Der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeitmodellen könnte die Unternehmen des Fachverbands Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI) teuer zu stehen kommen. Nach dem Abbruch der Lohnrunde in der Nacht auf Mittwoch haben die Gewerkschaften Pro-Ge (Metaller) und GPA (Angestellte) die 120.000 Beschäftigten der Branche ab kommenden Dienstag zum unbefristeten Streik aufgerufen.
„Grauslichkeit“
Die Schuld am eskalierenden Arbeitskampf geben Pro-Ge-Chef Rainer Wimmer und GPA-Chefverhandler Karl Proyer den Arbeitgebern. Diese hätten auch in der vierten Verhandlungsrunde darauf bestanden, dass es Lohnerhöhungen nur gibt, wenn die Gewerkschaft im Gegenzug neuen Arbeitszeitregeln zustimmt. Das Arbeitszeitkonto sei aber eine „Grauslichkeit“, mit denen sich die Unternehmen nur Überstundenzuschläge sparen wollten. Das Modell sieht vor, dass das Zeitkonto bis zu einem Arbeitsmonat (167,5 Stunden) im Plus oder im Minus sein kann. Für diese Mehrstunden gebe es keine Zuschläge, sie sollen mit langen Durchrechnungszeiträumen, die auf Betriebsebene festgelegt werden sollen, 1:1 in Zeit abgegolten. Damit würden Auftragsschwankungen, kritisieren die Gewerkschafter, zur Gänze auf die Arbeitnehmer abgewälzt. Wimmer: „Wir lassen nicht zu, dass den Arbeitnehmern unter dem Titel Flexibilisierung Zuschläge weggenommen werden.“
APA/GEORG HOCHMUTHAPA5456952-2 - 05102011 - WIEN - ÖSTERREICH: Der stellvertretende Geschäftsf#25r drer der jp, Krrl Proyer, am Mittwoch, 05. Oktober 2011, 011, während einer Pressekonferenz in Wien anlässlichKolleKollektivvertragsverhandlunetallindu
Schon im Vorjahr waren vier Verhandlungsrunden nötig ehe sich Arbeitgeber und Gewerkschaft einig wurden. Die letzte Runde etwa dauerte 17 Stunden. Ergebnis: bis zu 3,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Als Verhandlungsbasis wurde wie jedes Jahr die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate herangezogen, sie lag damals bei 2,8 Prozent.
Entgegen dem Wunsch der Arbeiter wurde heuer zum zweiten Mal nicht für alle Verbände gemeinsam verhandelt, sondern die sechs Fachverbände traten einzeln an. "Die ehemalige Metallerrunde gibt es nicht mehr", stellte Christian Knill, Fachverbandsobmann der Maschinen- und Metallwarenindustrie (MMI) heuer im Vorfeld schon klar.
Aus Sicht des FMMI gebe es keinen "Metaller-KV" und habe es diesen auch nie gegeben. Der Kollektivvertrag sei immer selbstständig geschlossen worden, es habe nur eine "freiwillige Verhandlungsgemeinschaft" gegeben - die jetzt nun mal nicht mehr gelte.
Im vorigen Jahr hatten die Gewerkschaften jedoch durchgesetzt, dass alle Verbände trotz eigenständiger Verhandlungen nahezu idente Lohnabschlüsse bekommen.
Am 20. September fand traditionell in der Wirtschaftskammer die Übergabe des Forderungskataloges der Gewerkschaft an die Fachverbände statt und schon kam es zum ersten Eklat.
Gern hätten die Gewerkschaften allen sechs Arbeitgeberverbänden ihren Forderungskatalog übergeben. Dazu sahen wiederum drei der sechs Fachverbände keinen Anlass, schließlich verhandle man ja auch nicht gemeinsam. Anwesend waren die Verbände Fahrzeugindustrie, Gießereien und Gas- und Wärmeerzeugung.
Die Positionen: Bei der Inflationsrate, die Verhandlungsbasis ist, waren sich beide Seiten gar nicht einig. Der FMMI wollte von der aktuellen monatlichen Inflationsrate ausgehen - im August lag diese bei 1,8 Prozent. Die Gewerkschaften Pro-Ge und GPA hingegen gingen von selbst berechneten 2,4 Prozent aus.
Weiterer großer Streitpunkt war einmal mehr die Arbeitszeit - im Vorjahr bleib dieses Thema großteils ausgespart. Hier hätte die Industrie gerne längere Durchrechnungszeiträume, die Gewerkschaften interpretierten es als Anschlag auf die Überstundenzuschläge.
Am 24. September dann fand die erste KV-Runde statt – mit dem größten der sechs Verbände, dem der Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI) mit 1.200 Betrieben und 120.000 Beschäftigten und wurde nach gut siebenstündigen Verhandlungen wenig überraschend unterbrochen.
Die Arbeitgeber suchten dabei einen Abschluss mit "Augenmaß und Vernunft" und argumentierten mit "sinkenden Erträge und rückläufigen Aufträgen". "Wir haben den Gewerkschaften die aktuellen Zahlen präsentiert - und die sind nun mal besorgniserregend", so Veit Schmid-Schmidsfelden (Bild, l.), einer der beiden Chefverhandler neben Johannes Collini auf Arbeitgeberseite.
