Zukunftsforscher: "Corona wird die Welt für immer verändern"
Harry Gatterer blickt von Berufs wegen in die Zukunft. Über die derzeitige Lage sagt er: „Wir sind erstmals in einem echten Krisenmodus – und absolut nicht geübt darin. Das sind überwältigende Emotionen, mit denen wir nicht umgehen können.“
Alles würde sich gerade relativieren, die Wirtschaft fährt brutal runter und die Menschen gehen in einen Selbstschutz-Modus. Sein dringender Rat: „Wir dürfen unsere Emotionen jetzt nicht affektiert ausleben, sondern müssen lernen, damit umzugehen. Das Gute daran: Emotionen und auch diese Krise gingen vorbei.
KURIER: Heute ist Tag zwei des Stillstands, wie geht es Ihnen?
Harry Gatterer: Mir geht es gut, weil ich habe gestern die wichtigste Rede meine Lebens gehalten. Vor einem Computer sitzend, zu Hause, vor meinem Team. Das war sehr positiv. Tag zwei fühlt sich aber an wie Woche zwei. Man ist plötzlich in einer Blase gefangen, in der Distanz-Ökonomie.
Diese Krise: So etwas kann kein Zukunftsinstitut voraussagen, oder?
Doch. Was wir regelmäßig machen, sind Extremanalysen, sogenannte X-Events. Ereignisse, die radikal auf einmal die gesamte Normalität verändern. Dafür gibt es Simulationen. Aber es ist lediglich eine Hypothese, weil man nie weiß, wann das kommt und ob es überhaupt kommt. Aber diese Was-wäre-wenn-Pläne, die gibt es.
Macht das den Umgang mit der Krise für Sie leichter?
Ja, viel leichter. Was wir normalerweise erleben, ist eine Welt, wie wir sie uns vorstellen. Plötzlich ist aber alles in Frage gestellt. Die eigene Welt bricht zusammen. Wenn man sich mit sowas immer wieder beschäftigt, fällt es auch leichter, sich darauf einzustellen. Wir haben Werkzeuge, um solche Szenarien systemisch zu analysieren und Folge-Abschätzungen zu betreiben. Damit nimmt man dem Monströsen die Angst, weil man es langsam begreifen kann.
Wie ist das alles im historischen Kontext einzuordnen?
Als einmalig. Wir haben eine Weltbevölkerung von acht Milliarden Menschen, eine extrem ausgeprägte Globalisierung, eine totale Abhängigkeit von dieser Globalisierung. Der Impact auf unser gesamtes Leben ist deshalb enorm – und historisch einmalig.
Wie kommen wir da raus?
Aus dem Corona-Modus kommen wir nie wieder raus. Das wird die Welt für immer verändern, es gibt kein Zurück. Wir müssen die Welt in neue Bezüge setzen, nur so kommen wir weiter: indem wir verstehen, was wirklich Bedeutung hat; indem wir menschliche Beziehungen neu einordnen. Wir müssen daraus lernen, lernen, lernen.
Wie werden wir uns dadurch verändern?
Wir arbeiten derzeit mit polarisierenden Szenarien. Ein Szenario: Es wird die Menschen verändern, indem sie resilienter werden. Sie werden mit Situationen besser und bewusster umgehen. Denken wir zwei Monate nach vor: es ist so weit, dass wir endlich wieder in unsere Büros gehen. Plötzlich stehen die Menschen wieder vor uns. Das ist eine neue Situation und man wird dem neu begegnen. Ein anderes Szenario ist die komplette Isolation: Dass diese Krise nachhaltig zu einer Abgrenzung führt, wir uns komplett von einander abschotten. Ich bin ja ein kritischer Optimist: ich sehe, dass die Resilienz-Entwicklung die wahrscheinlichere ist, aber fix ist das nicht. Es könnte danach schon eine Phase der Isolation folgen, des Absteckens von Meins und Deins. Jedenfalls: den Alltag, den es gab, wird es so nicht mehr geben.
