"Mit blauem Auge davongekommen"
ÖBB-Chef Andreas Matthä wird in den kommenden Wochen nicht langweilig. Er muss sich mit einem Konkurrenten aus Tschechien, neuen Eigentümervertretern und Beschwerden wegen der Ticketautomaten herumschlagen.
KURIER: Die Ticket-Preise wurden gerade erhöht. Sie sind zum Teil sehr unterschiedlich und unübersichtlich. Wieso?
Andreas Matthä: Genau das soll der neue Ticket-Automat besser machen. Er bietet automatisch den besten Tarif. Auch wenn Sie die ÖBB-App verwenden, sollte die Tarifübersicht sehr übersichtlich sein.
Am PC ist es mühsam.
Da werden wir noch nachjustieren. Für das Handy und für die Automaten ist das Ganze aber wirklich gut programmiert.
Werden die Automaten von den Kunden angenommen?
Manche sind irritiert, aber die alte Software war über 15 Jahre alt und musste modernisiert werden. Wir haben in Vorarlberg mit der Umrüstung begonnen, sind jetzt in Wien mit Promotoren unterwegs und arbeiten auch mit Pensionistenverbänden zusammen, um den Umstieg auf das neue System so leicht wie möglich zu machen.
Auch die Post wird künftig ÖBB-Tickets verkaufen. Wird es dort wieder andere Preise geben?
Die Preise sind überall gleich – auch ein Vorteil gegenüber früher.
Haben die ÖBB mit der Westbahn Frieden geschlossen?
Ein fairer Wettbewerb tut beiden Unternehmen gut. Wir sehen, dass alle Züge voll sind – bei ÖBB und Westbahn. Beide weiten im Dezember ihr Angebot aus. Mal sehen, ob das zu Überkapazitäten führt.
Spüren Sie das Air-Berlin-Aus?
Ja, wir sehen, dass es bei uns hinauf geht.
Der private tschechische Bahnbetreiber Regiojet will ab 10. Dezember vier Mal täglich zwischen Wien Prag unterwegs sein. Was heißt das für die ÖBB?
Wir fahren dort alle zwei Stunden, Regiojet nur zu Spitzenzeiten – damit nehmen sie sich die Sahne. Die Strecke Wien-Prag ist allerdings stark nachgefragt, sowohl von Geschäftsreisenden als auch von Touristen. Regiojet ist dort bereits mit Buslinien unterwegs und will diese reduzieren. Fürchten soll man sich nie. Aber auch der Mitbewerber wird sich etwas einfallen lassen müssen, um seine Züge voll zu bekommen.
Die ÖBB-Fernbuslinie Hellö – noch von Ihrem Vorgänger Christian Kern eingefädelt – hat nicht funktioniert, warum?
Wir dachten, dass wir unsere Preisvorstellungen durchsetzen können, als wir das Unternehmen gegründet haben. Der Markt hat sich aber rasant verändert. Und immer, wenn wir etwas auf der Preisebene gemacht haben, ist der Mitbewerber mit den Preisen noch einmal hinuntergegangen. Auch die Auslastung war nicht so toll. Für uns gab es nur zwei Möglichkeiten: Ordentlich viel Geld reinstecken oder aussteigen.
Wie viel hat das gekostet?
Es war überschaubar, wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.
Wie weit betrifft die österreichische Bahn das Thema autonomes Fahren?
Autonomes Fahren ist eine Riesenchance für uns, wir können im ländlichen Raum mit kostengünstigen, kleinen selbstfahrenden Bussen unsere Kunden zu den Bahnhöfen bringen. Das passt zu unserem Ziel, Gesamtmobilitätsanbieter zu sein. Autonome Lkw werden die Kapazitäten auf der Autobahn erhöhen, weil sie mit engerem Abstand fahren können. Das wird uns im Güterverkehr wehtun. Andererseits werden die Mengen wachsen. Über weite Distanzen von Punkt zu Punkt sind wir stärker, auf der breiten Fläche ist der Lkw im Vorteil. Das liegt am günstigen Dieselpreis und an den vielen ausländischen Frächtern. Die Unternehmen sparen damit Lohnkosten und Sozialabgaben, ein Wettbewerbsvorteil, den wir so nicht haben.
Sie sagten einmal, über die Schulden der ÖBB gebe es in der öffentlichen Wahrnehmung ein Missverständnis. Wie haben Sie das gemeint?