Demnach haben die ersten fünf Monate 2013 ein Minus bei den Auftragseingängen von gut fünf Prozent gebracht, während die abgesetzte Produktion auf niedrigem Niveau stagnierte bzw. leicht rückläufig war.
Die Gewerkschaften hatten schon zu Verhandlungsbeginn betont, dass das "düstere Bild" der Arbeitgeber nicht stimme und sprachen von "stabilen Verhältnissen auf hohem Niveau".
Am 1. Oktober setzte man sich zur zweiten Verhandlungsrunde zusammen – auch hier ohne Ergebnis. "Leider aber war es auch heute nicht möglich, mit den Gewerkschaften darüber zu reden, wie wir Arbeitsplätze sichern können, den Standort wettbewerbsfähig halten und gute Lösungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fixieren", so FMMI-Obmann Christian Knill im Anschluss. Themen waren vor allem Arbeitszeitregelungen bzw. Überstundenzuschläge.
Eine Woche später nannte die Gewerkschaft erstmals eine konkrete Zahl: eine Anhebung der Gehälter um 100 Euro bzw. mindestens 3,4 Prozent. Das sei "gerechtfertigt" und "nicht überzogen", so Proyer.
Neben der Lohnerhöhung wurde auch eine Verbesserung der Anrechnung der Karenzzeiten gefordert. Bei besonders belastenden Arbeitszeitformen (Schicht- bzw. Nachtarbeit) sollte die Arbeitszeit verkürzt werden.
Dritter Termin war der 15. Oktober. Am Tag davor brachte die Industrie das Thema Rauchpausen aufs Tapet. Demnach sollten Rauchpausen während der Arbeitszeit künftig als Freizeit gelten. Dem erteilten die Gewerkschaften schnell eine Absage. Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer meldete sich zu Wort: "Ich nehme das nicht ernst".
Die dritte Verhandlungsrunde wurde nach neun Stunden abgebrochen. Auslöser war das Angebot der Industrie, die Löhne um lediglich zwei Prozent, maximal aber 70 Euro anzuheben, ebenso sollten die Einstiegslöhne für Neueinsteiger nicht angehoben werden.
Zusätzlich war das Angebot an eine Bedingung geknüpft – nämlich dass die Arbeitgeber-Forderung nach einem Zeitkonto erfüllt wird. Das Zeitkonto soll Zeitschulden und Zeitguthaben von minus 167,4 Stunden bis zu plus 167,4 Stunden ermöglichen. Mehrarbeitsstunden sollen ohne jeglichen Zuschlag auf das Konto verbucht werden. Im Kollektivvertrag soll es keine Begrenzung des Durchrechnungszeitraumes geben, diese soll auf Betriebsebene ausgehandelt werden. "Das sind Lohn- und Gehaltskürzungen durch die Hintertür", reagierten Wimmer und Proyer.
Für den nächsten Tag wurden Betriebsversammlungen angekündigt, um über die weitere Vorgangsweise zu beraten. Das Angebot der Verbände bezeichnete die Gewerkschaft als eine "einmalige Provokation in der Geschichte der österreichischen Sozialpartnerschaft".
Einen Tag vor der vierten Verhandlungsrunde am 22. Oktober erhöhte die Gewerkschaft mit Kundgebungen den Druck: Über 600 Teilnehmer kamen zur Rupert Fertinger GmbH von Geschäftsführer Schmid-Schmidsfelden in Wolkersdorf, rund 500 zur Firma Collini in Hohenems und 900 zur Mosdorfer GmbH der Knill-Gruppe in Weiz, um sozialpartnerschaftliche Verhandlungen und gerechte Lohn- und Gehaltserhöhungen zu fordern.
Die Mosdorfer GmbH wurde deshalb als Ziel ausgewählt, weil Chefverhandler und Fachverbandsobmann Christian Knill dort geschäftsführender Gesellschafter ist. "Wir sind die Machtdemonstrationen der Gewerkschaften gewohnt, akzeptabel finde ich sie in dieser persönlichen Form nicht", so Knill. Für 22. Oktober ist der vierte Termin anberaumt.
Wie schaut es mit den anderen Verbänden aus? Am 16. Oktober haben die Gespräche mit dem Fachverband der Nichteisen-Metallindustrie begonnen. Während der ersten sieben Stunden kam man hinsichtlich der Inflationsrate der letzten zwölf Monate überein. Man einigte sich auf 2,3 Prozent. Am 31. Oktober wird weiterverhandelt.
Der Fachverband Bergbau-Stahl nahm am 17. Oktober Gespräche auf. Sieben Stunden dauerten sie - eine Inflationsrate von 2,3 Prozent als Berechnungsgrundlage wurde ausgemacht. Das nächste Treffen ist für 25. Oktober festgesetzt.
