Wie viel Urlaub braucht der Mensch?

Wir verlieren uns im Arbeits-Alltag und werden betriebsblind. Der einzige Weg, da rauszukommen: Urlaub.
Der Mensch braucht Urlaub. Um sich zu regenerieren und nicht in der Betriebsblindheit unterzugehen. Aber: mit Minimum-Belegschaft und unter dem Diktat der ständigen Erreichbarkeit wird das unmöglich.

Sechs Urlaubswochen – wie hört sich das an? Erneut sind vor ein paar Wochen die Rufe danach laut geworden. Doch weitergekommen sind die Sozialpartner in der Diskussion wieder nicht. Beide Seiten haben Argumente: Doch bei den einen führt die sechste Woche zu einer Erholung am Arbeitsmarkt, die anderen wittern Jobsterben und mehr Stress für Mitarbeiter.

Es stimmt. Immer schneller muss reagiert werden, wenn Geschäftspartner danach verlangen – egal, ob sie in Peking sitzen oder in Steyr. Es sind die Folgen der Digitalisierung und Internationalisierung, die das Arbeitsleben in den vergangenen Jahren immer weiter beschleunigt haben. Flexibel und jederzeit erreichbar sein, das gefällt dem Arbeitgeber und der Karrierist folgt brav. Es ist sogar soweit gekommen, dass 68 Prozent der Handy-Besitzer – so das Baystate Medical Center Massachusetts – ein Mal pro Woche das Handy vibrieren spürt, obwohl es das gar nicht tut.

Selbst im Urlaub ist das Handy niemals still: Weltweit verbringt fast die Hälfte der Arbeitnehmer im Urlaub bis zu drei Stunden täglich mit beruflicher Arbeit, besagt eine Umfrage von Regus mit 16.000 Befragten. 37 Prozent halten Smartphone, iPad und andere mobile Technologien in Reichweite, um im Fall der Fälle verfügbar zu sein.

Erholung auf Knopfdruck

Stress, sagt die Weltgesundheitsorganisation, gehört zu den "größten Gefahren des 21. Jahrhunderts". Jeder vierte Arbeitnehmer fühlt sich im Job gestresst, jeder zweite nach dem Arbeitstag ausgebrannt. Abschalten auf Befehl, das versuchen viele. Doch möglich ist das nicht. Neurobiologe und Managementtrainer Bernd Hufnagl unterscheidet folgende drei Modi: Im Bearbeitungsmodus widmet sich unser Gehirn konzentriert nur einer Sache. Die meiste Zeit verbringen wir jedoch im Erwartungsmodus, wo wir defokussiert arbeiten und darauf warten, dass das Telefon läutet oder uns eine eMail unterbricht. Drittens: der Offlinemodus. Dort lassen wir den Gedanken freien Lauf, dort gehen wir nicht mehr permanent To-do-Listen durch, denken wir nicht daran, was wir vergessen haben und noch tun müssen. Wir erholen uns. Auch wenn es keine pauschalgültige Tagesanzahl gibt, die der Mensch zur Erholung braucht: "Menschen brauchen immer länger, um vom Trip wieder runterzukommen. Die Erholungsfähigkeit verschlechtert sich", sagt Hufnagl. In seinem Buch "Besser fix als fertig" beschäftigt er sich damit, wie man besser hirngerecht arbeitet.

Arbeitsflut statt Meeresrauschen

Wie viel Urlaub braucht der Mensch?
Obwohl es länger dauert, runterzukommen, geht der Trend in die andere Richtung, wie die Statistik zeigt: 1969 räumten Österreicher dem gepflegten Nichtstun gerne ein bis zwei Wochen ein (52,2 Prozent). 2014 wollten nur 36,2 Prozent für ein bis zwei Wochen Urlaub machen. Die Mehrheit (50,1 Prozent) nimmt sich fünf bis sieben Tage Zeit. Bis zu drei Wochen nahmen sich 2014 nur noch 9,2 Prozent (1969: 22,9 Prozent) für den Haupturlaub.

