Wie Corona die Freiwilligenarbeit verändert hat

Wie Corona die Freiwilligenarbeit verändert hat
Freiwillige einzusetzen ist in der Pandemie komplizierter geworden. Ein Rundruf zeigt: an Hilfsbereitschaft mangelt es nicht.

Heute vor einer Woche war der Internationale Tag des Ehrenamtes. Er wurde von der UN 1986 ausgerufen, seitdem findet er jedes Jahr am 5. Dezember statt. Wie wichtig freiwilliges Engagement für die Gesellschaft ist, zeigte sich in diesem Jahr nicht nur an diesem einen Tag, sondern seit Monaten. Seit März füllen Ehrenamtliche die Lücken in der Versorgung unserer Gesellschaft.

Sie helfen in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder bei der Lebensmittelversorgung von Bedürftigen. Auch die Nasen-Abstriche bei den aktuellen Corona-Massentestungen werden vielfach von Freiwilligen gemacht. Viele Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens würde ohne die Tatkraft vieler Freiwilliger nicht funktionieren.

Soziales Fieberthermometer

„Unsere Arbeit ist wie ein soziales Fieberthermometer“, formulierte es Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich vor Kurzem im KURIER. Der Zulauf an die Sozialberatungsstellen würde zunehmen, die Schlangen vor Sozialmärkten länger werden, hinzukommen Geldnöte und Einsamkeit. Der Dezember ist für soziale Einrichtungen, Vereine und Organisationen ein besonders aktiver Monat.

Mit Blick auf Weihnachten rücken ehrenamtliche Tätigkeiten und freiwilliges Engagement mehr ins Bewusstsein, zudem ist es ein Monat, in dem viele Spenden-Kampagnen gestartet werden oder wo Dienstleistungen wie mobile Essensausgaben oder das Kältetelefon für Wohnungslose saisonbedingt stärker vertreten sind.

3,5 Millionen Freiwillige

Rund 3,5 Millionen Menschen in Österreich engagieren sich freiwillig, übernehmen ein Ehrenamt im sozialen, pädagogischen oder politischen Bereich. Nicht alle machen das über eine Non-Profit-Organisation oder einen Verein. 27 Prozent der Österreicher leisten informelle freiwillige Arbeit, etwa in Form einer Nachbarschaftshilfe.

In der ersten Welle nährte die Angst vor Infektionen und Clusterbildungen noch die Sorge, dass das Virus auch dem Freiwilligenwesen in Österreich schweren Schaden zufügen kann. Denn viele Projekte sind auf die Mitarbeit ehrenamtlich tätiger Menschen angewiesen.

Allein beim Österreichischen Roten Kreuz sind es rund 72.000 Freiwillige, bei der Caritas rund 50.000. Aber die gute Nachricht ist: selbst eine Pandemie konnte dieses Engagement nicht unter Druck setzen. Vielmehr hat die Pandemie die Arbeit wohltätiger Organisationen verändert. Zu Beginn habe man natürlich viele Projekte auf Eis legen müssen, erzählt Gregor Jakob-Feiks, Freiwilligenkoordinator der Caritas.

So seien etwa Besuchsdienste in Seniorenheimen kaum oder gar nicht möglich gewesen. Doch wie viele andere Organisationen wechselte auch die Caritas mit ihren Dienstleistungen ins Digitale. Und so wurden beispielsweise die „Lerncafés“, eine Nachhilfe für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, virtuell angeboten, das „Plaudernetz“, eine Hotline gegen die Einsamkeit, ersetzte physische Besuche mit Telefonaten. Allein für diese in der Krise entstandene Initiative engagierten sich mehr als 2.500 Freiwillige.

Junge kompensieren ausfallende Helfer

„Es haben sich unglaublich viele Menschen an uns gewandt, das ist schönes gesellschaftliches Zeichen. Sie haben sich gemeldet, weil sie Solidarität zeigen wollten in einer Notlage, oder weil sie aufgrund eines Jobverlusts oder Kurzarbeit mehr Zeit hatten und diese sinnvoll nutzen wollten, darunter waren auch viele Studenten“, erzählt Jakob-Feiks.

Dass sich vor allem junge Menschen zwischen 18 und 35 so zahlreich engagierten, half so mancher Organisation über eine andere Herausforderung hinweg: Den Ausfall von Helfern. Die mit Abstand höchste Beteiligungsquote in der Freiwilligenarbeit (57 Prozent) weisen die 60 bis 69-Jährigen auf, die gleichzeitig zur Corona-Risikogruppe zählen oder aufgrund von Vorerkrankungen nicht immer eingesetzt werden konnten.

An Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung mangelt es nicht, lautet der Tenor vieler Hilfsorganisationen. Dass die Solidarität gesamtgesellschaftlich zugenommen habe, würde aber zu weit gehen, meint Politikwissenschaftlerin Katharina Kieslich. Sie ist Teil der Forschungsgruppe „Zeitgenössische Solidaritätsstudien“ die im Frühjahr und Herbst Menschen über ihren Umgang mit der Pandemie befragte.

Gefühl der Erschöpfung

„Die Ergebnisse zeigen, dass das noch im April empfundene neue Miteinander allmählich dem Gefühl der Erschöpfung weicht“, so Kieslich. Anfangs habe es einen enormen kreativen Tatendrang gegeben, um trotz Infektionsgefahr anderen helfen zu können. „In der zweiten Befragungsphase im Oktober wurde stärker an die Politik appelliert, sozial benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft zu unterstützen, man fordert eine institutionell strukturierte Solidarität ein.“ Auch Andrej Grieb, Landesrettungskommandant vom Österreichischen Roten Kreuz erzählt von Ermüdungserscheinungen unter den Freiwilligen. „Jeder ist irgendeiner Form von der Krise betroffen und irgendwann ist die Luft draußen.“

Ob Krisen gesellschaftliche Solidarität stärken oder schwächen, wird in der Literatur widersprüchlich diskutiert. Doch aus Erfahrung weiß Freiwilligenkoordinator Jakob-Feiks, dass sich viele Menschen als Freiwillige melden, auch wenn oder gerade weil sie selbst eine Krise durchleben.

„Andere Lebensrealitäten kennenzulernen, das Gefühl, gebraucht zu werden, das ist für viele Menschen einfach bereichernd.“ Dass sich ehrenamtliches Engagement positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt, zeigen auch Langzeitstudien in der Neurowissenschaft. Wer anderen hilft, ist körperlich fitter, mit dem eigenen Leben zufriedener und leidet seltener an Depressionen.

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