Land der Hämmer und falschen Zähne

Vaduz wurde erst 1938 ständiger Fürstensitz – davor war er in Tschechien und Wien.
Kaum jemand weiß: Die Industrie spielt im Mini-Nachbarstaat eine noch größere Rolle als Banken.

Nicht der schwarze Geldkoffer, sondern ein roter Werkzeugkoffer ist das wichtigste Accessoire. Was kaum jemand über Österreichs Fußball-EM-Qualigegner Liechtenstein weiß: Die Industrie steuert deutlich mehr zur Wertschöpfung bei als die berühmt-berüchtigten Banken und Treuhandfirmen.

Die Bohrhämmer der Marke Hilti kennt man von jeder Baustelle. Der Weltkonzern mit 4,5 Milliarden Franken Umsatz hat seinen Sitz in der Gemeinde Schaan und ist der weitaus größte Arbeitgeber: Von 22.200 Mitarbeitern arbeitet gut ein Zehntel im kleinen Heimatland.

Auf 160 Quadratkilometern tummeln sich dort 4100 Unternehmen. Das Land ist zum Austausch über die Grenzen hinweg gezwungen, denn der Heimmarkt zählt weniger Einwohner als die Stadt Steyr. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten kommen als Pendler, 43 Prozent davon aus Österreich.

"Liechtenstein lebt freies Unternehmertum", rühmt Erbprinz Alois den Standort. Der 47-Jährige nimmt seit 2004 die Aufgaben des Staatsoberhauptes wahr – früher arbeitete der Regent als Wirtschaftsprüfer in London. Vor 50 Jahren war Liechtenstein noch ein einfacher Bauernstaat, heute ist es die Heimstätte für erstaunlich viele Weltmarktführer: Die Kunstzähne und Dentalprothesen von Ivoclar Vivadent erzielten 2014 in 120 Ländern 761 Millionen Franken Umsatz. Wurst und Tiefkühlpizzen von Ospelt oder Fertiggerichte von Hilcona finden auch bei uns den Weg in Supermarktregale. Und in ihren Nischen sind Audio- und Videostecker von Neutrik und die mobilen Greifbagger von Kaiser ebenfalls Spitze. Swarovski produziert hier Kristallfiguren, die ThyssenKrupp-Tochter Presta fertigt Lenksysteme.

Seit 1924 ist der Schweizer Franken die Landeswährung. Das verursacht im Moment große Probleme: Liechtensteins Exporteure leiden unter dem hohen Wechselkurs, der ihre Produkte für Abnehmer im Euro- und Dollarraum massiv verteuert. Das betrifft auch Finanzinstitute, deren Erträge in Euro, aber Löhne in Franken anfallen, sagt Simon Tribelhorn, Geschäftsführer des Bankenverbandes.

Finanzplatz im Wandel

Der Finanzplatz Vaduz hatte nach dem Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1995 explosionsartig expandiert. Mit 17 Banken und Hunderten Treuhandgesellschaften wurde der Sektor groß wie in keinem anderen Land – außer Luxemburg.

Doch das Geschäftsmodell Steueroase hat ausgedient. Nicht ganz freiwillig: "Stunde null" war 2008, als geleakte Kontodaten die Affäre um die Fürstenbank LGT platzen ließen. Hunderte Kunden wie Ex-Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel waren als Steuersünder geoutet; Vermögen in Milliardenhöhe wurden abgezogen. Seither setzen die Banken auf Ehrlichkeit. "Wir sind mittendrin im Transformationsprozess", sagt Tribelhorn. Ein Meilenstein ist der automatische Austausch von Bankdaten, der bis Ende 2015 in Gesetzesform gegossen sein muss.

Steuersünden von Österreichern sollte das Abkommen von Anfang 2014 ausgeräumt haben. Dass "Abschleicher" wie aus der Schweiz ihr Geld noch rasch nach Österreich rücküberwiesen haben könnten, schließt Tribelhorn aus. Der Verband habe im September 2012, als die Verhandlungen ruchbar wurden, Richtlinien gegen die Flucht vor dem Abkommen erlassen: "Es sollte also keine Abschleicher-Thematik geben." Wenn sich alle Institute daran gehalten haben.

Seit zwei Jahren fließen Liechtensteins Banken unterm Strich wieder Kundenvermögen zu – vor allem aus neuen Märkten in Osteuropa, Asien und dem Nahen Osten.

Fläche Mit 160 der sechst-kleinste Staat

Bevölkerung 37.370 Einwohner, ein Drittel davon Ausländer

38 % Die Industrie trägt mehr zur Wertschöpfung bei als Finanz- (24 %) oder andere Dienstleistungen (29 %)

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