Wir optimieren uns kaputt

Immer mehr um die Ohren haben, immer schneller arbeiten müssen - warum uns zu viel Optimierung eher bremst als beflügelt.
Schneller, besser, immer mehr davon: Mitarbeiter sind zunehmend unter Druck. Anforderungen von außen und die inneren Ansprüche führen dazu. Optimierung kann ein Segen sein – und auch Fluch.

An alle Spitzennetzwerker und Super-Workaholics. An alle Top-Leistungsträger und Ego-Optimierer. An alle Altruismus-Assistenten und Dauerpraktikanten: Macht erstmal ohne mich weiter. Ich bin raus.

Wer würde das in Zeiten des druckgesteuerten Optimierungswahns – angelehnt an den Schöffel-Werbespot – nicht gerne sagen? Die Arbeitsabläufe, die Motivation, der Lebenslauf: Alles muss besser, schneller, effizienter werden.

Wir optimieren uns kaputt
Der Drang zur Nutzenmaximierung ist überall zu spüren. "Das Streben nach Perfektionierung ist zum kategorischen Imperativ des 21. Jahrhunderts geworden", schreibt Klaus Werle im Buch "Die Perfektionierer".

Offensichtlichere Gründe liegen in der Wirtschaftsentwicklung. "Der globale Wettbewerb seit den 1990ern hat die Arbeitsanforderungen hochgeschraubt. Die fortschreitende Digitalisierung beschleunigt den Arbeitsalltag", sagt die Wiener Arbeitspsychologin Sandra Weiss. Der Grund für den Effizienzdruck ist zudem laut Weiss schlicht die Angst vor dem Untergang. Das führe zu einem spannenden psychologischen Effekt: "Auch Firmen in stabilen Bereichen bauen Mitarbeiter ab. Das Topmanagement hat das Gefühl, wegen der Veränderungen in der Wirtschaft handeln zu müssen."

Weniger machen mehr

Die Folge ist: Weniger Leute machen mehr Arbeit. Die Fristen werden kürzer. Wo man sich früher auf ein Projekt konzentrieren konnte,arbeitet man heute an dreien parallel. Die Mitarbeiter laufen auf Hochtouren – und laufen dabei ins Leere, wie der Arbeitsklima Index der AK Oberösterreich zeigt. Immer mehr Arbeitnehmer nehmen Psychopharmaka, um dem Druck in der Arbeit stand halten zu können. Jede zweite Führungskraft in Österreich gibt an, häufig gestresst zu sein, berichtet der aktuelle Hernstein Managementreport.

Wir optimieren uns kaputt
Wenn die Ansprüche an sich selbst und der eigene Perfektionismus das Karrierestreben beflügeln und man langsam in Selbstoptimierungswahn verfällt, ist es nicht weit zur ultimativen Überforderung. Der Aufruf zur Selbstoptimierung findet sich an jeder Ecke. Ratgeber suggerieren uns: Wenn wir nur regelmäßig unseren Schreibtisch aufräumen, unsere Aufgaben priorisieren, uns zur besseren, schnelleren Leistung motivieren und uns Pausen gönnen, dann schaffen wir das alles schon.

Wer dem Druck nicht standhält, muss an sich arbeiten. Oder ist eben ein Verlierer. "Sich optimieren zu müssen, ist ein Riesenthema", bestätigt Weiss.

Die, die das nicht schaffen und den Anforderungen nicht standhalten, verlieren ihre Jobs. "Das betrifft vor allem angeschlagene und gering qualifizierte Personen", konstatiert die Psychologin, die Betroffene zu ihren Klienten zählt.

Gegen den steigenden Druck könne der Mitarbeiter nicht viel tun, hier sei die Führungsriege gefragt, sagt Weiss. "Das Bestreben von uns Arbeitspsychologen ist: Die nötige Sensibilisierung muss ganz oben stattfinden. Die Unternehmen müssen mehr in betriebliche Gesundheit investieren."

