Monti: "Wir brauchen harte Entscheidungen"

Monti: "Wir brauchen harte Entscheidungen"
Riccardo Monti ist leitender Unternehmensberater in Italien und Griechenland. Seine Prognosen für die Ära nach Berlusconi sind gut.

Riccardo Monti ist unter der Woche kurz angebunden, ein Tag-und-Nacht-Arbeiter. Seine Interview-Zusage kommt neun Minuten vor Mitternacht: bin unterwegs, wird nicht einfach, ideal wäre Samstag, 10:30, geht das? danke r.

Der Chef der Boston Consulting Group (BCG) für Italien, Griechenland und die Türkei mit Bürositz in Mailand agiert untypisch für italienische Verhältnisse: Er reagiert persönlich, rasch - und hält seine Zusage ein.

Warum andere Unternehmen in Italien immer noch nach dem "Domani"-Prinzip arbeiten und Antworten an Geschäftspartner oft Tage auf sich warten lassen, erklärt Riccardo Monti im KURIER-Interview. Samstag, punkt 10.30 Uhr, ist er am Telefon.

KURIER: Herr Monti, wo haben Sie diese für Italien so entscheidende Woche verbracht?
Riccardo Monti:
Ich war in Deutschland. Jetzt bin ich in Somma Lombardo in der Nähe des Lago Maggiore.

Sie haben frei?
Ja, Samstag und Sonntag. Am Montag geht's in die USA.

Können Sie - als Italiener, der sein Land oft von außen betrachtet - erklären, warum sich Europa keine Sorgen um Italien machen muss?
Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, eine Vertrauenskrise. Aber wir haben auch eine Zahl, die Hoffnung gibt: Der Export ist im vergangenen Jahr um 17 Prozent gestiegen. Schauen Sie auf Firmen wie Pirelli, Ducati, Ferrari, den Bremstechnikspezialisten Brembo oder den Brillenhersteller Luxottica, zu dem Ray Ban gehört - die machen Rekordzahlen.

Wo liegen Italiens Stärken?
Wir haben einerseits die zweitstärkste Industrie Europas hinter Deutschland. Und andererseits Top-Talente, Kreativität, Kompetenz, Know-how. Wenn wir mit unseren Produkten in Märkte wie Russland, Brasilien, Indien, China kommen, geht es aufwärts. Nur die kleinen lokalen Unternehmer, die ihre Produkte am heimischen Markt anbieten, haben es schwer, weil die Lage hier deprimierend ist. Die Kaufkraft geht zurück, und die Menschen haben Angst.

Silvio Berlusconi hat vor kurzem auf dem G-20-Gipfel in Cannes gesagt: "Den Italienern geht es gut, die Restaurants sind voll" ...
... und dem Land damit geschadet! Seine Aussagen haben die Glaubwürdigkeitskrise verstärkt. Er hätte schon längst, längst gehen sollen.

Geht Berlusconi endgültig aus der Politik?
Ich hoffe es. Er hat keine Chance mehr. Er ist zu weit gegangen. Wären heute Wahlen, er bekäme bestimmt keine Mehrheit. Diesmal hat er jedes Vertrauen verspielt. Aber sein Glaubwürdigkeitsproblem ist mittlerweile das Glaubwürdigkeitsproblem eines ganzen Landes.

Kommentatoren beklagen den moralischen Verfall Italiens unter Berlusconi. Wie empfinden Sie das?
Das ist seit Jahren eine Katastrophe, denn ein Ministerpräsident ist ein Role Model für sein Land. Ich glaube dennoch, dass die Italiener bereit sind, die Vergangenheit abzuschließen und zu sagen: "Wir haben ein Problem und werden es gemeinsam lösen. Jeder leistet seinen Beitrag, nicht nur die Schwächsten."

Ist so viel Solidarität denkbar? Wer könnte das Land so einen?
Mario Monti.

Haben Sie zufällig denselben Namen?
Ja, wir sind nicht verwandt. Aber ich kenne ihn gut. Monti hat sich über zehn Jahre als EU-Kommissar quer durch Europa genau die Glaubwürdigkeit erarbeitet, die Italien jetzt so dringend benötigt. Dieser Mann muss nur zum Telefon greifen und hat binnen einer Stunde eine Antwort - von jedem Staatschef.

