Millionenpleite mit Nebenwirkungen

APA4222193-2 - 07062011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - THEMENBILD - Illustration zum Thema Krankenpflege: Eine Diplomkrankenschwester hilft einer Patientin am Freitag, 21. Dezember 2007, mit einer Gehhilfe aus dem Bett zu kommen (gestellte Szene). Sozialminister Rudolf Hundstorfer plant eine Reform bei der die Pflegefachkräfte ab kommenden Jahr die Einstufung des Pflegegeldes mitbestimmen. Demnach wird die Erstbegutachtung zwar weiterhin von den Ärzten durchgeführt, bei Anträgen auf Änderungen der Pflegestufe werden aber die Pflegefachkräfte entscheiden. APA-FOTO: BARBARA GINDL
Spitäler und Heime haften als Kunden für offene Sozialabgaben der Pflegeagentur.

Die Pleite der Wiener VisiCare GmbH – sie zählt zu den größten Vermittlern von Diplomkrankenpflegern in Österreich – erschüttert die heimische Gesundheitsbranche. Zahlreichen Krankenanstalten und Pflegeheimen, die die Dienste von VisiCare in Anspruch nahmen, drohen nämlich Nachzahlungen in Höhe von zumindest 4,5 Millionen Euro.

Die Agentur hat insgesamt sechs Millionen Euro Schulden, davon entfallen alleine 2,54 Millionen Euro auf eine Haftung für nicht abgeführte Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (für die Jahre 2008 bis 2010). Dazu kommen weitere 1,99 Millionen Euro Sozialabgaben, die der Wiener Gebietskrankenkasse (WKGG) zustehen. Für die Jahre 2011 bis 2015 liegen laut Firmenanwalt noch keine Steuer- bzw. Haftungsbescheide bzw. Nachforderungen vor.

Urteil

Letztendlich ausgelöst hat die Pleite eine Prüfung der lohnabhängigen Abgaben durch die Krankenkasse. Durchleuchtet wurden die Geschäftsjahre 2008 bis 2010. Die Haftungs-Bescheide wurden erfolglos bekämpft.

Im April 2015 zementierte dann ein 66 Seiten starkes Urteil des Bundesfinanzgerichts (BFG) die Rechtsansicht der Abgabenbehörden ein. Laut Urteil haftet die Agentur "für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer und den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen". Denn: Auch das Bundesfinanzgericht stufte die freiberuflichen Krankenpfleger, die VisiCare vermittelte, nicht als Selbstständige, sondern als Dienstnehmer ein. Oder anders gesagt: Die Pfleger sind aus Sicht der Behörden eigentlich Leiharbeiter.

"Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass es sich um Dienstverhältnisse im Rahmen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes handelt", sagt VisiCare-Anwalt Franz Althuber von der Kanzlei DLA Piper Weiss-Tessbach zum KURIER. Gegen das BFG-Urteil ist eine Berufung (Revision) beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Trotzdem wurde der Agentur kein Zahlungsaufschub bis zum Abschluss des Verfahrens gewährt.

Kunden droht Ärger

Das Urteil des Bundesfinanzgerichts könnte die Kunden von VisiCare teuer zu stehen kommen. Denn: Der Pflege-Vermittler hat lediglich rund 46.000 Euro Vermögen und kann die Millionen-Schulden nicht begleichen. Daher wurde auch die Reißleine gezogen und Konkurs angemeldet. "Meines Erachtens haften die Kunden von VisiCare als Bürgen für die offenen Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge bei der Sozialversicherung", sagt Anwalt Althuber. Das heißt, dass die Kunden, darunter Landeskrankenhäuser, Privatspitäler und Pflegeheime, welche die Dienste der Agentur in Anspruch nahmen, im schlimmsten Fall die offenen Sozialabgaben berappen müssen. So ist es im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geregelt.