FMMI-Obmann Christian Knill weist die Schuld den Gewerkschaften zu: „Wir sind den Arbeitnehmern auch beim Thema Arbeitszeit weit entgegengekommen, aber sie haben sich nicht bewegt.“ Konkret seien die Unternehmen bereit gewesen, Lohnrunde und Arbeitszeitverhandlungen zu trennen. Aber: „Wir wollten einen genauen Zeitplan für die Arbeitszeitgespräche festlegen. Dazu war die Gewerkschaft nicht bereit.“ Und die Forderung, Arbeitszeitmodelle nur im Verbund der insgesamt sechs Metaller-Fachverbände zu verhandeln, sei für den FMMI unannehmbar.
Der angekündigte Streik vertieft die Gräben zwischen den ohnehin zerstrittenen Verhandlungspartnern weiter. Der Ausstand koste – so Knill – die Unternehmen viel Geld, das für Investitionen und letztlich auch für Lohnerhöhungen fehle. Für zusätzlichen Ärger sorgt auch die Diskussion darüber, ob es in Österreich ein Recht auf Streik gibt (siehe Beitrag rechts). Nicht beziffern will die Branche derzeit, was sie ein Streiktag kostet. Das hängt letztlich auch davon ab, ob die Firmen – wie bisher meist üblich – nach der Beilegung des Streits die Löhne und Gehälter für die Zeit der Arbeitsniederlegung bezahlt.
Ob und wann weiterverhandelt wird, ist offen, eine Entscheidung darüber dürfte frühestens am Wochenende fallen. Selbst wenn bis kommenden Montag ein Kompromiss im Arbeitszeit-Streit erzielt und der Streik abgeblasen wird, liegen die Vorstellungen noch weit auseinander. Die Gewerkschaften fordern 100 Euro brutto monatlich, mindestens aber 3,4 Prozent mehr. Die Arbeitgeber boten zuletzt eine Ist-Lohn-Erhöhung von 2,3 Prozent, erhöht werden sollten entgegen früheren Absichten der Arbeitgeberseite auch die kollektivvertraglichen Mindestlöhne und damit die Einstiegsgehälter.
Österreich ist anders. Während in Deutschland ein umfangreiches Streikrecht existiert, fehlt hierzulande eine adäquate Regelung. Es gibt lediglich eine Art Gewohnheitsrecht. Bei Detailfragen gibt es unterschiedliche Interpretationen.
„Es gibt kein Streikrecht. Dieses Recht ist verfassungsrechtlich nicht abgesichert, es gibt aber auch kein gesetzliches Verbot“, so Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich. Die Gewerkschaften hingegen sehen das Streikrecht in der Verfassung und der europäischen Menschenrechtskonvention abgesichert.
Es gibt auch keine Judikatur dazu, ob Streikende entlassen werden dürfen. Die Meinungen dazu gehen auseinander. Bisher ist es jedenfalls noch nicht passiert.
Anders als in Deutschland haben Unternehmer in Österreich nicht das Recht bei einem Streik die Belegschaft auszusperren.
Arbeitnehmer haben während des Streiks kein Recht auf Lohnfortzahlung. Bisher war es aber immer so, dass sich die Streitparteien nach Beendigung des Arbeitsausstandes auf die Auszahlung der Gehälter geeinigt haben. Sollte keine Einigung zustande kommen, dann bekommen nur die Gewerkschaftsmitglieder ihre Bezüge aus der Streikkasse ersetzt.
ÖGB -Präsident Erich Foglar kündigte Mittwochabend jedenfalls an, dass der Bundesvorstand am Donnerstag dem Antrag der Pro-Ge auf einen unbefristeten Streik "mit Sicherheit zustimmen“ werde.
Mit der Ankündigung eines unbefristeten Streiks gibt es in der Metallindustrie heuer zum zweiten Mal seit der Jahrtausendwende einen Arbeitskampf in der Metallbranche. 2011 riefen die Gewerkschaften allerdings nur zu einem Warnstreik auf, die nächste Stufe nach unbefristeten Betriebsversammlungen. Diesen Druck bauten sie aber schon nach der zweiten Verhandlungsrunde auf, diesmal sind bereits vier Runden ins Land gezogen.
2011 beteiligten sich an den Warnstreiks rund 160 Firmen, allerdings verhandelten damals noch alle sechs Metallerfachverbände gemeinsam mit den Gewerkschaften Pro-Ge und GPA, seit 2012 verhandelt jeder Fachverband für sich mit den Arbeitnehmervertretern.
Bevor die Warnstreiks 2011 zu einem richtigen Streik ausuferten, trafen sich beide Seiten an einem Sonntag zu Sondierungsgesprächen. Dort wurde vereinbart, am folgenden Montag die Lohnrunde wieder aufzunehmen. Am Dienstagmorgen wurde dann eine Einigung erzielt, im Schnitt gab es für die Arbeitnehmer ein Lohnplus von 4,2 Prozent. Der Industrie kostet der Abschluss 2011 rund 300 Mio. Euro. Als Verhandlungsbasis war damals von einer Inflationsrate von 2,8 Prozent ausgegangen worden.
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