Jetzt wird’s ernst. Die Offenlegungspflicht ist da, das sogenannte Lieferkettengesetz ist in Ausarbeitung und der Markt zieht allmählich nach. Nachhaltiges Wirtschaften ist keine Frage der Freiwilligkeit mehr. Maßnahmen, die auf dem Europäischen Green Deal (Klimaneutralität bis 2050) beruhen, treffen zu 80 Prozent die Wirtschaft, sagt Stefan Fink, Chefökonom des Wirtschaftsprüfers KPMG. Wer schon wie bei der Digitalisierung nicht rechtzeitig aufgesprungen ist, wird sich beim Verschlafen dieser Wende vom Markt wohl verabschieden müssen, erklärt Glacier-Gründer Andreas Tschas, der andere Firmen unterstützt, die grüne Transformation zu bewältigen.
Doch den Durchblick zu gewinnen, ist keineswegs einfach. Sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene kursieren Verordnungen mit austauschbaren Namen. Welche bereits verpflichtend sind, wie sie umgesetzt werden und welche noch in Diskussion stehen, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich.
Die Verunsicherung ist deshalb groß, dabei würde „kein Tag vergehen, an dem man nicht fünf Seminareinladungen zum Thema Nachhaltigkeit bekommt“, sagt Karin Fuhrmann des Wirtschaftsprüfers TPA. Ob das in der Wirtschaft zur Entspannung beiträgt, sei dahin gestellt, denn diese ist sich durchaus bewusst, handeln zu müssen, weiß aber oft nicht wie, ergänzt Fuhrmann.
Noch in diesem Artikel:
Welche Richtlinien jetzt schon gelten
Welche kommen und ab wann sie umgesetzt werden müssen
Warum Richtlinien (vorerst) nur für große Unternehmen gelten, aber auch die kleinen Maßnahmen treffen müssen
Wie der Markt die Transformation zur Nachhaltigkeit antreiben wird
Welche heimischen Firmen Vorreiter sind und was sie tun
Wie sich Unternehmen intern wandeln müssen, um nachhaltig zu wirtschaften
Gespräche mit Asfinag-Vorstandsdirektor Hartwig Hufnagl und Lidl-Österreich-Vorsitzendem Alessandro Wolf
Initiative KURIER & Glacier: Auf der Suche nach Firmen, die mehr tun
Neue Standards
Lange Zeit lassen dürfen sich Unternehmen nicht, denn ab 2025 müssen große sowie börsennotierte Unternehmen eine Nachhaltigkeitsberichterstattung vorlegen. Das trifft rund 2.000 österreichische Unternehmen, die nach klaren Standards nachweisen müssen, welche Maßnahmen sie in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance, abgekürzt ESG) für eine nachhaltigere Zukunft treffen. Eine inhaltliche Verpflichtung zu Nachhaltigkeitszielen ist das aber noch nicht, erklärt Katharina Schönauer, Senior Managerin bei KPMG.
„Der Gesetzgeber beginnt quasi von hinten, mit dem Reporting. Er sagt: leg offen, was du hast, bevor du inhaltlich Veränderungen anstellst.“ Die inhaltliche Verpflichtung bringt die Europäische Lieferkettenrichtlinie (Kürzel: CSDDD). „Die Richtlinie legt fest, dass Maßnahmen zu setzen, Risikoanalysen zu machen und ein Transitionsplan aufzustellen ist.“ Die Anwendung dieser Richtlinie erwartet KPMG spätestens 2027.
