Marktlücke für Ochsenherz-Tomaten

Landwirtschafts- und Umweltminister Rupprechter (li.) im Gespräch mit dem Botanik-Professor Michael Kiehn: „Sehnsucht der Konsumenten nach Identität und Herkunft“.
Der Umweltminister und der Chef des Botanischen Gartens über den Wert alter Sorten, TTIP und Gentechnik.

KURIER: Im Botanischen Garten fand im April wieder die Raritätenbörse statt. Beobachten Sie eine Renaissance alter Sorten?

Michael Kiehn: Es gibt ein stark gestiegenes Bewusstsein für die Vielfalt von Nutzpflanzen.

Andrä Rupprechter: Wir unterstützen den Trend zu alten Sorten in der Landwirtschaft. Schon beim EU-Beitritt war die Strategie: flächendeckende Ökologisierung der heimischen Landwirtschaft. Mittlerweile sind wir Bio-Land Nummer eins mit fast 20 Prozent Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Hat unsere Landwirtschaft in einer globalisierten Welt mit riesigen Monokulturen eine Chance?

Kiehn: Ich komme gerade aus den USA, und es ist spannend zu beobachten, dass wir in diesem Bereich international positiv wahrgenommen werden. Österreichische Konsumenten sind auch bereit, mehr für "bio" zu zahlen.

Gäbe es denn in den USA eine Marktlücke, etwa für Ochsenherz-Tomaten?

Kiehn: Ganz sicher! Auch in Amerika gibt es einen Trend zu "Organic"-Produkten. Aber während bei uns das Know-how noch vorhanden war, müssen es die Amerikaner gerade neu erfinden. US-Gastronomen, die Bio-Salat auf ihre Karte schreiben, haben Mühe, diesen in ausreichender Menge zu bekommen.

Gibt es Sorten, die unwiederbringlich ausgestorben sind?

Kiehn: Bei Paradeisern gibt es eine Vielzahl geschmacklich spannender Sorten, die weg sind, weil sie zum Beispiel nicht lagerfähig waren.

Rupprechter: Ich beobachte so etwas wie eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Diese ist zwar nicht aufzuhalten ...

Kiehn: ... und hat auch durchaus ihre Vorteile ...

Rupprechter: ... aber es gibt eine Sehnsucht der Konsumenten nach Identität und Herkunft. Man wünscht sich nachvollziehbare Produktionsverhältnisse.

Aber wir leben eben nicht mehr in der Steinzeit.

Kiehn: Nein, und Steinzeitprodukte würde auch niemand wollen. Auch die Ochsenherz-Tomate ist eine Züchtung.

Rupprechter: Die Zillertaler Brauerei züchtet zum Beispiel wieder eine alte heimische Gerstensorte, die auf 1500 Meter Seehöhe wächst.

Kiehn: In einer Zeit, wo auf Hochleistungsproduktion hin selektiert wurde, sind viele lokale Sorten verloren gegangen. Betrachten Sie den Maschansker-Apfel. Er hat alle zwei, drei Jahre einen Komplett-Ausfall und ist außerdem nicht lagerfähig. Dabei ist es der beste Apfel zum Schnapsbrennen. Auch für Kreuzungen ist er spannend.

Was spricht gegen gentechnisch veränderte Pflanzen, wenn Kreuzungen o. k. sind?

Kiehn: Ich bin nicht nur Botaniker, sondern auch Genetiker und sehr glücklich, dass das Freisetzen gentechnisch veränderter Organismen bei uns verboten ist. Man muss sich jeden Organismus und jede Veränderung in einer Risikoabschätzung anschauen.

Was könnte gefährlich sein?

Kiehn: Wenn ich Resistenzgene aus tierischen Organismen in Pflanzen übertrage, entsteht das Risiko, diese Resistenzen unbeabsichtigt auch in andere Pflanzengruppen zu übertragen. Niemand weiß, wie der menschliche Organismus darauf reagiert.

Wobei keine Studie eine Gesundheitsgefahr bewiesen hat.

Rupprechter: Für uns gilt das Vorsichtsprinzip. Außerdem ist unsere naturnahe Landwirtschaft ein Alleinstellungsmerkmal am Markt.

Und wie ist es bei Pestiziden? Weniger Fruchtfolge verursacht mehr Pestizideinsatz: siehe den Maisanbau in der Steiermark.