Dass der Kurzurlaub attraktiver scheint, ist einem System geschuldet, das mit Minimum-Belegschaft arbeitet und keine Verzögerung erlaubt. Die New York Times widmete der mangelnden Urlaubsbegeisterung in den USA einen Schwerpunkt. Das Fazit: In einem Land, in dem man es mit harter Arbeit vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann, hat Urlaub wenig Tradition. Die Arbeitnehmer empfinden Urlaub als stressig – denn die Arbeitsflut wäre nach dem Urlaub doppelt so groß. Zudem würden viele ihre Karriere gefährdet sehen. Die Autoren schwärmen von Europa, wo Mitarbeiter geschult werden, um Kollegen während der Abwesenheit zu vertreten. Dieses Bild scheint aus der Perspektive der USA – wo es vom Gesetz aus keinen Mindesturlaub gibt – verständlich. Die Österreicher etwa haben einen gesetzlichen Anspruch auf 25 Urlaubstage – damit liegt die Alpenrepublik im Spitzenfeld, wie eine Studie von Mercer zeigt (siehe Grafik). Doch das Sound-of-Music-Idyll ist Vergangenheit. Die Ängste sind auch hier dieselben. Bernd Hufnagl zählt auf: "Die Sorge vor Kontrollverlust, der Mythos immer erreichbar sein zu müssen, die Angst vorm Jobverlust und das schlechte Gewissen den Kollegen gegenüber, die das Fehlen abfedern."

Und so verbrauchen manche Österreicher Urlaubstage nicht, zeigt eine WKO-Studie: Nur zwei Drittel der unselbstständigen Beschäftigten verbrauchen ihren Jahresurlaub zur Gänze. Und dann fühlen sich auch nur 45 Prozent der Befragten nach dem Urlaub bestens erholt. Dass der Erholungswert durch ständige Erreichbarkeit gemindert wird, kam bei dieser Studie nicht heraus. Diverse andere Studien zeigen das Gegenteil.

Verlust der Perspektive

Wie wichtig Urlaub ist, zeigt diese Studie: Eine neunjährige Untersuchung unter 120.000 Männern mit Risiko zur Herzerkrankung zeigte, dass jene, die regelmäßig Urlaub machten, länger lebten als die Urlaubsmuffel.

"Wer ständig erreichbar ist, kann nicht regenerieren", sagt Hufnagl. Die fehlenden Erholungszeiten würden zu Aufmerksamkeitsstörungen führen und die Gedächtnisleistung und die Fähigkeit, zuzuhören, reduzieren. "Nur im Ruhemodus ist es möglich, die eigene Perspektive zu wechseln, über den Tellerrand zu schauen. Zu reflektieren, relativieren und eigene Gedanken wieder von fremden zu trennen", sagt Bernd Hufnagl. Nur dann könnten wir die eigene Zukunft planen, schauen, wo wir stehen und überlegen, wo wir hin wollen. Dann kommt auch die Weitsicht und der Überblick zurück – nicht ganz unwichtig für den Erfolg von Unternehmen.

Birgit Kronberger ist Mitarbeiterin der Vienna CityTax Steuerberater, der Jurist Rainer Kraft ist Experte für Arbeitsrecht – hier sind ihre wichtigsten Tipps:

1. Müssen Arbeitnehmer während des Urlaubs für den Chef erreichbar sein?

Zweck des Urlaubs ist laut einschlägiger Judikatur der Arbeitsgerichte die Erholung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Weiterbildung sowie die Lebensbereicherung („Freizeitwert“) für die Arbeitnehmer. Eine Pflicht zur Erreichbarkeit während des Urlaubs (zum Beispiel Rufbereitschaft) ist mit dem Urlaubszweck absolut unvereinbar. Das bedeutet zweierlei:

  • Der Arbeitnehmer kann im Urlaub das (private oder dienstliche) Smartphone, den Firmenlaptop & Co getrost abgeschaltet lassen. Er ist auch nicht verpflichtet, dienstliche E-Mails zu checken. Auf dienstliche Anfragen und Rückrufersuchen muss er grundsätzlich nicht reagieren.
  • Entfaltet der Arbeitnehmer während seines Urlaubs mit Billigung seines Arbeitgebers dienstliche Tätigkeiten, die über bloße Minimalkontakte (zB kurze informative Auskunft per Telefon) hinausgehen, stellt dies die Wirksamkeit des Urlaubskonsums in Frage. Der Arbeitgeber riskiert also, dass zumindest ein Teil des vereinbarten Urlaubszeitraums nicht als wirksamer Urlaubskonsum gewertet wird und daher nicht vom Urlaubskonto abgebucht werden darf.


