Negativzinsen: Die Märkte müssen verrückt sein

Negativzinsen: Die Märkte müssen verrückt sein
Mysterium Negativzinsen – die Geldexperimente der Notenbanken haben seltsame Folgen.

Ein kleines Gedankenexperiment: Angenommen, Sie hätten 10.000 Euro flüssig und jemand macht Ihnen den Vorschlag: "Borgen Sie mir das Geld! Ich zahle keine Zinsen, Sie erhalten aber in zwei Jahren 9000 Euro zurück." Würden Sie darauf einsteigen?

Sie würden wohl eher entrüstet das Weite suchen. Auf den Finanzmärkten sind solche verrückten Deals momentan aber gang und gäbe.

- Staatsanleihen Deutschland, Schweiz, Japan, Finnland, Österreich. Für etliche Länder liegen die Renditen nahe null oder sogar im negativen Bereich. Wer etwa dem deutschen Staat für zwei oder sogar fünf Jahre Geld leiht, zahlt buchstäblich drauf. Er erhält weniger zurück, als er verborgt hat. Dabei ist der Boden noch gar nicht erreicht: Die enormen EZB-Anleihenkäufe sollen die Langfristzinsen weiter senken. Warum zahlen Anleiheninvestoren freiwillig drauf? Martin Hüfner, Berater des Vermögensverwalters Assenagon, sieht mehrere Gründe. Wenn die Zinsen zurückgehen, steigen die Anleihenkurse. Somit könnten noch Kursgewinne winken, wenn die EZB den Markt leerkauft. Obendrein mangle es an Alternativen für eine sichere Veranlagung.

- Spareinlagen Die EZB verrechnet den Banken einen Strafzins, wenn sie Geld bei ihr parken. Das führt diese in Versuchung, diese Kosten weiterzugeben. Negative Nominalzinsen (also Zinssätze mit vorne einem Minus) auf Spareinlagen haben jedoch kuriose Folgen: Es wird für Sparer attraktiver, Bargeld zu horten. Das wirft keine Zinsen ab, ist aber immer noch besser, als Geld zu verlieren.

Lange überwog die Ansicht, die Institute müssten "Bankruns", also Geldbehebungen in großer Zahl, fürchten. Deshalb könnten die Zinsen nicht negativ werden. "Das hat sich als falsch erwiesen", kommentiert Hüfner. In der Praxis verursacht es nämlich auch Kosten, Cash in ein Depot zu legen. Und Pensionsfonds oder Versicherer können schließlich schlecht Hunderte Millionen Euro Bargeld unter eine Matratze legen. Dass für Kleinsparer bisher noch keine negativen Zinsen eingeführt wurden, hat vor allem einen Grund: Es ist einfacher, die Bankgebühren anzuheben. Das stößt die Sparer weniger vor den Kopf.

- Geldillusion Zinsen haben nämlich viel mit Psychologie zu tun. Viele Sparer schauen nur auf den Zinssatz und vergessen, die Inflation (und Steuer) abzuziehen. Hüfner spricht von einer "optischen Täuschung" oder "Geldillusion". So beschwert sich kaum jemand, solange er zwei Prozent Zinsen erhält – selbst wenn eine Inflationsrate von zwei Prozent den Gewinn auffrisst. Hingegen wäre ein Aufstand programmiert, sollten die Zinsen auf null fallen. Was real auf dasselbe hinausläuft, wenn die Preise nicht steigen. Österreichs Sparer sind freilich in der ungünstigsten Lage: Wegen der höchsten Inflationsrate im Euroraum schwindet ihre Kaufkraft am schnellsten.

- Banken Der Zorn der Sparer ist den knausrigen Instituten also gewiss. Zu Unrecht. "Die klassischen Banken gehören zu den größten Verlierern der Niedrigzinspolitik", analysiert der Grazer Professor Max Otte für das Ifo-Institut. "Gute", kleine Geschäftsbanken hätten es nämlich viel schwerer, bei niedrigen Zinsen profitabel zu wirtschaften als Investmentbanken und Hedgefonds, die mit dem Billiggeld spekulieren.

- Risiken In normalen Zeiten sind Zinsen ein gutes Signal für Risiken. Ob das noch gilt, ist fraglich. Dem deutschen Finanzminister auf 30 Jahre Geld zu überlassen, bringt nicht einmal ein Prozent Rendite. "Wer glaubt, damit seien seine Kosten und die geopolitischen Risiken abgedeckt, liegt falsch", sagte der gefürchtete US-Fondsmanager Paul Singer in Davos. Die Preise seien völlig verzerrt: "Ich würde das Wort ‚Markt‘ momentan nur unter Anführungszeichen schreiben."

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