Christopher Pissarides: Das waren wirklich meine Worte? Ich wollte wohl die Minister aufrütteln. In den Medien wird es oft so dargestellt, dass Roboter Einzug halten und uns die Arbeit wegnehmen. Ich würde da aber widersprechen. Die menschliche Kreativität, neue Jobs zu erschaffen, kennt keine Grenzen.
Wo genau entstehen diese?
Das ist schwer vorherzusagen. Aber schauen Sie sich auf der Straße um, überall sehen Sie Zusteller; in Lieferwägen, auf Mopeds, Fahrrädern. All diese Jobs sind erst durch das Internet entstanden.
Sie sind aber meist schlecht bezahlt. Steuern wir in eine Dienstbotengesellschaft?
Das ist eine echte Gefahr, der gegengesteuert werden muss. Wird die Spaltung des Arbeitsmarktes zu extrem, nehmen politische Radikalisierung und Extremismus zu.
Was sollte getan werden?
Diese Jobs müssen attraktiver werden; ihr sozialer Status und die Bezahlung steigen. Köche hatten früher keinen besonders guten Ruf, heute sind manche Stars. Oder Fitness-Trainer. Noch vor 30 Jahren gab es Studios bestenfalls in dunklen Ecken.
Aber lässt sich das auf die breite Masse übertragen?
Ein Hotelmanager hat gesagt: „90 Prozent meiner Kosten entfallen aufs Personal. Ich kann unmöglich die Löhne anheben, ich wäre pleite.“ Es mag schwierig sein, aber die ökonomische Antwort ist: Wenn du die Servicequalität verbesserst, erhöhe gleichzeitig den Preis pro Zimmer.
Soziale Jobs sind schlecht bezahlt, wenn überhaupt, siehe häusliche Pflege. Der Markt wird das nicht regeln.
Bei persönlichen Services sogar eher als bei den Zusteller-Jobs. Als meine Geschwister und ich professionelle Betreuung für unsere Eltern gesucht haben, fanden wir keine wirklich guten Angebote. Die hätten teurer sein dürfen, es gab sie nicht. Am Ende haben wir zwar wenig gezahlt, die Pflege war auch in Ordnung, aber das Service nicht ideal, das Gebäude alt, etc.
Welche Rolle spielt eigentlich der Staat? Sollte er Mindestlöhne festsetzen?
Ich bin für Mindestlöhne, aber nicht als Instrument der Sozialpolitik, sondern um Mängel im Arbeitsmarkt zu beseitigen, wo der Wettbewerb fehlt. Aber sie dürfen nicht zu hoch angesetzt sein. Als in den
USA für Fast-Food-Lokale Mindestlöhne vorgeschrieben wurden, haben sie kein Personal abgebaut, sondern dieses besser bezahlt.
Um Risiken der Automatisierung abzufedern, wird oft ein universelles Grundeinkommen vorgeschlagen. Wo sehen Sie Vor- und Nachteile?
Es wäre einfach zu verwalten, reduziert Armutsängste und wirkt nicht stigmatisierend. Allerdings gibt es Teile der Gesellschaft, die mit dem Minimaleinkommen nicht auskommen – etwa behinderte Personen. Und es kann sehr teuer werden, wenn es zu großzügig ausgelegt ist. Ein Schema, das ein recht niedriges Grundeinkommen auszahlt, aber Aufschläge für Bedürftige vorsieht, wäre günstig. Damit bliebe auch der Anreiz, weiterhin Arbeit zu suchen.
Eine Robotersteuer lehnen Sie ab. Ergibt das nicht eine Schieflage? Der Staat zahlt für die Folgen der Automatisierung drauf, Unternehmen tragen die Gewinne davon.
Nein, denn die Unternehmen sollen ja beitragen. Aber wir sollten die Eigentümer der Roboter besteuern, die vom Einsatz profitieren, nicht die Anzahl der Roboter. Die Steuer sollte auf die Gewinne oder die Dividenden, die ausgeschüttet werden, erfolgen. Sonst bestraft man Unternehmen, die höhere Produktivität anstreben. Eine Robotersteuer würde nicht funktionieren, weil Unternehmen ihren Standort verlagern würden. Dann wären sie in China.
In Österreich soll ein Algorithmus entscheiden, welche Chancen ein Arbeitssuchender hat, und die Fördergelder steuern. Ist das schlau?
Es klingt gut, solange es funktioniert. Die Frage ist immer: Zielt man auf jene ab, die es am meisten brauchen, selbst wenn es wenig Aussicht auf Erfolg hat? Ich bin für den möglichst effizienten Einsatz der Mittel, aber die Übrigen dürfen nicht komplett aus dem Arbeitsmarkt rausfallen.
Viele Firmen stellen ungern Personen über 50 Jahre ein. Was kann getan werden?
Das ist sehr kurzsichtig. Jobs werden ohnehin nur für kurze Zeit angenommen, für drei oder vier Jahre im Schnitt. Warum stellt eine Firma einen Dreißigjährigen ein, nur weil 35 Berufsjahre vor ihm liegen? Solange ist er ohnehin nicht im Betrieb.
Ältere Arbeitnehmer sind im Regelfall aber auch teurer.
Sie sind dann teurer, wenn sie beim Einkommen dort fortsetzen, wo sie aufgehört haben. Wenn jemand nicht in Armut zurückfällt, weil sein Einkommen um 20 Prozent sinkt, sollte das für ihn akzeptabel sein. Dafür braucht es mehr Flexibilität, auf beiden Seiten.
Zur Person: Sir Christopher Pissarides
Warum gibt es Arbeitslose, wenn doch gleichzeitig Stellen offen sind? Das Rechenmodell zur Beantwortung solcher Fragen hat Christopher Pissarides und seinen Kollegen Peter Diamond und Dale Mortensen 2010 den Wirtschaftsnobelpreis eingebracht.
Der zypriotisch-britische Staatsbürger wurde 1948 in Nikosia geboren. Unter seinen vielen Universitätsstationen findet sich auch 1992 ein Lehrauftrag am Institut für Höhere Studien (IHS) in
Wien.
Er lehrt gegenwärtig an der London School of Economics (LSE), in Zypern und Hongkong. 2013 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen. Am 3. Oktober 2019 erhielt er dieOskar-Morgenstern-Medaille der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wien verliehen. Die früheren Preisträger waren Ernst Fehr (2017), Robert F. Engle (2015) und Roger B. Myerson (2013).
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