Lenzing-Chef: "Österreich braucht mehr Chemiker"

Der Lenzing-Chef führt die Faser vor: Sie entsteht aus Holz und wird zu Garn weiterverarbeitet.
Lenzing-Chef Untersperger hält die Abwanderung von Technikern für ein zunehmendes Problem.

Eine Regierung mit Bekenntnis zur Industrie und Aktienkultur: Das wünscht sich Lenzing-Vorstandsvorsitzender Peter Untersperger.

KURIER: Wie sehr leidet Lenzing als globalisiertes Unternehmen unter den schwächelnden internationalen Baumwollpreisen?

Peter Untersperger: Wir hatten in den letzten drei Jahren einen Preisverfall von über 40 Prozent bei Viskose, weil sich die Faserpreise am Baumwollpreis orientieren. Da gab es ein Überangebot, vor allem aus China. Am Weltfasermarkt ist China zu 50 bis 60 Prozent der Produktionsmarkt, aber auch zu 50 bis 60 Prozent der Konsumentenmarkt. Das macht China natürlich als strategischen Markt sehr attraktiv.

Müssten Sie mittlerweile nicht alles nach Asien verlegen?

Wir machen 65 Prozent unseres Geschäfts mit Asien. Aber so etwas wie die Tencel-Anlage, die wir hier in Oberösterreich gebaut haben, könnten wir anderswo nicht so leicht errichten. Da geht es um Planung, Fachkräfte und Know-how-Schutz. Diese weltweit größte Maschine kann 67.000 Tonnen Cellulosefasern jährlich produzieren. Schon aus Risikogründen hätte ich mich in China oder Indonesien nicht getraut, zum ersten Mal so eine Riesenmaschine aufzustellen.

Beim zweiten oder dritten Mal geht das auch woanders?

Das nächste Mal vielleicht in Amerika, aber entschieden ist es nicht. Wir haben an unserem dortigen Produktionsstandort schon ein weiteres Grundstück für eine mögliche Tencel-Anlage gekauft.

Pläne wie die Voest, die groß in Texas baut, haben Sie nicht?

Im Moment nicht, auch wenn wir als energieintensives Unternehmen von den günstigen Preisen profitieren. Aber allein deshalb würden wir nicht gehen. Uns geht’s in erster Linie um den Markt.

Und die Steuervorteile? Die USA rollen den Firmen ja den roten Teppich aus.

Ja, aber gerade in der Textilindustrie brauchen Sie zum Beispiel Färber und Spinner, die das Handwerk verstehen.

Fachkräfte sind für Sie also der entscheidende Faktor?

Ja, wir haben in Österreich immer noch gute Fachkräfte, die den Kostennachteil des Standorts ausgleichen – über Innovation, Erfahrung und Einsatz. Die haben zum Beispiel HTL-Abschluss plus jahrzehntelange Erfahrung.

Sie haben allerdings 600 Jobs abbauen müssen. Traf das nicht oft die Älteren, Erfahrenen?

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Lenzing, Peter Untersperger
Ja und nein. Es sind auch freiwillig Jüngere gegangen, und es gab individuelle Vereinbarungen über Arbeitszeitverkürzungen. Bis auf ganz wenige haben alle wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Gleichzeitig haben wir für die neue Anlage in den letzten zehn Monaten 140 Leute eingestellt. Das sind teilweise sehr hoch qualifizierte Ingenieure, Maschinenführer, Elektriker, Schlosser, Mess- und Regeltechniker.

Viele Firmen beklagen die mangelnde Qualität der Schulabgänger. Haben Sie mit Ihren Lehrlingen auch Probleme?

Wir haben Riesenprobleme, noch dazu wandern die Guten oft nach Bayern aus. Wir bilden natürlich selbst Lehrlinge aus.

Und können die rechnen und schreiben, wenn sie von der Schule kommen?

Die Qualität wurde schlechter. Das unterste Viertel der ganz Schlechten ist mittlerweile das unterste Drittel geworden. Gleichzeitig sind aber auch die Anforderungen an die Lehrlinge in Bezug auf Einsatz, Ausbildung, selbstständiges Lernen und soziale Kompetenz gewachsen.

Gibt’s einen Techniker-Mangel?

Ja. Wir sind ein chemischer Betrieb und haben 150 Leute in der Forschung. Ganz Österreich braucht mehr Chemiker. Die sehr Guten gehen ins Ausland, studieren oft schon dort und kommen nicht mehr zurück. Dieser Brain Drain wird immer kritischer für den Industriestandort Österreich. Wenn man eine Spitzenkraft aus England oder der Schweiz holen will, dann sagen die außerdem: "Was, ich soll hier 50 Prozent Steuern zahlen? Ich bin doch nicht verrückt! Ihr müsst mir den Rest ausgleichen!"

Ihrer Aktie hat der Preisverfall bei Viskose geschadet.

