Wertewandel: Das erfüllte Leben zählt
Sie sind jung und gebildet. Wollen nicht irgendeinen Job. Sondern einen mit Spaß, Sinn und viel freier Zeit. Als „Generation Weichei“ hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung die 20- bis 29-Jährigen kürzlich abgestempelt – aus der Sicht mancher Personalchefs und Führungskräfte. Sie seien unbelastbar, überfordert, leistungsfaul. Die Jungen würden auf die knallharte Karriere pfeifen, um ein erfülltes Leben neben dem Job haben zu können.
Doch nicht erst seit den jungen Wilden, die für den Job mehr einfordern, als sich je eine Generation vor ihnen getraut hat, haben sich die Werte in der Gesellschaft geändert. Und damit auch die Ansprüche an die Arbeitswelt. Schon in den 1970ern konstatierte US-Soziologe Ronald Inglehart die „Zunahme postmaterialistischer Werte“, die sich massiv von den bis dahin materialistischen unterschieden: Nämlich Naturerhaltung (der „Öko“-Gedanke), Partizipation, Selbstfindung und Selbstbestimmung.
Und heute? Ist es wieder die Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung, die das Werteranking anführt. Gleich danach kommen Familie und Gesundheit, glaubt man dem Werte-Index 2012 des deutschen Trendforschers Peter Wippermann (siehe Interview unten). Der Erfolg dümpelt abgeschlagen auf Platz sechs dahin.
Die Ansprüche an Job und Arbeitgeber differieren aber zwischen den Generationen, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Deloitte aus dem Jahr 2011 zeigt. Waren für die Nachkriegsgeneration (1945–’55 geboren) noch Führung, Fairness, Arbeitsinhalt und Reputation wichtig, legen die Baby Boomer (1956–’69) wert auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit – aber noch ebenso auf Führung. Die Generation X (1970–’82) setzt neben Fairness, Sicherheit und Individualität auch auf monetäre Vergütung, während die am Arbeitsmarkt jüngste Generation Y Flexibilität, Spaß an der Arbeit, nette Kollegen, die Anerkennung von Leistungen und – natürlich – Internetpräsenz einfordert. Die unterschiedlichen Werte der Generationen wirken sich auf eine Arbeitsmoral aus – was wiederum zu Konflikten in der Zusammenarbeit führe, fand die Studie „Workplace Survey“ des Personaldienstleisters Robert Half Ende 2011 heraus: So sieht etwa ein Drittel der Personal- und Finanzexperten in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Einstellung zur Work-Life-Balance als größte Herausforderung.
Karrierechancen zählen
Und die Forderung nach Balance von Beruf und Freizeit sei bei den Jungen besonders vehement, sagt Gundi Wentner, Geschäftsführende Gesellschafterin bei Deloitte. Faul sei die Generation Y dennoch nicht: „Jeder Dritte aus der jungen Generation denkt an eine berufliche Veränderung – als Grund geben sie mangelnde Karrieremöglichkeiten im jetzigen Unternehmen an“, so Wentner. Genauso wie die Generation X vor ihnen.
Eines ist evident: Die Unternehmen müssen sich umstellen. 28 Prozent von ihnen haben laut einer anderen Deloitte-Studie Probleme, Stellen zu besetzen. „Sie können sich die Bewerber für Schlüsselpositionen oft nicht mehr aussuchen, sind nicht mehr in der stärkeren Verhandlungsposition“ , meint Wentner.
Ökonomie entscheidet
Einige Firmen haben das längst erkannt und sputen sich, den Ansprüchen der Bewerber gerecht zu werden. Siemens Österreich bietet flexible Arbeitszeiten und -orte für die Mitarbeiter an. „Die Bedeutung monetärer Gratifikation nimmt ab“, konstatiert Karl Lang, Personalmanager bei Siemens Österreich und seit 22 Jahren im Geschäft. Auch er sagt: „Die Bewerber wollen persönliche Entfaltung, Anerkennung, flexibel arbeiten können.“ Für Lang liegt die Verschiebung der Werte in der ökonomischen Situation einer Gesellschaft begründet: „In Osteuropa, das ja noch im Aufbau ist, sind die Bewerber eher darauf aus, viel Geld zu verdienen.“ Dort böte Siemens den Bewerbern viel stärker finanzielle Anreize. Buhlen die Firmen im Osten also noch über verlockende Gehälter um Bewerber, konkurriert man hierzulande über attraktive Bedingungen.