Pro Jahr investieren wir im Auftrag der Regierung zwei Milliarden Euro in die Modernisierung der Infrastruktur. Wir nehmen Geld auf dem Kapitalmarkt auf und der Bund zahlt das in Jahresquoten zurück. Die derzeit 20 Milliarden werden auf 30 Milliarden steigen, der Höhepunkt wird mit Eröffnung des Semmering- und Brennertunnels 2026 erreicht sein. Durch die laufende Tilgung wird das in 50 Jahren aber kontinuierlich abgebaut sein.
Es ist also vielen nicht bewusst, dass die Schulden nicht aus dem laufenden Betrieb kommen.
Genau. Wir hatten letztes Jahr einen Passagierrekord und werden das auch heuer haben. Beim Güterverkehr sehen wir auch Zuwächse. Beide Bereiche sind profitabel.
Wie stark belasten die ÖBB ihre pragmatisierten Mitarbeiter?
Seit Mitte der 90er-Jahre stellen wir nur noch nach ASVG-Pensionsrecht an. Das alte Dienstrecht der ÖBB ist also ein Auslaufmodell. Ende der 20er-Jahre wird auch der letzte pragmatisierte Beamte in Pension gehen. Früher, Anfang der 2000er-Jahre, lag das Pensionsalter im Durchschnitt bei 52 Jahren, was dem Unternehmen bei der damaligen Restrukturierung geholfen hat, Überkapazitäten abzubauen. Diese Form der Pensionierung gibt es aber schon lange nicht mehr. Durchschnittlich gehen die Kollegen altersbedingt heute mit 60,4 Jahren und krankheitsbedingt mit knapp 55 Jahren in Pension. Damit haben wir uns ganz stark dem ASVG-System angenähert.
Wie hoch ist der Anteil der pragmatisierten Mitarbeiter?
Der liegt bei 60 Prozent und verringert sich jährlich um rund 1000 Mitarbeiter.
Was wünschen Sie sich von einer neuen Regierung?
Ein starkes Bekenntnis zur Bahn.
Neue Regierungen färben den ÖBB-Vorstand normalerweise um. Fürchten Sie sich davor?
Ich bin seit Jahren und in unterschiedlichen Funktionen im Unternehmen. Wir haben eine starke Performance. Das ist das Einzige, was zählt.
War es klug, die SPÖ im Wahlkampf zu unterstützen?
Die ÖBB haben niemanden im Wahlkampf unterstützt. Ihre Frage müssen Sie vermutlich der Gewerkschaft stellen.
Was muss eine Bahn im internationalen Verkehr mitbringen, um ein moderner Player zu sein?
Wichtig wäre eine technische Harmonisierung. Es gibt in der EU zu viele unterschiedliche Zugsicherungssysteme und Normen. Im Güterverkehr müsste auch auf langen Strecken One-stop-shop möglich sein. Ansonsten wäre Fairness bei Steuern und Maut wichtig. Wir müssen überall zahlen, Lkw nur auf der Autobahn.
Es laufen gerade zwei Neuausschreibungen für Führungspositionen bei den ÖBB. Angesichts der laufenden Koalitionsverhandlungen sieht das nicht toll aus, oder?
Der Zeitpunkt hat auch mich nicht begeistert, aber der Vertrag vom Geschäftsführer des Bereichs Technische Services läuft demnächst aus und musste fristgerecht ausgeschrieben werden. Beim Vorstand für die Personenverkehr AG war es klar, dass er ausscheidet. Auch hier haben wir eine Ausschreibung in die Wege leiten müssen.
Warum sind Sie ein vehementer Verfechter der Direktvergabe?
Auf dem Schienennetz muss Ordnung herrschen. Die Züge müssen in den Stationen zu einem bestimmten Zeitpunkt ankommen, damit die Anschlüsse im Nahverkehr und mit den Bussen funktionieren. Wenn es sich jeder so richten würde, wie er es gerne haben will, dann würden wir Engpässe produzieren. Auf der Strecke Praterstern-Hauptbahnhof wird zum Beispiel die Westbahn fahren. Das ist aber keine Fernverkehrsstrecke. Das könnte den Fahrplan durcheinanderbringen und zu Verspätungen führen, die Pendler würden sich dann zu Recht beschweren. Die S-Bahn fährt dort alle vier Minuten. Das ist so, als würde man in das U-Bahn-System einen Railjet stellen.
Die Entscheidung bei der Neuausschreibung des Caterings soll im Dezember fallen. Wie ist der Stand der Dinge?
Sie ist in der letzten Runde. Wir haben eine honorige Bieterrunde, die sich um den Auftrag bemüht. Wichtig ist, dass die Speisen im Zug Teil des Reiseerlebnisses sind und einen Österreich-Touch haben. Das kommt gut an.
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