Mensch statt Maschine: Das etwas andere Dienstleistungszentrum

Mensch statt Maschine: Das etwas andere Dienstleistungszentrum
Bei der Welser Firma Kellner& Kunz arbeiten 85 Menschen mit Behinderung. Bald könnten es 150 sein.

„Hallo Chef“, ruft jemand und blickt kurz von der Arbeit auf. Akribisch wird selbst die kleinste Schraube aus einer Verpackung genommen und in ein spezielles Montage-Set eingeordnet. Das Zusammenstellen der Montage-Sets könnten längst vollautomatische Sortieranlagen erledigen. Der Welser Großhändler Kellner & Kunz setzt aber ganz bewusst und aus Überzeugung auf Handarbeit.

„Hier muss exakt und verlässlich gearbeitet werden und unser Dienstleistungszentrum hat eine Null-Fehler-Quote“, berichtet Firmenchef Ernst Wiesinger beim Firmenrundgang des KURIER. Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf: Im Dienstleistungszentrum im ersten Stock des Firmengebäudes arbeiten durchwegs Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen. Sie stellen nicht nur Schrauben-Sortimente zusammen, sondern erledigen auch Kleinmontagen und sind damit voll in den laufenden Betrieb eingebunden. „Wir haben schon länger mit Werkstätten kooperiert und uns dann gedacht: Warum holen wir die Mitarbeiter nicht gleich zu uns“, erzählt Wiesinger.

Eigenes Dienstleistungszentrum

Gesagt, getan. Nach der Überwindung baulicher Hürden, die für Menschen mit Beeinträchtigung vorgeschrieben sind, zogen 2012 die ersten Mitarbeiter ins barrierefreie Dienstleistungszentrum ein. Heute sind dort 85 Menschen mit Beeinträchtigung beschäftigt. Die Arbeitszeit richtet sich nach der Belastbarkeitsgrenze, zumindest halbtags arbeiten die meisten. Die Mitarbeiter kommen aus ganz Oberösterreich, Transport und Betreuung erledigen Sozialeinrichtungen. „Es ist wie eine Art Personalleasing.“

Die übrige Belegschaft hätte am Anfang Berührungsängste gehabt, gehe jetzt aber ganz selbstverständlich mit den Kollegen um. So selbstverständlich, dass das Dienstleistungszentrum im Zuge der laufenden Standorterweiterung sogar auf bis zu 150 Arbeitsplätze aufgestockt werden soll.

Mensch statt Maschine: Das etwas andere Dienstleistungszentrum

Firmenzentrale Kellner & Kunz in Wels

Aber was macht Kellner & Kunz eigentlich genau? „Wir sorgen dafür, dass das richtige Teil zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist“, bringt der Firmenchef das Kerngeschäft auf den Punkt. Das Großhandelsunternehmen ist auf Kleinmaterialien – so genannte C-Teile – spezialisiert und versorgt ganz Europa. 61.000 Handwerks- und Industriekunden erhalten ihre Waren vom C-Teile-Spezialisten.

100.000 kleine Teile

Mehr als 100.000 Produkte – von der kleinsten Schraube über das Kugellager bis zum Spezialbohrer – umfasst das Sortiment, das weltweit eingekauft und auch unter der Eigenmarke „Reca“ vertrieben wird. 1800 Artikel machen 80 Prozent des Firmenumsatzes aus. Dabei fungiert das Unternehmen als so genannter Vollversorger. „Die Ware zu liefern ist zu wenig. Heute geht es um ganzheitliche Dienstleistungen, also automatisierte Lager- und Beschaffungsprozesse in Echtzeit“, erklärt Wiesinger.

Für diese Dienstleistungen werde es aber auch weiterhin Menschen und nicht nur Maschinen brauchen, ist er überzeugt. „Wir setzen auf den Faktor Mensch. Es gibt bis heute keinen Roboter, der eine Kommissionierung übernehmen könnte“, nennt er ein Beispiel. Selbst eine volldigitalisierte Logistik werde nie ohne ein Lager funktionieren.

Mensch statt Maschine: Das etwas andere Dienstleistungszentrum

Die Mitarbeiter im Dienstleistungszentrum

Das Zentrallager in Wels platzt inzwischen aus allen Nähten. Ein Zubau wird 2019 mit 200.000 zusätzlichen Behälterplätzen im Kleinteilelager und 15.000 Palettenplätzen im Hochregallager in Betrieb gehen. Verladung und Versand werden dann vollautomatisch erfolgen, 40 Mio. Euro werden investiert.

1922 als Eisenhandlung in Wien gegründet, setzte die Kellner & Kunz AG im Vorjahr mit 1260 Mitarbeitern (700 davon in Österreich) 245 Mio. Euro um, ein Plus von 17 Prozent gegenüber 2016. Auch heuer wird ein zweistelliges Plus erwartet. Die Auftragsbücher sind voll.

Matura für Lehrlinge

Angesichts des Fachkräftemangels bemüht sich der Familienbetrieb auch besonders um die Lehre. „Wir bekommen keine Fachkräfte mehr, also müssen wir sie selbst ausbilden und uns ’was einfallen lassen“, sagt Wiesinger und verweist auf die hauseigene Lehrlingsakademie.

Wer diese absolviert, indem er mehrere Stationen im Betrieb durchläuft, erhält eine eigene „Kellner&Kunz-Matura“, die intern wie eine richtige Matura gilt und auch honoriert wird. Mit der Matura will man auch AHS-Abbrecher anlocken. Wer die Matura schon hat, wird als Lehrling übrigens sofort höher bezahlt als ein Lehrling. Das soll die Lehre attraktiver machen. 40 Lehrlinge werden derzeit ausgebildet.„Das kostet viel Geld, aber Mitarbeiter suchen kostet noch mehr“. Seit dem Sommer gibt es zu den Lehrberufen Betriebslogistik und Großhandel zwei neue Lehrberufe: eCommere-Kauffrau/mann und IT-Techniker. 

Kommentare