Kunden tauschen Anonymität für ein paar Cent ein

Kunden tauschen Anonymität für ein paar Cent ein
Konsumenten erwarten von Apps und Kundenkarten Rabatte, Händler das große Geschäft. Supermärkte lernen von Online-Riesen, wie man aus den Daten ein Geschäft macht.

Die Auswertung von Kundendaten zeigt Überraschendes. Etwa, dass junge Väter, die Pampers in den Einkaufswagen legen, auffällig oft auch Bier kaufen. Das soll den US-Händler Walmart in der Vergangenheit sogar dazu bewogen haben, Bier-Aktionen in unmittelbarer Nähe der Windeln in die Regale zu schlichten. Heute schicken Supermarkt-Manager Pampers kaufenden Vätern schon Bier-Aktionen aufs Smartphone – zumindest in der Schweiz, sagt Mikko Katila. Der Finne kennt sich mit der Auswertung von Kundendaten aus. Er ist im darauf spezialisierten US-Konzern SAS Institute Software für Österreich zuständig.

Technisch ist praktisch alles möglich. Dank der Kundenkarten und verstärkt durch Apps, die sich Konsumenten bereitwillig auf ihre Smartphones laden. Diese registrieren, wer, wann, was kauft. Früher mussten Händler Chips an den Einkaufswagen anbringen, um zu sehen, welchen Weg der Kunde im Geschäft nimmt. Heute nehmen auch Apps die Spur der Einkäufer auf – ein Grund, weshalb Händler in diese Applikationen investieren.

Schoko gegen Info

"Die Technik erkennt den Kunden, wenn er das Geschäft betritt, ruft ab, was er im vergangenen halben Jahr gern gekauft hat und bietet ihm via App drei Tafeln seiner Lieblingsschokolade zum Preis von zwei Tafeln an", erklärt Katila, was alles möglich ist. Nachteil aus Konsumentensicht: Schickt man den Partner zum Einkaufen, zahlt der für die Schokolade den regulären Preis.

Für Gratis-Schoko verzichten Kunden offenbar gerne auf ein Stückchen Anonymität. Kunden scheinen sich immer weniger zu gruseln, wenn die Technik ganz offensichtlich durchschaut, welche Marken sie besonders gerne kaufen, was sie tendenziell eher am Wochenende einkaufen und wie sie ihre Freizeit verbringen.

Aktuelle Testläufe

Konzerne wie Amazon, Facebook oder Google haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie aus den gesammelten Kundendaten Geld machen – ihrer Beliebtheit hat das nicht wesentlich geschadet. Damit kommen stationäre Händler unter Zugzwang, die bisher zwar oft Kundendaten gesammelt haben, dann aber nicht so recht wussten, was sie damit anfangen sollen. Jetzt werden auch sie aktiv. "Im deutschsprachigen Raum testen derzeit mehrere Supermärkte neue Formen der Kundenansprache", weiß Katila. Namen aus Österreich will er aber keine nennen.

Auf der Kundenliste steht unter anderem die Schweizer Migros, die mit ihrem Bonusprogramm laut eigenen Angaben 80 Prozent der Schweizer Haushalte erreicht. Früher bekamen alle Kunden idente Coupon-Bögen, heute sind diese auf Basis des Kundenverhaltens individualisiert. Damit sollen "signifikante Mehrumsätze" erzielt werden. Offenbar locken personalisierte Angebote viele Kunden an – und führen dazu, dass sie auch mehr Geld im Geschäft lassen. Durch die auf den Kunden zugeschnittene Werbung bekommt, wer nie Fleisch oder Wurst gekauft hat, vegane Produkte angeboten oder ein Hundehalter Rabatte auf Tierfutter. Dadurch reduzieren Händler auch ihre Streuverluste. "Sie werden effizienter", macht Katila Werbung für sein Geschäft. Nachsatz: "Davon hat auch der Kunde etwas. Am Ende finanziert er Streuverluste über höhere Preise an der Kasse mit."

Aktion oder Aufschlag

Österreich hinkt hinterher. Dass man zum Geburtstag mehr Glückwunschpost von Buch-, Drogerie- und Textilhändlern als von Freunden bekommt, ist ein verbreitetes Phänomen. Das ist jedoch erst der Anfang. In Großbritannien schicken die ersten Modehändler Kunden Infos aufs Smartphone, wenn passende Oberteile zum vor Kurzem gekauften Rock eingetroffen sind.

In den USA hat der Mayonnaise-Hersteller Hellmann testweise Kochrezepte auf den Supermarkt-Bon drucken lassen, die auf den Einkauf der Person zugeschnitten waren. Hellmanns Umsatz ist in den Testfilialen um 40 Prozent gestiegen, berichtet das Handelsblatt.

Kritiker monieren, dass sich der gläserne Kunde den Betrieben ausliefert. Diese könnten Kundendaten-Auswertungen genauso gut für Preiserhöhungen verwenden. Händler halten dagegen, dass beliebte Aktionen Lockartikel sind, die Frequenz bringen. Am Ende arbeitet der Händler ohnehin mit Mischkalkulationen. Sprich: Wird ein Artikel billig verkauft, wird das mit einem Aufschlag auf einen anderen Artikel mitfinanziert.

Wie weit das personalisierte Marketing geht, hängt auch vom rechtlichen Rahmen ab – und von der Branche. Telekom-Anbieter in den USA oder in Großbritannien nützen die liberalen Datenschutzgesetze, um Kundendaten etwa mit Daten aus sozialen Netzwerken wie Facebook zu verknüpfen und auszuwerten. So sehen sie, welche Angebote der Kunde nutzt und wie viele Kontakte er in den Netzwerken hat. Zufriedene Kunden erhalten dann entsprechend gute Angebote. Kalkül: Sie könnten mit einem großen Netzwerk vielen Leuten vom Angebot erzählen. Anders gesagt: Die Erkenntnisse aus Big Data sollen für Mundpropaganda sorgen. Technisch wäre das auch in Österreich machbar, rechtlich ist es aber nicht erlaubt.

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