Beschlossen ist: Die Offenlegung eines Berichts
Seit 2017 müssen rund 100 österreichische Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen. Die neue CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) erweitert den Kreis jetzt um große bzw. börsennotierte Unternehmen, die einen Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. Euro bzw. eine Bilanzsumme von 20 Mio. Euro haben und über 250 Mitarbeiter beschäftigen. Die Anwendung erfolgt stufenweise, erste Nachhaltigkeitsberichte müssen 2025 vorliegen. Bei Nicht-Erfüllung drohen Sanktionen wie Bußgelder
In Prüfung ist: Die verpflichtende Umsetzung
Die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive), die Lieferkettenrichtlinie der EU, legt die Sorgfaltspflichten entlang der ganzen Wertschöpfungskette fest – etwa im Bereich Menschenrechte und Umwelt. Beschlossen ist sie noch nicht. Knackpunkt der Debatte ist, wie weit der Verantwortungsbereich geht. Ob man nur für direkte Zulieferer oder auch Sub-Sub-Lieferanten oder sogar Kunden haftet. Und wie Sanktionen erfolgen: mittels Bußgeld oder als zivilrechtliche Haftung
Die logische Folge ist: Der fordernde Markt
Im Zuge schärferer Auflagen zieht auch der Markt nach und wird zum größten Druckmittel. Die 2020 beschlossene EU-Taxonomie lenkt etwa den Finanzmarkt in Richtung nachhaltige Investments. Kapitalgeber müssen ihre Konditionen dementsprechend anpassen, nachhaltige Finanzierungen vergünstigen und nicht nachhaltige teurer gestalten oder gar ablehnen. Die Lieferkettenrichtlinie wird die gesamte Wirtschaft dazu bewegen, messbare Standards zu erarbeiten und vorzuweisen. Greenwashing hat somit ausgedient
Klein- und Mittelbetriebe sind bislang ausgenommen, was jedoch nicht bedeutet, gar keine Maßnahmen treffen zu müssen, erklärt Karin Fuhrmann. „Für die kleinen Unternehmen ist es teilweise noch herausfordernder, denn die großen haben eine genaue Aufgabe. Die Kleinen müssen ihre Augen und Ohren offenhalten, sich einen Überblick verschaffen, um zumindest reagieren oder aktiv agieren zu können.“ Denn es ist nicht nur die Regulatorik, die letztlich die Veränderung bringt. „Der Markt wird viel schneller sein“, sagt Katharina Schönauer.
Neue Bedürfnisse
„Der Druck wird von allen Seiten mehr werden“, sagt Andreas Tschas. Von größeren Unternehmen, die auf die kleineren wirken, von Kapitalgebern, Stakeholdern und von Kunden. „Selbst, wenn ein Tischler zur Bank geht, wird er nach ESG-Informationen gefragt werden“, erklärt Katharina Schönauer. „Auch die Versicherung könnte fragen, weil Versicherungsrisiken größer werden.“ Eine Zeit lang könne man sich vielleicht über Wasser halten – weil kein Fremdkapitalbedarf besteht oder weil es keinen Kunden oder Endverbraucher gibt, der Interesse zeigt, „aber das ist die Ausnahme“, so Schönauer.
Nicht zu vernachlässigen, sind außerdem die Mitarbeitenden, merkt Tschas an. Vor allem die Jungen würden jetzt schon großen Druck auf Arbeitgeber ausüben, sich im Bereich der Nachhaltigkeit zu engagieren. Nicht umsonst zählen die Mitarbeiter – bestehende und künftige – zu den fünf wichtigsten Motiven von Unternehmen, Nachhaltigkeitsinitiativen zu starten. Das zeigt der aktuelle Nachhaltigkeitskompass des Personalberaters HIEC. Weitere Faktoren wären eine bessere Reputation, Kundenattraktivität und Unternehmenskultur sowie das Einhalten gesetzlicher Regularien.