Aus Ihrer Sicht als Berater: Was braucht Italien jetzt?
Einen Techniker, einen Mann der Praxis mit wirtschaftlichem Wissen, so wie Monti. Ein Berufspolitiker wird die Restrukturierung nicht schaffen, jemand von innen wird keine mutigen, harten Entscheidungen treffen. Aber das brauchen wir.

Stimmt es, dass die Korruption durch Bestrebungen wie "mani pulite" (deutsch: "saubere Hände") nicht gebremst wurde, sondern lediglich die Bestechungstarife gestiegen sind?
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ganz sicher liegt die Black Economy (alles, was an der Steuer vorbei geschmuggelt wird, Anm.) bei mehr als 250 Milliarden Euro im Jahr. Zum Vergleich: Großbritannien hat etwa ein Fünftel davon. Das heißt, dem Staat
entgehen 100 bis 120 Milliarden an Abgaben. Würden wir nur die Hälfte reinbekommen, hätten wir kein Problem mehr.

In der BCG sind Sie für Italien, Griechenland und die Türkei verantwortlich. Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Italien und Griechenland?
Griechenland hat so gut wie keine Industrie. Italien ist da die Nummer zwei in Europa. Was auch wichtig ist: Rechnet man Staatsschulden, Unternehmensschulden und die Schulden von Privatpersonen zusammen, steht Italien viel besser da als Griechenland, Spanien, Portugal oder Irland. Der Staat hat eine Menge Schulden, aber die Menschen im Land haben wenig Schulden.

Die Italiener haben immer noch den Ruf, etwas behäbig zu reagieren. Das klassische "Domani - Rufen Sie morgen wieder an!" ist spürbar ...
... Habe ich Sie zu lange warten lassen?

Nein! Aber in Ihrem Bereich herrscht eine US-Unternehmenskultur. Die ist eher untypisch für Italien.
Ich arbeite ja überall, und ich würde den Vergleich so ziehen: Italien hat eine Dichte an Kreativität und Individualität, die Sie in anderen Ländern bei Weitem nicht finden. Der Nachteil ist, dass es all den Individualisten schwer fällt, in Teams zu arbeiten oder gar, sich in Teamprozesse einzugliedern. Das macht Abläufe und Entscheidungsprozesse extrem behäbig. Es läuft einfach nicht rund, dadurch dauert alles viel länger.

Ihr Sohn ist 19, Ihre Tochter 17. Italien hat 29 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Machen Sie sich als Vater Sorgen um die Zukunft Ihrer Kinder?
Klar! Ich glaube, es wird für sie viel schwieriger werden, als es vor 22 Jahren war, als ich angefangen habe.

Was lieben Sie an Italien?
Das kulturelle und historische Erbe. Wenn Sie in die USA kommen, finden Sie etwas, das 200 Jahre alt ist. Wenn Sie nach Pompej gehen, finden Sie etwas, das 2000 Jahre alt ist. Italien ist ein Super-Land, gehen Sie nach Rom, Portofino, Capri, wohin Sie wollen, Sie werden so viel Schönes finden! Und die Cuisine ist die beste der Welt! Man lebt gut in Italien. Aber es ist ein Land, das eindeutig besser dazu geeignet ist, Frühpension zu machen als Business.

Zur Person: Riccardo Monti

Privat Riccardo Monti ist gebürtiger Mailänder und mit einer Florentinerin verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder im Alter von 19 und 17 Jahren. Die Familie lebt in Mailand.

Ausbildung Monti studierte am Polytechnikum Mailand, einer der angesehensten Universitäten für Ingenieurwesen in Europa, und er absolvierte das MBA-Programm der
privaten Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi in Mailand.

Beruf 1990 startete er seine Karriere bei Boston Consulting Group (BCG),
einer der weltweit größten Unternehmensberatergruppen mit 74 Büros in 42 Ländern. Zunächst arbeitete er im Pariser Büro,wechselte dann nach Zürich und ist seit 1993 in seiner Heimatstadt Mailand. Von Mailand aus leitet er seit Juni 2005 BCG Italien, Griechenland und Türkei. Monti gilt als Experte im Energie- und Umweltbereich sowie für die Automobilindustrie.

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