Wirtschaftsstandort: Österreich verliert

Ökonom Herwig Schneider leitet das Industriewissenschaftliche Institut in Wien, er ist ein Kenner der österreichischen Industrielandschaft
Industrieökonom Herwig Schneider über abwandernde Firmen und sinkende Wettbewerbsfähigkeit.

Hohe Arbeitskosten, verfehlte Energiepolitik, Bürokratie ohne Ende. Österreich wird für seine besten Unternehmen immer unattraktiver. voestalpine-Chef Wolfgang Eder überlegte kürzlich laut, die Zentrale in Linz in die USA zu verlegen, OMV-Chef Gerhard Roiss kritisiert den Wirtschaftsstandort Österreich und die Energiepolitik der EU, auch IV-Präsident Georg Kapsch und Lenzing-Chef Peter Untersperger üben Kritik an den Rahmenbedingungen für Österreichs Industrie. Steht es um Österreich wirklich so schlimm? Industrieökonom Herwig Schneider gibt Antwort.

KURIER: Herr Schneider, die voestalpine überlegt, ihren Hauptsitz in die USA zu verlagern. Ist es in der globalisierten Welt egal, wo Unternehmen ihren Hauptsitz haben?

Herwig Schneider: Egal sicher nicht. In einer globalisierten Welt sollte es eine Konvergenz bei den Standortqualitäten geben, aber die Schere geht auf. Für Österreich ist es schlecht, wenn andere Standorte bessere Rahmenbedingungen bieten. Jeder Euro, der in Österreich investiert werden könnte, aber woanders hinfließt, tut weh. Wertschöpfungsketten sollten überhaupt am Kontinent gehalten werden, denn man macht sich sonst zu abhängig von anderen Ländern. Gibt es in Asien Unruhen und wird die Produktion gefährdet, gerät man als Unternehmen unter Druck.

Wie würde sich eine Abwanderung der voestalpine auswirken?

Die voestalpine ist ein Leitbetrieb, eines der wichtigsten Unternehmen Österreichs. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir alles rundherum auch. Die etwa 200 Leitbetriebe in Österreich sind Gold wert für die Volkswirtschaft, füttern ihr Umfeld, setzen Impulse in strukturschwachen Regionen, haben jeweils im Schnitt tausend KMU in ihrem Produktionsnetzwerk. Sie sind unglaubliche Multiplikatoren für die Wertschöpfung.

Verlagert man die Produktion ins Ausland, verliert Österreich Arbeitsplätze. Aber wie wirkt sich der Verlust der Zentrale aus?

Sehr. In der Zentrale liegt die Entscheidungsmacht, die zugunsten Österreichs agiert. Durch sie werden Investitionen, der Konsum in der Region angeregt, das Unternehmen beteiligt sich am regionalen Thermenprojekt, die Manager essen in der Gaststätte. Manche Firmen betreiben Standortmarketing.

Wie färbt die Verlagerung des Standorts ins Ausland auf das Image ab – bei den Kunden?

Ich bezweifle, dass die Österreicher Konsumpatrioten sind. Die voestalpine beispielsweise hat die besten Köpfe, sie kann Qualität made in Austria auch woanders produzieren.

Der Wirtschaftsstandort Österreich wird im internationalen Vergleich immer unattraktiver.

Unser Wirtschaftssystem ist stabil, es saust nicht wie eine Rakete in die Höhe wie die USA beim Internetboom, rasselt aber auch nicht so hinunter. Wir haben unglaubliches produktionswirtschaftliches Kapital: Fast 20 Prozent unserer Wirtschaftsleistung kommt vom verarbeitenden Gewerbe, im EU-Durchschnitt sind es nur 15 Prozent. Die Industrie hat uns durch die Krise geholfen. Aber: Wir haben einen schleichenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit m Vergleich zu anderen Ländern.

Besteht auch die Gefahr, dass Unternehmen wegen des Fachkräftemangels abwandern?

Das ist möglich. Es scheint schwierig zu sein, Fachkräfte ins Land zu holen. Auch herrscht offenbar gesellschaftlicher Konsens darüber, die Akademikerquote zu erhöhen, dabei brauchen wir vor allem den Mittelbau: HTL-Absolventen, Techniker, Fachkräfte.

Was machen die USA besser?

Die USA sind als Standort viel dynamischer, deregulierter, dort ist Scheitern erlaubt. In Österreich wird überreguliert, hier fehlt die politische Vision.

Österreich hat die raschest wachsenden Arbeitskosten der Eurozone. Die IV fordert eine Senkung.

Ja, der Kostenfaktor Arbeit ist ein Thema – die Unternehmen zahlen den Mitarbeitern immer mehr Geld und es kommt netto nicht an. Auch bei der Arbeitsflexibilisierung kann man ansetzen. Österreich muss Leistungsanreize schaffen – für Private und Unternehmen.

Was müsste die Politik ändern?

Österreich macht mehrere Fehler gleichzeitig: Die Unternehmenskraft wird zu wenig geschätzt, es gibt nicht genug Leistungsanreize. Bürokratie, Institutionen, Gesetze sind starr und verkrustet. Die Energieversorgung muss sicher sein, die Energiepreise adäquat – eine europäische Frage. Die Forschungsförderung muss breiter ansetzen. Wenn wir in Zukunft Wohlstand wollen, müssen wir den industriellen Kern beschützen – und die Leitbetriebe.

Kommentare