Materielle Werte zählen

A woman shops in a Louis Vuitton store during Vogue's 4th Fashion's Night Out: Shopping Night with Celebrities in downtown Shanghai September 7, 2012. Louis Vuitton is courting China's wealthy with one-of-a-kind shoes and bags it is branding as unique works of art to reclaim its exclusive cachet in the luxury market. REUTERS/ Carlos Barria (CHINA - Tags: FASHION BUSINESS SOCIETY WEALTH)
In Mitteleuropa steigt die Bedeutung der materiellen Werte. Und in China?

Westlicht, Wien: Ein Fotoapparat wurde hier kürzlich um 1,68 Millionen Euro versteigert. Die Leica M3D war einst im Besitz des legendären Pablo-Picasso-Fotografen David Douglas Duncan. Was für den einen diese sündteure Leica, ist für den anderen eine Stunde im Kaffeehaus, ganz alleine, ohne Kinder, ohne Kunden. Luxus ist vielschichtig, ist materiell und immateriell, wird je nach Gesellschaft leise mit Understatement getragen oder laut mit schrillen Initialen gezeigt. Aber Saison hat Luxus immer.

Der Umsatz der Luxusbranche soll 2012 global um zehn Prozent auf 212 Milliarden Euro wachsen. Die USA ist der größte Markt. Noch, denn die Nummer zwei, China, holt in rasantem Tempo auf. Konzerne bemühen sich schon länger, in China Fuß zu fassen. Hermes wagte sich im Juli als erster westlicher Konzern mit einer eigenen originär chinesischen Luxusmarke, dem Label Shang Xia, auf den Markt. Der französische Konzern PPR wählte den Weg über eine lokal bereits vorhandene Marke. Und übernimmt nach eigenen Angaben vom Montag einen Mehrheitsanteil am Juwelier Qeelin.

Abkühlung

Experten befürchten, dass sich die konjunkturelle Abkühlung in China auf den Run auf die Luxusartikel auswirken könnte. Zuletzt spürte Richemont – Hersteller von Cartier, IWC und Jaeger-LeCoultre – trotz eines soliden ersten Halbjahrs 2012/’13 ein deutlich geringeres Interesse der Konsumenten in den wichtigsten Märkten Asiens. Markenexperte Klaus-Dieter Koch meint süffisant: „Die Schweizer hatten scheinbar Klebstoff an ihren Produkten“ (siehe Interview unten).

Auch Edeljuwelier Tiffany hat nach einem enttäuschenden dritten Quartal – der Gewinn brach um 30 Prozent ein – seine Erwartungen an das Gesamtjahr zurückschrauben müssen. Schuld daran war nicht der schwache Euroraum – hier wuchs der Umsatz um sechs Prozent. Im amerikanischen Raum aber nur um drei Prozent und in der asiatisch-pazifischen Region um zwei Prozent. Doch die guten Zahlen in Europa gehen wohl auch auf das Konto asiatischer Touristen. Immerhin geht laut Bain and Company ein Drittel der Umsätze in Europa in der Luxusindustrie auf chinesische Verbraucher zurück.

Luxus wird wieder wichtig

Auch wenn die Hersteller derzeit eine Abkühlung plagt, der chinesische Markt ist ihre Zukunft. Zwei Drittel der Bevölkerung gehen davon aus, dass sich der materielle Luxus in ihrem Land verstärken wird, zeigt die neue Luxusstudie von Brand:Trust. 37 Prozent sehen Luxus als größtenteils materiell.

2007 wurde die Studie erstmals durchgeführt. Seither ist viel passiert: Eine Weltwirtschaftskrise, eine Energiewende durch Fukushima, die Eurokrise, der arabische Frühling. Die massiven Veränderungen haben auch das Luxusverständnis wieder verändert und erweitert: Die aktuelle Studie 2012 zeigt, dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wenn auch behutsam, die Bedeutung der materiellen Luxuswerte wieder steigt. Die Autoren interpretieren das als Wunsch nach Absicherung, in einer Zeit, in der nichts mehr berechenbar ist. Nicht die Wirtschaft, nicht das Berufsleben.

Das Verständnis von Luxus verändert sich zudem mit den Lebensjahren. Besonders geschätzt wird materieller Luxus bei den unter 35-Jährigen: Wenn sie sich entscheiden müssten, würden sie eher ein Luxusprodukt kaufen (56 %), statt eine Auszeit zu nehmen. Ebenso stieg die Anzahl derer, die materiellen Luxus begehren, bei den über 65-Jährigen. Dazwischen schätzt man Work-Life-Balance – den Kaffee ohne Kinder oder Kunden.

