Überall geht's bergab. Doch Osteuropa überrascht

Viel Sonne, kein Regen: Touristen auf der Prager Karlsbrücke
Die Löhne steigen flott, das Wachstum kühlt sich nicht so rasch ab wie im Euroraum: Das sind gute Nachrichten für Österreich.

Dass die Ökonomen ihre Wirtschaftsprognosen derzeit ständig überdenken müssen, daran hat man sich bereits gewöhnt. Das erwartete Wachstum wird kleiner und kleiner. Wegen globaler Risiken – wie dem Handelsstreit der USA mit China – geht es laufend bergab. Überall?

Nein, nicht überall. Eine gar nicht so kleine Region leistet Widerstand gegen die Abkühlung. Und zwar ist das der Großteil Osteuropas. „Es ist bemerkenswert: Wir sehen tatsächlich eine gewisse Abkoppelung von Deutschland und vom Euroraum“, sagte Vasily Astrov vom renommierten Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) bei der Präsentation des Konjunkturberichts am Donnerstag.

Überall geht's bergab. Doch Osteuropa überrascht

Überraschend kommt das, weil die meisten Länder – so wie Österreich – kleine Volkswirtschaften sind, die stark vom Export abhängen und deren Industrieproduktion sich meist in Deutschlands Schlepptau befindet.

Im Moment segeln die Länder aber selbst mit Rückenwind. Der Anschub kommt von kräftig steigenden Löhnen. Weil die Arbeitsmärkte fast leer gefegt sind, dürfen sich die Beschäftigten in Polen und Tschechien über Einkommenssteigerungen von rund sechs Prozent, in Ungarn und Rumänien sogar von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr freuen. Das kurbelt den Konsum an.

Überall geht's bergab. Doch Osteuropa überrascht

Überhitzung droht

Wenn die Löhne kräftig steigen, ist auch die Inflation meist nicht weit. Bisher blieben die Preissteigerungen aber im Zaum. Jetzt zeigten sich erste Anzeichen einer Überhitzung, so Astrov. Wirklichen Anlass zur Sorge sieht er allerdings nur in Rumänien. Dort treffen die steigenden Arbeitskosten nämlich auf ein hohes Leistungsbilanzdefizit. Es fließt also mehr Geld aus dem Land ab, als hereinkommt. In nächster Zeit sehen die WIIW-Experten zwar noch keine Krisengefahr. Auf Dauer könnte die sinkende Wettbewerbsfähigkeit zum Problem werden.

Trotz der Zuwächse sind die Abstände im Lohnniveau noch beträchtlich. Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, mit denen Österreich enge Beziehungen unterhält, erreichen im Schnitt nur 58 Prozent des österreichischen Lohnniveaus (gemessen an der lokalen Kaufkraft).

Das war einer Hauptgründe, warum viele junge Osteuropäer ihre Heimat verlassen und Jobs im Westen gesucht haben. So ist der Anteil der Menschen aus den insgesamt 23 Ländern Osteuropas an den Beschäftigten in Österreich seit 2008 von 8,9 auf 14,3 Prozent gestiegen.

Roboter im Einsatz

So wird es aber nicht weitergehen. Ende Juni 2020 läuft die Übergangsfrist für die vollständige Arbeitsmarktöffnung für Kroatien aus. Danach sind vorerst keinen neuen EU-Mitgliedsländer mehr in Sicht. Und auch die demografische Entwicklung führt dazu, dass die Migrationsströme schmäler werden, sagt WIIW-Experte Michael Landesmann: „Man hat das Potenzial von jungen Leuten gewissermaßen ausgehöhlt.“

Arbeitskräfte gesucht: In Tschechien herrscht seit dem Vorjahr mit 2,2 Prozent Arbeitslosenrate Vollbeschäftigung. Ausländische Investoren hätten Werksprojekte abgesagt, weil keine Arbeitskräfte zu finden waren, sagte Astrov. Was kurzfristig die Löhne und den Konsumboom befeuerte, wird auf lange Sicht so zur Wachstumsbremse.