WGKK prüft

"In der Causa VisiCare wird die Wiener Gebietskrankenkasse ihre allfälligen Haftungsansprüche prüfen", bestätigt die Krankenkasse dem KURIER. Ob weitere Pflege-Firmen von der Rechtssprechung des BFG betroffen sind, ist noch unklar. VisiCare vermittelte 3500 bis 4000 Diplompfleger pro Jahr an Kranken- und Pflegeanstalten. Diese sind inzwischen woanders tätig. "Es wird in der Branche noch ordentlich scheppern", meint der VisiCare-Anwalt.

Indes hält Gerhard Flenreiss, Branchensprecher der Personaldienstleister in der Wirtschaftskammer Wien, die Auswirkungen für überschaubar, da sich die Last auf viele Häuser aufteile.

"Ich bin dankbar für diese Klarstellung im stationären Bereich", sagt Flenreiss, der selbst diplomiertes Personal verleast. Das Urteil könnte aber Selbstständigkeit generell zurückdrängen, weil sich viele Arbeitgeber jetzt vor Klagen fürchten. "Das Geschäftsmodell Vermittlung von Krankenpflegepersonal an Krankenhäuser und Pflegeheimen ist tot", meint auch Christian Ebner von der Interessensvertretung Freemarkets.at, die sich für ein Recht auf Selbstständigkeit ausspricht. Ebner fürchtet einen "dramatischen Mangel an Krankenschwestern" bis hin zum Pflege-Notstand.

Eine Kostenfrage

Zum Vergleich: Selbstständiges Personal kostet Spitäler oder Heime 13 bis 18 Euro pro Stunde, Zeitarbeitsfirmen überlassen ihr Personal für 32 bis 36 Euro pro Stunde. Die VisiCare-Mutter Pflegegruppe Personaldienstleistungen GmbH ist vom Konkurs nicht betroffen. Sie macht als Arbeitskräfteüberlasser weiter. Mit-Eigentümerin Eva Maria Strasser findet das BFG-Urteil "sehr traurig" und ortet eine Ungleichbehandlung. Strasser: "Ein Arzt kann vormittags im AKH arbeiten und am Nachmittag selbstständig, ebenso eine Hebamme oder ein Physiotherapeut. Warum soll das nicht auch eine Krankenschwester dürfen?"

Das VisiCare-Urteil betrifft nur den stationären Pflegebereich. Für die Pflege zu Hause gelten andere gesetzliche Bestimmungen. So ist für die 24-Stunden-Betreuung eine Gewerbeberechtigung, also die Selbstständigkeit, ausdrücklich vorgesehen.
Die rund 50.000 Pflegerinnen und Pfleger – vorwiegend aus der Slowakei oder Rumänien – arbeiten auf eigene Kasse und sind für die Entrichtung der Sozialabgaben und Steuern selbst verantwortlich. Allerdings werden diese Pflegekräfte sehr oft von Agenturen vermittelt, mit denen sie längerfristig vertraglich verbunden sind. Dieses Verhältnis muss laut Gesetz so geregelt sein, dass daraus kein Dienstverhältnis abgeleitet werden kann.

Doch hier gibt es viele Grauzonen. So kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass Agenturen nicht nur Pflege vermitteln und Betroffene beraten, sondern Pflegerinnen mit „Knebelverträgen“ an sich binden oder das Inkasso selbst übernehmen und nur einen Bruchteil davon an die Pflegerin weiterleiten. Eines Gesetzesnovelle soll solche Praktiken künftig verhindern. Heikel ist auch, wenn Pflegerinnen über viele Jahre in nur einem einzigen Haushalt tätig sind.

Die Gewerkschaft kritisiert seit Jahren diese „Quasi-Selbstständigkeit“. Die Krankenkassen hielten sich mit Prüfungen im Privatbereich bisher zurück. Wohl wissend, dass eine Zwangsanstellung von privatem Pflegepersonal für viele Haushalte nicht finanzierbar wäre und damit erst recht wieder Schwarzarbeit gefördert würde.

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