Rupprechter: Wir diskutieren die Pestizid-Anwendung auch mit Nichtregierungsorganisationen, um den richtigen Ansatz zu finden. Gerade in der Steiermark gibt es ein Umdenken. Der steirische Landtag hat sogar ein Fruchtfolgegesetz beschlossen.

Kiehn: Wir sind noch nicht überall dort, wo ich es mir als Naturschützer vorstellen würde. Aber es gibt sehr gute Ansätze. Dazu zählt auch, Brachflächen für die Biodiversität zu erhalten.

Dafür gibt es sogar Förderung!

Rupprechter: Das neue Agrarumweltprogramm sieht zum Beispiel vor, Ackerrandstreifen als Bienenweiden zu erhalten. Auch Hecken dürfen nicht mehr so einfach ausgerissen werden.

Kiehn: Das muss auch gepflegt werden. Daher sind Förderungen wichtig.

Zuletzt gab es ein besonders starkes Bienensterben, woran nicht mehr die Saatgutbeize schuld sein kann, die ja seit 2014 eingeschränkt ist. Warum sterben die Bienen noch immer?

Rupprechter: Vor allem in milden Wintern scheint die Varroah-Milbe eine große Rolle zu spielen. Unser Ziel ist es, in drei Jahren wieder über 400.000 Bienenstöcke in Österreich zu haben. Dazu würde es schon reichen, wenn jeder heimische Imker um einen Bienenstock mehr hätte.

Ein Problem ist angeblich die Inzucht bei den Bienenvölkern.

Rupprechter: Daher fördern wir zum Beispiel das Projekt "schwarze Biene" in Tirol.

Kiehn: Bei uns im Botanischen Garten haben wir bewusst keine Bienenstöcke, dafür 130 Wildbienen-Arten. Man kann schon mit kleinen Aktionen wahnsinnig viel für die Artenvielfalt tun.

Während der Konsument bei Gemüse auf "bio" achtet, zählt beim Fleisch nur der Preis.

Rupprechter: Stimmt. Wir versuchen, das Bewusstsein dafür zu stärken und wollen, dass bei Großkunden der Bestbieter und nicht nur der Billigstbieter zum Zug kommt. Da zählt auch der ökologische Fußabdruck.

Sind wir Avantgarde oder nur gallisches Dorf in einer globalisierten Welt?

Rupprechter: Die USA haben weniger Biobauern als Österreich! Unsere Landwirtschaft könnte vom Handelsabkommen TTIP profitieren, wenn es richtig verhandelt ist.

Die Österreicher ängstigen sich, dass die US-Kultur die europäische niederwalzt.

Kiehn: Wir dürfen unsere hohen Standards nicht opfern. Man vergisst aber, dass die USA zum Beispiel bei Lebensmittelkennzeichnung deutlich exakter und transparenter sind als wir.

Rupprechter: So ein Abkommen soll keine Nivellierung nach unten bringen. Schiedsgerichte, die den Gesetzgeber aushebeln können, wollen wir nicht. Auch nicht, dass Konzerne Staaten erpressen können. Aber wir brauchen einen Schutz, damit Firmen nicht ihre Investition durch eine plötzliche Änderung des Gesetzgebers verlieren.

Wie stehen die Chancen, dass TTIP wirklich kommt?

Rupprechter: 50:50. Es ist gut, wenn unproduktive Handelsbeschränkungen fallen.

Kiehn: Mir liegt noch etwas ganz anderes am Herzen: Die Regierung hat zwar eine ambitionierte Biodiversitätsstrategie beschlossen, kürzt aber das Budget dafür im Naturschutz- und Wissenschaftsbereich. Für Wildpflanzensamenbanken fehlt zum Beispiel zunehmend das Geld.

Rupprechter: Für den Naturschutz sind vor allem die Bundesländer zuständig. Diese Verantwortung werden wir einmahnen. Österreich ist eines der artenreichsten Länder – eine dieser Arten habe ich kürzlich in den Katakomben des Stephansdoms besucht: den Sankt Stephans-Kugelspringer, eine winzige Springschwanz-Art. Dieses Insekt gibt es nur dort.

Kiehn: Auch im Pflanzenbereich haben wir besondere Verantwortung für den Artenschutz. Dafür brauchen wir nachhaltige Finanzierung.

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