Alles einfacher

Optimierung kann andererseits auch die Lösung sein. Lean Management hilft, Arbeitsabläufe zu standardisieren und zu beschleunigen und die Mitarbeiter bei Routinetätigkeiten zu entlasten. Philipp Zwirn, Senior Manager bei der Syngroup, berät Unternehmen hinsichtlich Effizienzsteigerung. "Hier geht es nicht darum, Mitarbeiter zu überfordern, sondern Doppelarbeit und Leerzeiten zu reduzieren. Dadurch kann man Druck herausnehmen." Die Syngroup bindet alle Mitarbeiter im Prozess zur Effizienzsteigerung ein, "das betrifft alle, vom Vorstand bis zum Facharbeiter." Nicht nur in der verarbeitenden Industrie lässt sich Lean Management gut umsetzen, sagt Philipp Zwirn: "Auch in der Administration. Dort wird viel Doppelarbeit durch mangelnde Kommunikation gemacht."

Wir optimieren uns kaputt
Auch wenn die Anforderungen hoch bleiben, kann der Einzelne Druck abwenden, sagt Sandra Weiss: "Man muss einschätzen: Welche Leistung kann ich realistisch bringen, ohne mich selbst auszubeuten?" Wichtig sei, die eigenen Grenzen zu ziehen, mal Nein zu sagen und den fordernden Vorgesetzten darüber zu informieren, dass man gerade wichtige Aufgaben erledigen muss.

Arbeitnehmer müssten sich auch darauf einstellen, nicht jeden Job auf Dauer durchhalten zu können, sagt Weiss: "Früher hat man während seiner Berufslaufbahn zwei bis drei Mal den Job gewechselt. In Zukunft wird es acht bis neun Mal sein."

KURIER: In den Firmen herrschen Überforderung und Erschöpfung. Warum?
Barbara Heitger:
Die Erschöpfung speist sich aus verschiedenen Quellen. Durch die Krisen 2008 und 2009 und die wachsende Konkurrenz der Schwellenländer ist ein großer Effizienzdruck in den Unternehmen entstanden. Strategien sind anfälliger, die Märkte volatiler. Das schlägt sich auf Abteilungen und Mitarbeiter durch.

Man hat den Eindruck, es geht nur noch um Effizienz.
Ja, viele börsennotierte Unternehmen haben das Effizienzthema überdreht, haben zu viel bei Mitarbeitern und Know-how gespart. Das hat die Unternehmen unflexibel gemacht – Effizienz ist dann eine Falle. Management-Vordenker James March hat gesagt: Führungskräfte haben zwei Aufgaben – sie müssen für Exploit, den kostengünstigsten Nutzen, und für Explore, den Raum für Innovationen und Problemlösungen, sorgen. Beides muss sich die Balance halten. Reine Effizienz ist kontraproduktiv: Mit weniger Mitarbeitern kann ich nicht innovativer sein.

Inwiefern?
Der Vorstand eines deutschen Automobilkonzerns hat zu mir gesagt: Ich habe Effizienzziele, Innovationsziele, woran soll ich noch drehen? Das ist eine Überladung von Ansprüchen und Zielen. Ich rate den Führungskräften, eine Art Drehbuch für die Zukunft zu schreiben und abseits von Kennzahlen zu überlegen: Was unterscheidet uns vom Mitbewerb?

Wieso ist Explore wichtig?
Weil die Firmen auf unerwartete Marktchancen und -risiken reagieren müssen. Man braucht Muße und bestimmte Arbeitsformate wie Hackatons (Team-Bewerb unter Zeitdruck, Anm.), um zu Innovation und auf Lösungen zu kommen. Und man braucht eine andere Art von Know-how. Man muss Querdenker ins Unternehmen holen und überlegen: Wo ist Effizienz sinnvoll und wo zerstört sie die kollektive Lösungskompetenz der Mitarbeiter? Ich frage mich, wie die Leute in Meetingräumen auf Ideen kommen sollen. Viele Mitarbeiter erschöpft es, mit den klassischen Methoden Lösungen finden zu müssen.

Ist das Management-Sache?
Ja. Das Topmanagement muss wissen, wie Innovation und Lösungen entstehen: Es muss den Mitarbeitern ermöglichen, in fremde Welten zu gehen, muss Workshops anbieten. Die Topmanager sollten vielleicht selbst mal raus gehen aus ihren verwöhnten Meetingräumen, zu den Kunden.

Kommentare