2. Darf der Arbeitnehmer den Urlaub einseitig antreten?

Der Zeitpunkt des Urlaubsantritts unterliegt im Normalfall der Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer. Ein einseitiger Urlaubsantritt ist daher grundsätzlich unzulässig und könnte zu einer fristlosen Entlassung wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst führen. Ausnahmen vom Vereinbarungsprinzip beim Urlaubskonsum kennt das Gesetz nur wenige. Ein einseitiger Urlaubsantritt ist etwa in folgenden beiden Fällen zulässig:

  • zur notwendigen Pflege eines erkrankten, im gemeinsamen Haushalt lebenden unter 12-jährigen Kindes, wenn der Pflegeurlaubsanspruch bereits ausgeschöpft wurde
  • in Betrieben mit Betriebsrat, wenn der Arbeitnehmer seinen Wunsch nach einem mindestens 2-wöchigen Urlaubskonsum bereits 3 Monate im Voraus bekannt gegeben hat und trotz Intervention des Betriebsrats keine Einigung mit dem Arbeitgeber und keine Klagseinbringung durch den Arbeitgeber erfolgte.

3. Kann eine getroffene Urlaubsvereinbarung einseitig widerrufen werden?

Ein einmal vereinbarter Urlaub ist für beide Seiten verbindlich. Ein einseitiger Widerruf der Urlaubsvereinbarung ist daher laut Judikatur nur in absoluten Ausnahmefällen bei Vorliegen außergewöhnlich wichtiger Gründe zulässig:

  • Ein Rücktritt des Arbeitgebers von einer getroffenen Urlaubsvereinbarung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im vereinbarten Urlaubszeitraum zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile für das Unternehmen unumgänglich notwendig ist. Darunter fällt beispielsweise der drohende Verlust eines Großauftrags, nicht hingegen jeder Personalengpass wegen Erkrankung von Arbeitskollegen.

Ein Rücktritt des Arbeitnehmers von der Urlaubsvereinbarung kommt vor allem in Frage, wenn ihm der Urlaubsverbrauch wegen eigener Erkrankung oder Erkrankung eines nahen Angehörigen nicht zumutbar ist. Diesfalls ist die Abklärung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sinnvoll, ob der Arbeitnehmer von der gesamten Urlaubsvereinbarung zurücktreten möchte, oder ob er bei Wiedergenesung lieber nahtlos vom Krankenstand in den Urlaub wechseln möchte. Entgegen weit verbreiteter Praxisgerüchte ist kein Arbeitsantritt zwischen Krankenstand und Urlaub notwendig.

4. Wer trägt die Stornokosten, wenn ein Arbeitnehmer auf Wunsch des Arbeitgebers die Urlaubsreise nicht antritt?

Verursacherprinzip: der Arbeitgeber. Wie erwähnt, hat der Arbeitgeber nur in besonderen Ausnahmefällen (zum Beispiel bei drohendem schweren Schaden für den Betrieb) das Recht, den Arbeitnehmer entgegen einer getroffenen Urlaubsvereinbarung zum Erscheinen in der Arbeit aufzufordern.

Liegt nun ein solcher Ausnahmefall vor oder nimmt der Arbeitnehmer auf Bitten des Arbeitgebers freiwillig vom Urlaubsantritt Abstand, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer schadlos zu halten, das heißt er muss für eventuelle Stornokosten für eine bereits gebuchte Urlaubsreise aufkommen.

5. Was passiert, wenn der Arbeitnehmer im Urlaub erkrankt?

Urlaubskonsum wird durch einen Krankenstand nur dann unterbrochen, wenn dieser länger als 3 Kalendertage andauert (Samstage, Sonntage und Feiertage zählen also mit). Weiters ist Voraussetzung, dass der Krankenstand nicht grob schuldhaft herbeigeführt wurde (grob fahrlässig wäre zB ein durch Trunkenheit am Steuer verursachter Verkehrsunfall), der Arbeitnehmer den Krankenstand unverzüglich meldet und bei Wiederantritt des Dienstes eine ärztliche Krankschreibung vorlegt.

Achtung: Die Krankheit verlängert den Urlaub nicht! Nach dem Ende des vereinbarten Urlaubs ist jedenfalls der Dienst wieder anzutreten.