Seit Oktober sind die Preise noch einmal zurückgegangen. Trotz steigender Nachfrage haben wir massive Ergebnisverschlechterungen, machen aber immer noch Gewinn, weil wir stark an der Kostenschraube drehen. Ich bin ein realistischer Optimist: Was so weit unten ist, kann nicht so weit unten bleiben. Wir sind in einer hochattraktiven Industrie, denn wer wächst heutzutage schon?

Was würden Sie sich von der Regierung wünschen?

Zum Beispiel Planbarkeit für die nächsten zehn Jahre. Kommen jetzt Vermögenssteuern? Kostet uns das zwei, drei Millionen Euro im Jahr? Gibt’s einen Eingangssteuersatz mit 20 Prozent? Es wäre auch schön, von Kanzler oder Vizekanzler ein klares Bekenntnis zur Industrie zu hören. Betrachten Sie nur das Energieeffizienzgesetz: Die Deutschen haben das sehr pragmatisch gelöst, während wir wieder Musterschüler spielen, was gar nicht notwendig ist.

Das Verständnis in der Regierung für die Wirtschaft ist nicht groß genug?

Wenn sich bestimmte Minister oder auch der Kanzler damit brüsten, dass sie keine Aktien haben, dann wird das nachgeahmt. Daher haben wir keine Aktienkultur, keine ausgeprägte Kapitalmarktkultur, kaum IPOs (erstmaliger Firmen-Börsegang, Anm.) und keine ausreichenden Vorsorgeeinrichtungen, die Eigentumsrechte an der Börse kaufen.

Ist Lenzing von der Russland-Krise betroffen?

Lenzing-Chef: "Österreich braucht mehr Chemiker"
Lenzing, Peter Untersperger,honorarfrei
Wir haben in Russland wenig Geschäft, das wird nicht versiegen. Aber das alles ist ja erst der Beginn einer Entwicklung. Jetzt folgen die Reaktionen auf die Sanktionen, und die werden Österreich, aber auch Deutschland massiv treffen. Nach dem Winter werden die Gaspreise wahrscheinlich höher sein, und man wird alle Wirtschaftsprognosen für die nächsten Jahre neu schreiben müssen. Das Europa-Wachstum ist passé. Das verstärkt wiederum unsere Standortprobleme im Gesamten.

Sind Sie Sanktionen-Gegner?

In der Geschichte hat man immer mehr erreicht, wenn man sich zusammensetzt.

Wie stark ist die Konsumentenmacht in der Textilproduktion?

Groß. Wir bieten Ikea zum Beispiel zertifizierte Tencel-Heimtextilien an. Da ist keine Kinderarbeit dabei. Wir kennen die Betriebe.

Sie schauen da auf humanitäre Standards?

Ja. Allerdings kann man nicht immer alles mit europäischen Augen betrachten. In manchen Gegenden Afrikas etwa sind die Kinder die Einzigen, die Geld für die Familien verdienen können, weil so viele Erwachsene HIV-infiziert sind.

Werden an eine westliche Firma eigentlich höhere Standards angelegt als an andere?

Ja. In Indonesien haben wir zum Beispiel eine Anlage, zehn Kilometer von einer indischen entfernt. Wir haben dort eine Abwasserreinigung mit österreichischem Standard. Die Inder haben nichts dergleichen, und da kümmert sich auch keiner darum. Ein Inder findet außerdem jahrelang Ausreden.

Darum haben europäische Labels einen besseren Klang.

Aber auch höhere Kosten.

Es heißt, die Chinesen sind nicht mehr nur "Copycat", sondern werden kreativer.

Ja. Wir brauchen immer mehr Standorte in China, um keine Entwicklung zu verpassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Chinesen die Zahl der amerikanischen Patentanmeldungen erreichen.

Die beste Job-Chance bei Ihnen hat also ein HTL-Chemiker, der Chinesisch kann?

Wir haben einen, bräuchten aber zehn.

Zur Person

Peter Untersperger ist seit 1999 Chef der Lenzing Gruppe. Davor war der 54-jährige Oberösterreicher Finanzchef in der indonesischen Lenzing-Tochter South Pacific Viscose.

Nach seinem Doppelstudium (Jus und Wirtschaft) stieg er bei dem global tätigen Unternehmen ein. Untersperger ist auch Vizepräsident der Industriellenvereinigung.

Der Faserhersteller

Lenzing mit Sitz in Oberösterreich wurde vor 75 Jahren gegründet und ist Weltmarktführer bei der Herstellung industriell gefertigter Cellulosefasern. Die technisch ausgeklügelten und ökologisch innovativen Fasern finden sich in Textilien, Baby-Wischtüchern und Damenhygiene-Produkten.

Wegen des Preisverfalls bei Fasern gab es trotz steigender Nachfrage 2013 Gewinneinbruch und Stellenabbau.

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