Mit gutem Beispiel
„Wirkliche Überzeugungstäter gibt es selten“, sagt Andreas Tschas und meint damit jene Unternehmen, die nur aufgrund der Sache – also für den Klimaschutz – in die Gänge gekommen sind oder sogar ihr Geschäftsmodell darauf ausgerichtet haben. Der Verkehrszeichenhersteller Itek sei eines dieser Unternehmen, sagt Tschas. „Er revolutioniert die Branche mit einem komplett nachhaltigen Sortiment und bietet Weiterbildungsformate für seine Mitarbeiter an.“
Nachhaltigkeit und Klimaschutz – diese Themen werden für Unternehmen unverzichtbar. Untätigkeit birgt nicht nur finanzielle und reputative Risiken, sondern kann auch zu Wettbewerbsnachteilen führen. Der Klimaschutz beeinflusst heute schon jedes Unternehmen, jeden Bereich und jede Abteilung. Und er betrifft jeden einzelnen Mitarbeiter. Deshalb ruft der KURIER gemeinsam mit dem Klima- oder Nachhaltigkeits-Startup Glacier die Climate Hours Initiative aus. Wir verfolgen das Ziel, Unternehmen aktiv bei ihrer nachhaltigen Transformation zu unterstützen. Wir wollen Mitarbeiter schulen und für das Thema begeistern, um die notwendigen Kompetenzen für die Zukunft zu erlangen.
Wir suchen! KURIER und Glacier suchen insgesamt zehn Unternehmen, mit denen wir ein Jahr lang zusammenarbeiten. Wie das geht? Diese zehn Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter und Lieferanten (weil es ja auch um die Lieferketten geht) bekommen tiefes Wissen rund um Klimaschutz und neue Regelungen in Form von Schulungs-Modulen und Veranstaltungen. Hinzu kommt eine umfassende Berichterstattung im KURIER über die Climate Hours Initiative. Wir liefern regelmäßig Berichte und zeigen den Fortschritt in den Firmen. Wir veranschaulichen, was und wie unsere Partner den Klimaschutz vorantreiben.
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Natürlich sei auch die Branche ausschlaggebend, wie umfangreich ein Wandel in Unternehmen stattfinden kann, merkt Tschas an. „Transformation ist dort einfacher, wo es nur darum geht, die Energiebeschaffung umzustellen. Wenn man aber viele Emissionen in einem Produkt hat, ist es komplexer.“ Ein „krasses Beispiel“ sei Manner, so Tschas. Der Energiebedarf würde zu 80 Prozent von Gas gedeckt werden. „Da können sie wenig tun“, sagt Tschas und doch habe der Waffelhersteller Wege gefunden, den Gasbedarf zu halbieren. Etwa, indem in der Dampfproduktion auch auf Öl gesetzt wird.
Manner investierte 500.000 Euro in die Umstellung. Eine hohe Summe, die sich nicht alle Unternehmen leisten können. Das hebt erneut der Nachhaltigkeitskompass hervor: 47 Prozent der befragten Unternehmen sehen anfallende Kosten als größte Herausforderung. Eine große Sorge sei deshalb, die wirtschaftliche Beständigkeit zu verlieren. Im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können. „Die anderen Länder werden nicht ewig warten. Auch sie müssen irgendwann aktiv werden“, entschärft Tschas. Ist Europa hier schneller, könnte das später eine große Chance sein. „Im Idealfall sind wir dann zwei Schritte voraus.“
Außerdem könne eine Umstellung auch positive wirtschaftliche Auswirkungen haben. Indem weniger Energie oder Papier verbraucht wird oder indem Mitarbeiter ihr Wissen erweitern. „Ich glaube, wir würden viel mehr Elektroautos in Österreich verkaufen, wenn mehr Verkäufer darin geschult wären“, sagt Tschas. Doch Verkäufer bleiben tendenziell bei den Verbrennern – weil sie sich dort besser auskennen.