6. Ist eine Kündigung während des Urlaubs möglich?

Lediglich bei Arbeitern mit sehr kurzer Kündigungsfrist (14 Tage oder noch kürzer) ist nach Ansicht der Arbeitsgerichte eine vom Arbeitgeber während des Urlaubs ausgesprochene Kündigung als rechtswidrig einzustufen: Die Kündigung steht in einem solchen Fall mit dem Erholungszweck des Urlaubs in Widerspruch, da sie den Arbeitnehmer zur Arbeitssuche während des Urlaubs zwingen würde.

In allen anderen Fällen ist eine Kündigung während des Urlaubs arbeitsrechtlich zulässig, kann aber naturgemäß zu abwesenheitsbedingten Zustellproblemen führen.

Ist der Arbeitnehmer nämlich infolge einer Urlaubsreise ortsabwesend, kann er natürlich nicht mit einer Kündigung rechnen. Das Schreiben gilt daher erst dann als zugegangen, wenn es dem Arbeitnehmer möglich ist, das Schreiben entgegenzunehmen. Dies ist im Falle eines postalisch hinterlegten Einschreibens der nächste Postöffnungstag nach der Rückkehr von der Urlaubsreise, da der Arbeitnehmer erst an diesem Tag den Brief vom Postamt beheben kann.

7. Ist ein Betriebsurlaub möglich?

Ja, aber nur aufgrund individueller Vereinbarung. Die in manchen Betrieben übliche Praxis, den Betrieb für einige Wochen im Jahr zuzusperren und für diese Zeit einfach einen Betriebsurlaub anzuordnen, steht arbeitsrechtlich auf sehr wackeligen Beinen. Es fehlt hier nämlich an der – laut Urlaubsgesetz erforderlichen – individuellen Vereinbarung des Urlaubsverbrauchs. Auch eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat – quasi über den Kopf der Mitarbeiter hinweg – reicht entgegen häufiger Fehlmeinung arbeitsrechtlich nicht aus.

Eine individuelle Urlaubsvereinbarung kann aber zustande kommen, wenn die einzelnen Arbeitnehmer ausdrücklich oder schlüssig dem Betriebsurlaub zustimmen. Eine schlüssige Zustimmung der einzelnen Arbeitnehmer kann beispielsweise darin liegen, dass sie den vom Arbeitgeber durch Aushang im Betrieb angekündigten Betriebsurlaub widerspruchslos zur Kenntnis nehmen und tatsächlich zuhause bleiben.

Praktischer Tipp: Es kann bereits im Dienstvertrag ein alljährlich wiederkehrender Betriebsurlaub verankert werden. Voraussetzung für die Rechtsgültigkeit einer solchen Vorausvereinbarung ist, dass der Betriebsurlaub nicht den gesamten Jahresurlaub verplant (praktische Empfehlung: maximal 2 Wochen jährlich), und dass der zeitliche Rahmen des Betriebsurlaubs möglichst genau fixiert ist (zB jeweils die ersten beiden August-Wochen).

Herbert Mikisch hat Österreichs erste Stressberatungsstelle gegründet. Er sagt, dass Urlaub nur dann notwendig ist, wenn das Berufsleben nicht mehr menschengerecht ist. „Wir leben nach Stechuhr, nach Leistungsvorgabe, nach verpflichtenden Strukturen und nicht mehr im natürlichen Rhythmus.“ Am Arbeitsmarkt sollte Menschlichkeit der oberste Wert sein. „Man sollte am Arbeitsplatz glücklich sein können.“ Hier ein paar Tipps, wie der Urlaub wirklich erholsam sein kann.

Rechtzeitige Bekanntgabe

Wer im Urlaub nicht von schlechtem Gewissen geplagt werden will, sollte früh genug mit Kollegen, Mitarbeitern, Geschäftspartnern über den Urlaub reden – und alle noch einmal zwei Wochen, bevor es losgeht, daran erinnern. Etwaige Projekte gehören dann abgeklärt, eine passende Vertretung muss gefunden werden und alle Betroffenen darüber informiert werden – damit alle am Projekt etc. weiterarbeiten können, auch wenn man nicht da ist.

Sorgsame Übergabe

Die Übergabe nicht erst auf die letzten Minuten vorm Urlaub schieben. Der Montag, eine Woche vor Urlaubsbeginn, eignet sich dazu wesentlich besser. Falls Fragen aufkommen, ist so noch die Möglichkeit gegeben, sie zu bearbeiten.

Richtig abschalten

Beinah überall auf der Welt gibt’s heute Internet – nicht verführen lassen und Handy ausschalten.

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