In der IT-Branche wird das flexible Arbeiten schon durchwegs gelebt. „Besonders junge Mitarbeiter legen heute Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“, bestätigt Sabine Hogl, CFO und Personalchefin von Telekommunikationsfirma Drei. „Karriere ist ihnen zwar wichtig, aber nicht um jeden Preis.“ Dass die Jungen „Weicheier“ wären, kann sie nicht bestätigen. Die Anforderungen an sie sind sehr hoch, die Konkurrenz ist in unserer Branche hoch.“ Vielmehr seien diese Ansprüche ein Symptom für die Weiterentwicklung der Arbeitswelt.
Doch auch die Ansprüche der Unternehmen an die Mitarbeiter haben sich verschoben: Wo sich früher der skrupellose Workaholic à la Gordon Gekko verbissen auf der Karriereleiter nach oben in den Chefsessel katapultierte, sind heute Führungskräfte der anderen Art gefragt, sagt Lang: „Nur Leute mit Ellbogentechnik wären schlecht für unser Unternehmen. Mit dem beruflichen Engagement muss sich auch das Sozialverhalten entwickeln.“
KURIER: Herr Wippermann, der häufigste Wert, den Sie in Ihrer Analyse im Internet gefunden haben, ist Freiheit. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Peter Wippermann: Wir haben uns zur Häufigkeit der Wertbegriffe auch immer den Kontext angeschaut und festgestellt: Freiheit wird heute im Sinne von Autonomie verstanden. Es geht darum, die Dinge zu realisieren, die für den Einzelnen interessant sind. Dafür ist die Krise verantwortlich – wir wissen nicht, wie viel Sicherheit der Staat und die Unternehmen uns noch bieten können. Wir verlassen uns zunehmend auf uns selbst.
Wurde der Wert Freiheit früher anders verstanden als heute?
Früher war Freiheit eher mit dem Konsumbegriff verbunden, 2009 war es dann vor allem der freie Zugang zum Internet – er ist heute selbstverständlich.
„Erfolg“ ist von Platz zwei im Jahr 2009 auf Platz sechs abgerutscht.
Die Leute sagen, es muss noch etwas anderes geben, als die Anforderungen, die Beruf und Bildung an einen stellen. Sie denken und planen ihre Karriere nicht mehr langfristig, sondern wollen heute Geld und Glück miteinander verbinden. Das ist für die Unternehmen problematisch. Sie müssen berücksichtigen, dass die Mitarbeiter mehr Zeit für Familie wollen, nicht mehr auf ihr Privatleben zugunsten der Karriere verzichten wollen. Doch Zeit ist für die Unternehmen ein kostbarerer Einsatz als Geld.
Auch die Familie hat laut Werte-Index an Stellenwert gewonnen.
Der Wert Familie ist meist eine Sehnsucht – die Menschen leben ja eher in Singlehaushalten. Die Nachfrage nach Auszeiten, die nicht der Karriere abträglich sind, steigt. Das Papamonat wird in Deutschland von den Männern gut angenommen. Auch die Gesundheit wird den Menschen wichtiger: Die Firmen müssen mit Mitarbeitern umgehen, die unter Stress und psychischen Anomalien leiden.
Haben Sie bei der Analyse der Daten auch Generationsunterschiede bemerkt?
In der jungen Generation, die mit Social Media aufgewachsen ist, ist der Autonomiewert am stärksten ausgeprägt. Auch ihre Selbstmarketingsucht ist groß, sie ist dynamischer, flexibler als die Generationen vor ihr, will ständig Feedback haben. Und sie fühlt sich emotional zurückgesetzt, wenn sie es nicht gleich bekommt.
Was bedeutet das für die Unternehmen in Hinblick auf ihre Mitarbeiter?
Die Arbeitnehmer stellen zunehmend hohe Anforderungen an die Unternehmen. Und: Zwar haben fast alle großen Unternehmen Social-Media-Auftritte, nur schauen 64 Prozent der Unternehmen gar nicht selbst ins Internet. Diese Seiten werden nämlich ausgelagert. Firmen, für die es selbstverständlich ist, sich selbst um Social Media zu kümmern, sind bei den Jungen als Arbeitgeber gleich viel attraktiver.
Kommentare