Kluft zwischen Arm und Reich hemmt Wirtschaftswachstum

Ein Mann sitzt am 20.12.2012 in einer Einkaufsstraße in Bremen und bittet um kleine Geldgaben. Bremen hat nach einem Bericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes den höchsten Anteil an armutsgefährdeten Bürgern. Das kleinste Bundesland übernimmt damit als erstes westdeutsches Bundesland die rote Laterne. Foto: Ingo Wagner/dpa (Zu lni 0606 vom 20.12.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
OECD: Arme geben weniger für Bildung aus. Höhere Steuern und Umverteilung nicht unbedingt wachstumsschädlich.

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist der Industriestaaten-Organisation OECD zufolge heute in vielen Ländern größer als vor 30 Jahren. In der OECD verdiente Mitte der 1980er Jahre das reichste Zehntel der Bevölkerung sieben Mal so viel wie das ärmste. Heute liege das Verhältnis bei 9,5 zu 1, geht aus einem am Dienstag veröffentlichten OECD-Arbeitspapier hervor.

Laut Michael Förster von der OECD ist die Wirtschaft in Österreich seit den 1990er Jahren um 30 Prozent gewachsen. Wäre die Ungleichheit nicht gestiegen, hätte die Wirtschaftsleistung um 2 Prozentpunkte stärker steigen können, wurde Förster im ORF-"Mittagsjournal" zitiert.

"Kampf gegen Ungleichheit muss ins Zentrum der politischen Debatte rücken"

Die OECD fordert die Politik in diesem zum Gegensteuern auf. "Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes und dauerhaftesWachstum zählen können, wenn wir der hohen und weiter wachsenden Ungleichheit etwas entgegensetzen", sagte Generalsekretär Angel Gurria. "Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken." Denn die gestiegene Einkommensungleichheit hemme die wirtschaftliche Entwicklung.

In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf laut OECD zwischen 1990 und 2010 inflationsbereinigt um etwa 26 Prozent gewachsen, so die OECD. Wäre die Ungleichheit auf dem Niveau von Mitte der achtziger Jahre verharrt, hätte das Plus um fast sechs Prozentpunkte höher ausfallen können. Für Österreich sind in dem Bericht keine vergleichbaren Daten ausgewiesen.

Weniger Bildungschancen

Dafür sieht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor allem einen Grund: Ärmere investieren in der Regel weniger in Bildung. Kinder aus sozial schwächeren Familien hätten daher weniger Bildungschancen. "Wachsen und gedeihen werden vor allem jene Länder, die alles daran setzen, dass ihre Bürger von klein auf gleiche Chancen haben."

Eine Umverteilung von oben nach unten mittels Steuern und Transfers sei nicht zwangsläufig wachstumsschädlich, solange entsprechende Maßnahmen zielgenau angewandt werden. Eine solche Verteilungspolitik müsse sich vor allem auf Familien mit Kindern sowie auf junge Menschen konzentrieren und deren Lernchancen verbessern.

Ungleichheit auch in Österreich gestiegen

Die Ungleichheit ist auch in Österreich in den Jahren der Finanzkrise gestiegen, geht aus dem OECD-Bericht hervor. Gemessen wird die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung durch den sogenannten Gini-Koeffizienten. Liegt dieser bei 1, gehört einer einzigen Person alles - liegt er bei 0, gehört jedem genau gleich viel.

In Österreich ist der Gini-Koeffizient von 0,269 im Jahr 2007 auf 0,282 im Jahr 2011 gestiegen. Einkommen und Vermögen waren also nach der Krise ungleicher verteilt als davor. Zum Vergleich: In Norwegen lag der Gini-Index bei 0,250 im Jahr 2007 und ebenso im Jahr 2011, die Situation hat sich also nicht verändert.

Demgegenüber ist in den USA die ohnehin stärker vorhandene ungleiche Einkommensverteilung durch die Finanzkrise noch weiter gestiegen: Der Gini-Koeffizient stieg von 0,378 (2007) auf 0,389 (2011). Immer ungleicher wird die Gesellschaft in Mexiko, dort stieg der Gini-Index von 0,475 (2007) noch weiter auf 0,482 (2011). Die stärkste Ungleichheit unter den 34 OECD-Ländern wies 2011 Chile mit einem Gini-Koeffizienten von 0,503 auf, die geringste Slowenien mit 0,245.

