Wie überlebt der Querdenker?
Die viel zitierte Work-Life-Balance hat ausgedient, auch Bleisure – die Mischung aus Business und Freizeit – ist wieder out. Mit Anti-Work löst sich der Arbeitsbegriff, wie wir ihn bisher kennen, auf, sagt Franz Kühmayer.
KURIER: Sie schreiben im Leadership-Report, wir müssen Jobs und Arbeit neu überdenken, warum?
Franz Kühmayer: Eine Reihe von Koordinaten, anhand derer wir Erwerbsarbeit bisher festgemacht haben, beginnt sich aufzulösen. Zumindest für Wissensarbeiter. Etwa der Arbeitsort: Früher ging man ins Büro, um produktiv zu sein. Heute begeht man Büroflucht, geht ins Home-Office oder zu Starbucks. Oder die Arbeitszeit: Das Gehirn macht keinen Feierabend. Nur sechs Prozent der Menschen sagen, sie haben berufliche Ideen am Schreibtisch, der Rest hat sie unter der Dusche, auf dem WC, beim Sport. Ist das Arbeitszeit oder nicht? Man muss die grundsätzlichen Fragen stellen: Wie kommunizieren wir? Wer ist überhaupt ein Mitarbeiter in Zeiten der unternehmensübergreifenden Projektarbeit?
Was meinen Sie konkret mit Anti-Work?
Es heißt nicht, dass wir aufhören zu arbeiten. Aber Arbeit ist heute sinnstiftend, identitätsstiftend. Der bisherige Arbeitsbegriff war auf "hard work", auf harte Arbeit bezogen.
Zählt bei Anti-Work Leistung nicht mehr?
Doch, Leistung ist sehr wichtig. Aber nach wie vor wertschätzen wir die Mühsal der Arbeit. Wenn der Heizungstechniker einmal an der Schraube dreht, finden wir, er ist keine 200 Euro wert. Er muss sich plagen. Bei Anti-Work messen wir das Ergebnis, nicht den Aufwand.
Sie sagen, ein Dreistundentag mit guten Ideen ist besser als ein Zwölfstundentag voller sinnloser Meetings. Wie sollen Unternehmen das ändern?
Führungskräfte klagen selbst über Endlos-Meetings, doch nur sie könnten das ändern. Man muss etwas Neues ausprobieren. Viele Unternehmen igeln sich angesichts der Bedrohungslagen ein und wollen das Bestehende halten. Das kann aber nicht Erfolg bringen. Wir müssen uns fragen: Machen wir ausreichend viele Fehler und probieren wir genug aus? Wir müssen uns von alten Wertvorstellungen lösen.
Brauchen wir mehr Querdenker?
Ja, Unternehmen haben einen viel größeren Bedarf an Verrückten als an angepassten Mitarbeitern. Man muss Freiräume für Querdenker schaffen und dazu Unternehmenskulturen etablieren. Hier wäre mehr Mut hilfreich. Unternehmen suchen zwar innovative Querdenker. Die Frage ist nur, wie überlebt der Querdenker im Unternehmen. Entweder er ist in einem Jahr glatt geschliffen oder er geht wieder. Denn es gibt stets mehr Gründe, Ideen zu verhindern.
Die viel zitierte Generation Y hat Ideen, will Sinn und Freizeit. Da liegt ja viel Veränderungspotenzial.
Es geht nicht mehr darum, die wenigen talentierten Jungen anzuziehen. Die wahre Sprengkraft der Generation Y ist: die Forderungen der Jungen strahlen auf die anderen Mitarbeiter aus. Auch sie wollen in sinnstiftenden Projekten arbeiten und mehr Balance im Leben. Gewinnen werden die Unternehmen, die solche Veränderungen in die Unternehmenskultur hineintragen und sie nicht nur den Jungen bieten.
Die Industrialisierung erleichterte Arbeit per Automatisierung, Druck und Stress steigen dennoch. Wird das durch die Digitalisierung schlimmer?
Während der Industrialisierung wurde der Arbeitsschutz gegen Ausbeutung geschaffen. Heute sehen wir das Phänomen der Selbstausbeutung. Die Menschen müssen erst lernen, mit ihren Freiräumen umzugehen. Auch die Politik ist gefordert: es gibt keine Diskussion zur Digitalisierung und ihren Folgen für den Arbeitsmarkt.
Wenn alle nur mehr Sinn in der Arbeit wollen – wer macht die Bullshit-Jobs, von denen Sie schreiben?
Das sind Tätigkeiten, die keinen Nutzen stiften, aber gemacht werden, weil es immer schon so war. Man schreibt den ganzen Tag irgendwelche Berichte. Das führt zu Sinnleere bei den Mitarbeitern. Solche Bullshit-Jobs zu streichen ist ein Befreiungserlebnis.
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