Je größer der Wohlstand einer Gesellschaft, desto leiser und diskreter ist laut Brand:Trust das Luxusverständnis. Der Besitzer der Millionen-Leica wird mit seinem Kauf vermutlich nicht prahlen oder Urlaubsfotos in China schießen. Er wird sie pflegen, bis sie eines Tages wieder den Besitzer wechselt. Luxus ist eben nur eine Momentaufnahme.

Das obere Zehntel

Die Studie von brand:trust wurde 2007 zum ersten Mal in der DACH-Region  durchgeführt, 2012 wurden auch die USA und China in das Studiendesign aufgenommen. Der Studienfokus lag auf Personen aus dem höchsten Einkommenszehntel. Für Österreich und Deutschland galt ein Mindesteinkommen,  das mehr als  38.400  Euro netto pro Jahr beträgt, für die Schweiz mehr als  96.000 Franken (rund 79.376 Euro)  netto pro Jahr, die USA   mehr als  96.000 US-Dollar  pro Jahr  (rund 74.298 Euro) und China mehr als  150.000 Yuan  pro Jahr (rund 18.643 Euro). Insgesamt wurden 1494 Menschen im Juli und August  befragt.

KURIER: Wie definieren Sie Luxus?
Klaus-Dieter Koch: Luxus ist, was knapp ist. Für ältere Leute ist es Zeit, für Kranke die Gesundheit, für Kinder in Afrika das Lebensmittel. In Wohlstandsgesellschaften sind eine intakte Familie und Freunde die großen immateriellen Luxusthemen.

China war in den vergangenen Jahren Treiber der Luxusbranche. Wie lange wird man sich darauf verlassen können?
Wir haben aktuell erfahren, dass auch in China große Schwankungen zu erwarten sind. Das betrifft zwar die breite Front, aber gespart wird vor allem beim Überflüssigen – das heißt beim Luxus. Die Schweizer Luxusuhrenindustrie hatte im dritten Quartal in China scheinbar Klebstoff an den Produkten. Die hatten ein zweistelliges Minus in China. Da geht es gerade richtig zur Sache. Alle sind noch ein bisschen in Schockstarre – sagen nichts – und hoffen auf das Weihnachtsgeschäft.

Das Luxusverständnis ist in China im Gegensatz zur DACH-Region sehr materiell.
Unsere Studienergebnisse zeigen, dass 90 Prozent der Chinesen materielle Anschaffungen einer Auszeit vorziehen würden.

Ihrer Studie nach steigt die Bedeutung der materiellen Luxuswerte nach der Krise aber auch in der DACH-Region wieder an.
Bei drohender Inflation gibt man das Geld lieber wieder aus. Oder man kauft etwas, um das Geld in Sicherheit zu bringen. Die Haupterkenntnis ist, dass sich Luxus parallelisiert hat. Wir frönen alle unserem materiellen Luxusbedürfnis. Aber gleichzeitig versuchen wir, diesen immateriellen Luxus zu haben. Das Erlebnis ist der neue Luxus.

Macht das den Luxuskonsumenten nicht zum Albtraum jedes Luxusherstellers?
Ja. Altes Geld tendiert eher zum Immateriellen, neues zum Materiellen. Das Interessante ist, dass bei uns beides existiert. Beispielsweise kämpft das Hotel Sacher nicht gegen andere Hotels, sondern gegen den Uhrenhersteller. Man wählt, ob man der Frau ein Wochenende in Wien im Hotel Sacher oder eine Uhr schenkt. Und auch der faire Handel und E-Mobilität driften in diese Luxusthematik hinein. Der e-Smart, der in Kürze auf den Markt kommt, kostet mit Grundausstattung 18.000 Euro. Jung, weiblich, urban, das sind die Treiber der Nachhaltigkeit – nicht alte Männer vom Land.

In China wird laut Studie viel Wert auf Nachhaltigkeit bei Luxuswaren gelegt – hat Sie das Ergebnis gewundert?
Das Ergebnis hat mich sehr gewundert. Wir kennen China ja nur als Umweltsünder. Aber: Wenn man in einer Welt aufwächst, in der man das gegenüberstehende Gebäude wegen des Smogs nicht sehen kann, beginnt man wahrscheinlich über solche Themen nachzudenken.

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