er den Aufsichtsrat nicht korrekt informierte.
Neue Aufsichtsräte
Der Aufsichtsrat wird teilweise neu aufgestellt. Die neue Chefin der Staatsholding ÖBAG, die 31,5 Prozent an der OMV hält, wird Vize-Vorsitzende des Gremiums. Ebenfalls neu sind ÖBAG-Direktor Robert Stajic undder internationale Energie-Manager Jean-Baptiste Renard. Der Industrielle Christoph Swarovski und die Finanzexpertin Cathrin Trattner (Tochter des ehemaligen FPÖ-nahen ÖBB-Aufsichtsratschefs Gilbert Trattner) verließen den Aufsichtsrat.
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