In ihrer Personalnot suchen die Firmen Zuflucht bei Roboterhänden. Die Zahl der Industrieroboter ist in Tschechien seit 2010 um das 2,4-fache gestiegen. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten kommen in Österreich aber immer noch doppelt so viele Roboter zum Einsatz.

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Neues Werk von Jaguar Land Rover in Nitra, Slowakei

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30 Jahre Fall der Mauer: So hat sich Osteuropa entwickelt

Wie hat sich der Wohlstand in Osteuropa seit dem Ende des Kalten Krieges entwickelt? Die Zwischenbilanz fällt laut WIIW für fast alle Länder positiv aus. Insbesondere die EU-Mitgliedschaft wirkt tatsächlich wie eine Art „Turbo“: Die EU-Länder der Region weisen die mit Abstand größten Wohlstandsgewinne auf. Zwar hat kein Land völlig zu Österreich aufgeschlossen. Tschechien steigerte sich aber immerhin von 50 auf gut 70 Prozent des österreichischen Wohlstandes (Grafik).

Den größten Sprung hat Estland gemacht:  Der kleine Technologie-Champ im Baltikum steigerte sich von weniger als 30 Prozent auf mehr als 60 Prozent der rot-weiß-roten Wirtschaftspower.  

Sonderfall Kroatien

Aus der EU-Reihe  tanzt nur Kroatien, das seit 1989 gar nichts gegenüber Österreich aufgeholt hat, sondern stagniert.
„1990 bis 2000 war für Kroatien ein verlorenes Jahrzehnt“, sagt Länderexpertin Hermine Vidovic. Erst habe der Krieg das Vorankommen  verhindert. Zudem erfolgte der EU-Beitritt später (2013) und nach der Krise fiel die Rezession in Kroatien tiefer aus.

Top-Investor Österreich

Und Österreich? „Die  Vorreiterrolle wirkt bis heute“,  sagt WIIW-Ökonomin Julia Grübler. Österreich ist in zehn Ländern ein Top-Drei-Investor; in Slowenien und Kroatien sind heimische Unternehmen der Geldgeber Nummer eins. Diese Investitionen hätten übrigens weit mehr abgeworfen als im Rest der EU.

Dass ein Aufholen nicht selbstverständlich ist, zeigen Ukraine oder Moldawien: Sie haben relativ zu Österreich an Wohlstand eingebüßt  und erreichen nicht einmal ein Fünftel des heimischen Niveaus.

Warum Russland am Rande der Rezession schrammt

Negative Ausreißer

Drei von 28 Ländern der Osteuropa-Region tanzen negativ aus der Reihe. Für Russland, Serbien  und die Türkei revidierten die Osteuropa-Experten des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW)  ihre Prognosen nach unten. Aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Russland

Die russische Wirtschaft sei quasi eine Wette auf den Ölpreis, sagen Experten. Ist der Preis für das schwarze Gold (und Gas) hoch, läuft es prächtig. Ist er tief, leidet der russische Bär als Ganzes. Tatsächlich war der Rohölpreis gegen Ende des Jahres 2018 rasant gefallen. Die Sanktionen der USA und der EU belasten die Wirtschaft ebenfalls.

Damit alleine sei aber nicht erklärt, dass die russische Wirtschaft seit Jahren stagniert, so Experte Vasily Astrov. Dazu trage die restriktive Fiskal- und Geldpolitik wesentlich bei. Sprich: Finanzminister und Notenbank stehen extrem auf der Bremse. Das Hauptziel sei, die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit gegenüber dem Ausland zu steigern, so Astrov. Dabei betrage Russlands öffentliche Verschuldung schon jetzt nur 11 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Serbien

In dem Balkanstaat wurden im Vorjahr zwei Sonderfaktoren schlagend: Absatzprobleme bei Fiat Chrysler, die das Werk Kragujevac trafen, und extrem hohe Importzölle, die der Kosovo auf serbische Waren verhängte.

Türkei

Das einzige Land der Region in einer echten Krise. Die türkische Lira verlor 2018 und erneut im März/April 2019 massiv an Wert. Die Inflation wird  heuer  auf 17 Prozent geschätzt.  Dazu schreckt Erdoğans Politik – die  erzwungene Wahlwiederholung in Istanbul, Konfrontation mit den USA – Investoren ab.

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