Ein Blick auf die Wirtschaft – was erleben wir da gerade?
Das ist ein echter Clusterfuck – ein System, das extrem komplex ist und voneinander abhängt, bricht zusammen. Die Wirtschaft ist einfach weg. Jetzt muss sie sich neu finden, im Bewusstsein, dass es nicht so gehen wird, wie vorher. Da gibt es viele Szenarien: Vielleicht ist das der Punkt, wo wir Wirtschaft völlig neu denken. Wir werden uns fragen, brauchen wir wirklich alles, was diese Wirtschaft produziert? Wir haben ja in vielen Bereichen in der Vergangenheit eine künstliche Bedürfniswelt geschaffen. Das wird alles völlig neu bewertet werden.
Ist auch ein Zurück zur Normalität denkbar?
Das sehe ich nicht, weil sich zu viel auf einmal geändert hat. Ein Börsencrash ist eine Sache, aber jetzt ist es so, dass alles gleichzeitig infrage gestellt wird. Dieses intensive Erleben, das Gleichzeitige, macht kein Zurück zur Normalität möglich.
Sie haben Zukunftsszenarien ausgearbeitet. Was zeigen die?
Es gibt vier große Szenarien: Auf der lokalen Ebene die totale Isolation oder, optimistischer gedacht, die Entwicklung von Neo-Tribes (siehe Artikel-Ende). Auf der internationalen Ebene den totalen Systemcrash oder, optimistischer gedacht, eine Adaption. Wir suchen in diesen Szenarien nach den robusten Elementen, die sich überall wiederfinden. Was garantiert weitergehen wird, sind die Themen Sicherheit, Gesundheit, Vernetzung, Globalisierung und Individualisierung. Als Unternehmer sollte man diese Trends bedenken.
Wie soll man in so einer Krise reagieren?
Produktive Anspannung ist das Thema. Ich finde es übertrieben, von Gelassenheit zu reden. Wir müssen wachsam sein, unsere Emotionen als Alarmanlage sehen. Wir Menschen haben einen emotionalen und einen rationalen Modus. Der rationale Modus sucht Stabilität, aber die ist gerade in Gefahr. Deshalb reagieren wir auch vermehrt emotional. Die Emotion müssen wir nützen für ein neues Denken und für neue Zusammenhänge. Erst dann wird man arbeitsfähig und kann sich sortieren. Das ist natürlich schwierig, weil man gerade jede Sekunde eine Einladung hat, auszuflippen. Deswegen ist es jetzt ein Üben im Umgang mit Emotionen. Die Herausforderung ist, nicht nur in Plus-Minus-Listen zu denken, sondern in größeren Zusammenhängen.
Ihre Botschaft für die Phase der Isolation?
Man wird sich auch daran gewöhnen. Wir begegnen uns gerade intensiv selbst in unserer Isolation. Wir sind gezwungen, mit uns selbst auszukommen. Soll dieses Experiment gelingen, müssen wir lernen, mit uns selbst klar zu kommen. Dadurch entsteht ein neues Selbst-Bewusstsein.
1. Die totale Isolation: Am Anfang war der Shutdown – und der Shutdown wird zur Normalität.
2. Systemcrash: Das Virus hat die Welt ins Taumeln gebracht, und sie kommt nicht mehr heraus. Jede Nation ist sich selbst die Nächste.
3. Neo-Tribes: Nach der Corona-Krise entwickelt sich die globalisierte Gesellschaft wieder zurück zu lokalen Strukturen.
4. Adaption: Die Welt lernt und geht gestärkt aus der Krise hervor. Wir passen uns den Gegebenheiten an und sind flexibler bei Veränderungen. Die Weltwirtschaft wächst zwar weiter, aber deutlich langsamer, mancherorts zeigt sich bereits Stagnation.
Das Zukunftsinstitut wurde 1998 von Matthias Horx gegründet. Harry Gatterer ist seit 2013 Geschäftsführer, seit 2016 Haupteigentümer. Horx ist nach wie vor Geschäftspartner.
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