Mehr als 1,2 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. "434.000 Personen oder fünf Prozent der Bevölkerung gelten dabei als manifest arm", sagte Caritas-Präsident Michael Landau im November bei einer Pressekonferenz anlässlich des Starts der Caritas-Inlandskampagne für Mütter und Kinder in Not. Diesen Menschen fehlt das Geld für Essen, Kleidung, Arztbesuche oder Heizkosten.

Kluft zwischen Arm und Reich hemmt Wirtschaftswachstum
"Armut und Ausgrenzung sind Realität in Österreich. Für Entwarnung besteht kein Anlass, gerade Mütter und Kinder geraten oft unbemerkt in Not", so Landau. "Ein wesentlicher Teil von Armut hat mit Arbeitslosigkeit zu tun", ergänzte Caritas-Direktor Franz Küberl. Beschäftigungslosigkeit der Eltern wirkt auf die ganze Familie. Im vergangenen Jahr lebten "über 100.000 Kinder in Familien, in denen Mutter und oder Vater arbeitslos waren", sagte Küberl. Diese Eltern erleben sich oft als "scheiternde Eltern".

"Schweigen der österreichischen Elite"

Zwar steht Österreich bezüglich Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich nach wie vor sehr gut da. Ende August lag die saisonbereinigte Arbeitslosenquote bei 4,7 Prozent, der Anstieg zum Vorjahr betrug aber 11,8 Prozent. Küberl kritisierte "das fast vollkommene Schweigen der österreichischen Elite". "Wie man das hinnimmt, ist einem Land wie diesem nicht gerecht werdend", so der Caritas-Direktor.

"Wie sollen Kinder lernen, wenn die Wohnung eiskalt ist?"

Kluft zwischen Arm und Reich hemmt Wirtschaftswachstum
Children do their homework in a community home run by "The Smile of the Child", a non-profit , non-governmental organisation for abused and abandoned children, in Kareas, near Athens May 23, 2011. Hit by the country's huge debt crisis, the organisation, one of Greece's most prominent children rights institutions, is at risk of shutting down after 16 years of operation, its founder said. The organisation is mostly dependant on donations from individuals and private companies. Picture taken May 23, 2011. REUTERS/Yiorgos Karahalis (GREECE - Tags: SOCIETY)
Zwei Schlüsselthemen bei Armut sind laut Landau Wohnen und Energie. "Gesicherter Wohnraum ist von zentraler Bedeutung", sagte Landau. Armutsbetroffene Familien stehen etwa vor der Frage, "ob sie Miete zahlen, die Wohnung heizen oder etwas zu Essen kaufen sollen", schilderte der Caritas-Präsident. 229.000 Menschen in Österreich können ihre Wohnungen nicht angemessen heizen. "Wie sollen Kinder lernen, wenn die Wohnung eiskalt ist?", fragte Landau.

Es brauche daher die Einführung einer Abschaltprävention bei Zahlungsproblemen in allen Bundesländern sowie ein Abschaltverbot während der Wintermonate. Zudem forderte Landau die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel, die Umsetzung der bereits angekündigten Mietrechtsnovelle, die Erhöhung der Sanierungsquote und auch die Einführung eines bundesweiten Energiehilfefonds.

Auswege aus Armutsspirale

"Armut wird vielfach vererbt. Das wichtigste Mittel, um die Armutsspirale zu durchbrechen, ist der Zugang zu Bildung", sagte Landau. "Jedes Kind hat es verdient, eine faire Chance zu bekommen", verlangte Küberl. Die Caritas fordert von der Politik einen Ausbau niederschwelliger Beschäftigungsprojekte, spezielle Maßnahmen für ältere Beschäftigungslose, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit, um mehr Arbeitsplätze zu ermöglichen.

Informationen zur Caritas-Kampagne "Wohin mit ihnen?"

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