Entscheidungen nachschärfen
Mitarbeiter sind deshalb die größte Hebelwirkung, die eine Firma hat, merkt Tschas an. „Wir treffen jeden Tag bis zu 35.000 Entscheidungen. Das sind Millionen Entscheidungen in Unternehmen. Diese müssen alle mit dem Klima vereinbar sein.“
Damit das möglich ist, brauche es tiefer gehendes Wissen. „Es muss nicht jeder ein Experte sein, aber die breite Basis muss zumindest ein Grundgefühl haben. Eine Klimaintuition, die alle miteinander teilen.“ Außerdem müsse das Thema auch eine ernst gemeinte Chefinnen- und Chefsache sein. „Man muss es in seiner DNA verankern. Das wird auch von allen Stakeholdern, Kunden, Mitarbeitern und Investoren erwartet. Es geht um nichts weniger als die grüne Transformation und dafür brauchen wir alle im Boot.“
Wie nachhaltige Veränderungen in der Wirtschaft aussehen können
Beispiele in der Wirtschaft, die einen positiven Beitrag zur Klimawende leisten, gibt es einige. Zwei davon sind die Asfinag und Lidl Österreich.
Asfinag-Chef Hufnagl: "Zählen zu den größten Stromverbrauchern"
Sie hätte sich zurücklehnen können, auf die schwierigen Rahmenbedingungen verweisen, doch stattdessen setzt die Asfinag auf ein eigenes Klima- und Umweltschutzprogramm und hält zahlreiche Maßnahmen seit über zehn Jahren in Nachhaltigkeitsberichten fest. „Wir haben alle Hebel in der Hand, maßgebliche Akzente für die Zukunft zu setzen“, sagt Vorstandsdirektor Hartwig Hufnagl. Denn die Asfinag gehört mit mehr als 130 Gigawattstunden pro Jahr zu den größten Stromverbrauchern des Landes. Bis 2030 will man bilanziell stromautark sein.
„Das kann nur mit eigener Produktion von grüner Energie erreicht werden“, so Hufnagl. In der Mobilität steht die Dekarbonisierung im Fokus. Deshalb soll es bis 2035 fast 3.000 Ladepunkte innerhalb des Netzes geben. Ressourcen werden beim Bau geschont. Bis zu 92 Prozent des Straßenbelags werden recycelt. Die größte Herausforderung bei alledem: „Die Umsetzung der Strategie im täglichen Arbeitsleben“, sagt Hufnagl. Deshalb spiele Nachhaltigkeit mittlerweile in jedem Job eine Rolle. „Unsere Mitarbeiter gehen den Weg nicht nur mit, sondern gestalten ihn aktiv. Die Idee, grünen Strom durch Mikrowindturbinen auf Brückenpfeilern zu gewinnen, stammt von einem Kollegen.“
Lidl-Österreich-Vorsitzender Wolf: "Sind auf viele Partner angewiesen"
Einen Lebensmittelhändler auf Nachhaltigkeit zu trimmen, ist nicht einfach. Denn „für die Herstellung unserer Produkte sind wir auf viele Partner angewiesen“, erklärt Alessandro Wolf, Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Lidl Österreich. Und doch geht es der Konzern an, veröffentlichte vergangenes Jahr seinen bereits vierten Nachhaltigkeitsbericht, rüstete sein Sortiment um. Immer mehr Bio-Produkte schaffen es in die Lidl-Regale, der Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln mit geringerem ökologischen Fußabdruck wächst bis 2025 auf über 400 Produkte, um dem Konsumenten eine echte Wahl zu lassen.
Das langfristige Ziel? „50 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030“, sagt Wolf. Dafür trat Lidl mit elf anderen Leitbetrieben dem klimaaktiv Pakt des Umweltministeriums bei. Weitreichende Photovoltaik-Anlagen, die bereits an 90 Standorten errichtet wurden, sind die logische Folge, genauso wie ein Ausbau der E-Mobilität. Noch in diesem Geschäftsjahr sollen sechs elektrisch betriebene LKW den Großraum Wien beliefern. Der bürokratische Aufwand, der jetzt mit standardisierten Reportings einhergeht, sei komplex, so Lidl. Dennoch gibt das Unternehmen an, auch auf zukünftige Vorgaben vorbereitet zu sein und sich bereits intensiv damit zu beschäftigen.
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