Mehr Geld für Umwelt und Bildung
Oft bissig und zynisch, immer kritisch – nach Jahrzehnten als Wirtschaftsforscher weiß Karl Aiginger gekonnt die Stärken und Schwächen Österreichs aufzuspüren. Wenige Tage vor seinem Abschied von der Spitze des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) erzählt Aiginger, der im Oktober 68 wird, über Erfolge, ärgerlichen Widerstand und was Österreich dringend braucht.
KURIER: Befunde sind das eine, sich damit durchsetzen das andere. Wo haben Sie mit Ihren Vorschlägen Siege erringen können?Karl Aiginger: Unsere Vorschläge haben Österreich in der Forschung vom Nachzügler in das vordere Mittelfeld gebracht. Grasser hat einmal gesagt: Jetzt geb ich eh schon 500 Millionen mehr für die Forschung aus, und der Aiginger ist noch immer nicht zufrieden.
Jetzt haben wir eine Forschungsquote von drei Prozent. Jetzt zufrieden?
Nein, wir sollten die Qualitätsleiter hinaufklettern. Die Quote sollte mittlerweile schon bei vier Prozent sein, weil ja die anderen auch nicht stehen bleiben. Wir brauchen immer bessere Maschinen, bessere Technik. Wer das nicht macht, beginnt auf die Globalisierung zu schimpfen – siehe Frankreich.
Noch ein Erfolg?
Die Bedeutung der vorschulischen Erziehung, das ist mir ganz wichtig. Das haben wir schon im Weißbuch 2006 gehabt. Und jetzt haben wir das verpflichtende Kindergartenjahr. Je früher ein Euro investiert wird, desto mehr bringt er. Bei Kindern von zwei Jahren bringt er am meisten. Das war bei mir auch ein Erkenntnisprozess, ich selber bin nie in einen Kindergarten gegangen.
Über was haben Sie sich so richtig ärgern müssen?
Dass es einfach nicht möglich ist, nicht mehr nötige Ausgaben und Beamte zu kündigen. Die Beamten heißen heute vielleicht anders, aber sie sind da. Und das kostet Geld. Bei der Abgabenquote sind wir unter den Top 5 in Europa. Übersetzt heißt das: Der Staat behält die Hälfte der Einnahmen für sich. Und trotzdem fallen wir in vielen Rankings zurück, etwa bei der Umwelt. Wir tun zu wenig für die Reduzierung von Stickoxid und CO2, wir haben einen hohen Feinstaubanteil. Zweifelsohne Dinge, die gesundheitsschädlich sind.
Was wäre Ihr Vorschlag?
Das ist auch so ein Ärgernis: Trotz 30 Jahren an Vorschlägen ist das Steuersystem weiterhin kontraproduktiv. Wir belasten die Arbeit zu viel, dafür aber Emissionen, den Verbrauch an Umwelt, Tabak und Alkohol zu wenig. Die Sachen, die man verhindern will, verhindert man nicht. Die Konsequenz: Wir sind eines der reichsten Länder und haben trotzdem nur eine mittlere gesunde Lebenserwartung.
Wenn Sie einen der dicken alten Zöpfe abschneiden könnten, welcher wäre das?
Ich würde die Ausgaben zwischen Bund und Ländern entflechten.
Das heißt Steuerhoheit für die Länder?
Das muss gar nicht sein. Aber wenn der Bund Geld gibt, muss er Ziele vorgeben. Wie bei einer Firma, bei der die Zentrale Ziele ausgibt. Wenn die Ziele dann nicht erreicht werden, wird das Management ausgetauscht.
Das geht bei Landeshauptleuten wohl schlecht?
Stimmt, aber eigentlich brauchen wir einen CEO (Vorstandsvorsitzenden, Anm.), einen Verwaltungsmanager. Und man muss die Aufgabenteilung exakt formulieren. Schule zum Bund, Gesundheit zu den Ländern oder umgekehrt. Auch die Bauordnung gehört vereinheitlicht.
Wie würden Sie eine Steuerreform angehen?
Ich war bei zwei Steuerreformen dabei, und sie waren nie so groß, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Energiesteuer ist so ein Beispiel, wie alles zusammenhängt. Ich würde die Steuern auf fossile Energien jedes Jahr um zehn Prozent erhöhen. Damit senken wir dann die Steuern auf Arbeit, in den unteren Einkommensbereichen stärker. Dadurch würde es mehr Gerechtigkeit geben. Die Industrie hätte eine bessere Kostenposition, und man könnte mehr für die Forschungsförderung ausgeben. Wachstum sollte mit weniger Ungleichheiten und mit ökologischer Exzellenz verbunden sein. Die Dekarbonisierung (weniger CO2, Anm.) bringt am Anfang Aufwand. Aber man sollte es jetzt machen, jetzt brauchen wir das Wachstum.
Der Staat kann sich derzeit praktisch zum Nullzins verschulden. Sollte man das nicht ausnützen?
Aber zuerst muss man andere Dinge angehen, etwa einfachere Gewerbezulassungen, Umschichtungen für mehr Bildung. Wenn man das alles macht, bin ich gerne bereit, eine langsamere Entschuldung zu akzeptieren. Aber sicher nicht business as usual. Nicht so wie Frankreich, die einfach die Militärausgaben erhöht haben. Das ist nicht nachhaltig.
Wo sehen Sie Österreich in zehn Jahren?
Wenn wir weitermachen wie bisher, fallen wir auch bei den Einkommen ins Mittelfeld. Die Arbeitslosigkeit steigt auf zehn Prozent, in der Gesellschaft findet eine Polarisierung statt. Gegen Flüchtlinge werden immer mehr Zäune gefordert.
Die Alternative?
Qualifizierung und Geld für Umwelttechnologien. Wir haben die Ostöffnung gut genützt, aber nicht für die intelligente Diversifizierung der Wirtschaft.
Die Flüchtlinge kommen aber auch, wenn wir mehr für die Umwelt tun ...
Ja, aber bei einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent oder mehr sinkt die Arbeitslosigkeit. Dann gehen die Emotionen zurück, und es ist mehr Geld für die Integration da.
Haben Sie als Wirtschaftsforscher nicht oft den Vorwurf gehört, dass Ihre Prognosen nie eintreffen?
Die gerechte Latte ist nicht, ob Prognosen stimmen, sondern ob die Erwartungen in der Politik und der Wirtschaft stimmen. Prognosen sind wie Leitplanken, um Gefahren zu erkennen und sich auf Alternativen einzustellen. Wenn die Krise da ist, kann man kein Konjunkturpaket mehr machen.
Sehen Sie eine Krise im Anmarsch?
Nein. Wir haben heute deutlich höhere Eigenkapitalquoten. Es gibt Rettungsfonds, und die Budgets sind auch etwas besser.
Nach Jahrzehnten am Wifo gehen Sie jetzt einfach in Pension? Schwer vorzustellen ...
(grinst) Ich habe noch Vorlesungen an der Wirtschaftsuni. Und ich gründe ein Querdenker-Forum für Europa, die Kerngruppe hat 15 Leute.
Ein neues Institut?
Nein, ein Diskussionsforum, von dem es Kommentare geben wird.
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