Whistleblower: Wann sag’ ich was? Und wem?

Whistleblower: Wann sag’ ich was? Und wem?
Wer Misstände aufdeckt, muss mit Konsequenzen rechnen. Whistleblower sind in Österreich nicht geschützt.

Gleich 200.000 Mails bringen die Parteien zurzeit in arge Bedrängnis. Ihr Inhalt: Absprachen innerhalb der Telekom Austria zur Parteienfinanzierung. Zugespielt wurden sie News – von einem Informanten, einem sogenannten Whistleblower.

Sie sind in letzter Zeit oft im Spiel, wenn Wirtschaftsskandale publik werden. Der Unterschied zwischen Whistleblowing und Vernaderung liege in der Redlichkeit, meint Walter Gehr, Gründer des Vereins Whistleblowing Austria ( siehe Interview ). „Ich vernadere jemanden, um ihm Böses anzutun, erfinde, verzerre Fakten. Ein Whistleblower hat einen begründeten Verdacht, will Schaden abwenden – vom Unternehmen und von der Gesellschaft.“ Doch wer Missstände in seinem Unternehmen ans Tageslicht zerrt, hat mit Konsequenzen zu rechnen, auch wenn er anonym verpfeift. Kündigung, Strafversetzung, Mobbing sind meist die Folge. Wie im Fall der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die nicht länger mitansehen wollte, wie die Bewohner des Pflegeheims in ihren eigenen Exkrementen liegen mussten. Sie wandte sich an die Staatsanwaltschaft. Die Untersuchung wurde eingestellt, Heinisch entlassen.

Whistleblower: Wann sag’ ich was? Und wem?

Dass Insider Missstände aufdecken, kann aber durchaus auch im Sinne der Unternehmens sein. Größere Unternehmen wie ThyssenKrupp setzen unabhängige Compliance Officer ein, die die Einhaltung von Regeln und Gesetzen im Unternehmen kontrollieren und als Anlaufstelle für Whistleblower dienen. Thyssen Krupp hat auch eine weltweite Whistleblower-Hotline bei einer Rechtsanwaltskanzlei eingerichtet. Genutzt werde die Hotline in Österreich kaum, sagt Geschäftsführer Johannes Wastl: „Wir haben eine offene Gesprächskultur, halten unsere Mitarbeiter an, kritische Themen anzusprechen.“ Decke ein Mitarbeiter etwas auf, habe er nichts zu befürchten, „das kommunizieren wir intensiv“.

Das Problem laut Gehr: Auch wenn Konzerne solche Maßnahmen einführten, der Schutz für Hinweisgeber sei von Land zu Land verschieden. In den USA wurde Whistleblowern im Vorjahr im Rahmen des „False Claims Act“ eine Rekordsumme von 532 Millionen US-Dollar an Schadensersatz zugesprochen, auch in Großbritannien sind sie vor Kündigung und Strafversetzung geschützt. In Österreich jedoch wird es Informanten schwer gemacht. Zwar sind seit 1. Jänner Beamte, die Hinweise zu Korruptionsfällen geben, unter Schutz, für die Privatwirtschaft sei aber derzeit kein Gesetz angedacht, so Pressesprecherin Sabine Mlcoch zum KURIER. Demnächst lässt Justizministerin Beatrix Karl eine Whistleblower-Webseite nach niedersächsischem Vorbild einrichten. Informanten können dort mit Ermittlern anonym kommunizieren. Was die wahrgenommene Korruption betrifft, rangiert Österreich weltweit auf Platz 16. Klingt gut, ist aber laut Transparency International nur „schlechtes Mittelfeld“ – verglichen mit den anderen Industriestaaten.

Schutz per Vertrag

Der Grazer Wirtschaftsdetektiv Hermann Kemetmüller, Kriminalbeamter in Rente, sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf für ein Gesetz. Vor drei Monaten hat er eine Whistleblower-Hotline eingerichtet. Langt ein Verdachtsfall ein, prüft Kemetmüller ihn und nimmt mit dem betroffenen Unternehmen Kontakt auf. Hinweisgeber müssten geschützt, sogar belohnt werden, meint er. „Und sie dürfen nur aufgedeckt werden, wenn sie es wollen.“ Paradox: Wird ein Informant vor Gericht als Zeuge geladen, ist seine Anonymität nicht mehr gesichert. Ein Straftäter, der als Kronzeuge aussagt, wird dagegen dank neuer Regelung straffrei gestellt (siehe unten). Kemetmüller will den Schutz des Informanten auch ohne Gesetz gewährleisten: „Wir verpflichten die Firma per Vertrag, nicht gegen den Whistleblower vorzugehen.“

Der Kampf vor Gericht kann sich auszahlen – bei entsprechend langem Atem. Brigitte Heinisch bekam nach jahrelangen Prozessen recht – allerdings nicht von den deutschen Gerichten, sondern vom Europäischen Menschengerichtshof. Er sprach ihr im Juli 2011 eine Entschädigung von 15.000 Euro zu. Und die Telekom Austria hat im November einen internationalen Compliance-Experten engagiert. Er soll künftig für saubere Geschäfte sorgen.

Gesetz: Schutz gilt nur für Beamte

Novellen Seit 1.1. 2012 ist im neuen Beamtendienstrecht ein Schutz für Whistleblower vor Strafversetzung und Jobverlust vorgesehen. Er gilt ausschließlich bei Wirtschaftskriminalität. In der Privatwirtschaft gibt es keinen gesetzlichen Schutz. Seit Anfang 2011 gilt die „große Kronzeugenregelung“. Kooperative Straftäter können straffrei gestellt werden. Prominenter Kronzeuge ist etwa Ex-Telekom-Vorstand Gernot Schieszler.

Anlaufstellen: Wer Ihnen weiterhilft

Ob Bestechung, Steuerhinterziehung, kartellrechtliche Vergehen oder missachteter Arbeitnehmerschutz: Wer konkrete Verdachtsfälle kennt, kann sich an diverse Stellen wenden. Wichtig: Es müssen Indizien gesammelt werden – dokumentierte Beobachtungen, Unterlagen etc. Bloße Anschuldigung reicht nicht.

Betriebsinterne Stellen Nur nutzen, wenn es eine anonyme Hotline oder einen von der Geschäftsführung unabhängigen Compliance Officer gibt.

Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen Verfolgt nur Korruptionsfälle mit Schadensbeträgen ab fünf Millionen Euro.

Austroleaks Der KURIER hat mit www.austroleaks.at eine Anlaufstelle
eingerichtet. Hier können Hinweise anonym deponiert werden. Der elektronische Dokumenten-Upload garantiert Anonymität.

Whistleblowing Austria berät bei der Vorgehensweise. www.whistleblowing.at

Wirtschaftsdetektei Wirtschaftsdetektive helfen bei der Beweisbeschaffung. Die Detektei Hermann Kemetmüller hat eine Whistleblower-Hotline eingerichtet.

Die Whistleblower-Webseite des Justizministeriums soll demnächst online gehen: Sie ermöglicht anonyme Kommunikation und Austausch per Mail.

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