Wer braucht schon einen Chef?

In Detlef Lohmanns Firma dürfen die Mitarbeiter alles entscheiden und mitreden – auch bei Bewerbungsgesprächen
Detlef Lohmann machte sich als Chef überflüssig – seine Mitarbeiter führen sich selbst, arbeiten eigenverantwortlich, ohne Abteilungen, ohne Hierarchien

Auf Befehle von oben müssten die Mitarbeiter der allsafe Group ewig warten – sie würden nie kommen. Denn Detlef Lohmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Produktionsfirma, hat die Hierarchien umgedreht. "Ich bin unten, die Mitarbeiter ganz oben", sagt er. Zwei Jahre, nachdem sein Buch "... und mittags geh’ ich heim" über seine Führung ohne Führung erschienen ist, hat er seine Vision vorangetrieben. Seine Mitarbeiter arbeiten eigenverantwortlich, ohne Abteilungen, ohne Hierarchien.

KURIER: Wann waren Sie zuletzt acht Stunden im Büro?Detlef Lohmann: Das bin ich fast jeden Tag. Ich reserviere mir einen halben Tag für operative Aufgaben, den anderen halben Tag denke ich über das Unternehmen nach und arbeite meine eMails ab – es sind zehn am Tag. Ich springe auch mal als Produktionsleiter ein. Zum Essen geh’ ich mittags heim, komme aber häufig wieder (lacht).

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe als Führungskraft?

Die Führungskraft wirkt ordnend und organisierend. Die Führungsperson muss sich als Mensch einbringen. Zur Führungspersönlichkeit muss man reifen. Ich bin Führungsperson und -persönlichkeit. Meine Aufgabe ist, den Leithorizont für das Unternehmen aufzubauen und den Mitarbeitern Sinn zu geben. Die Führungskraft delegiere ich an die Mitarbeiter – sie organisieren sich selbst.

1999 traten Sie als Geschäftsführender Gesellschafter in die allsafe Group ein. Sie hatten wenig Führungserfahrung.

Ich hatte keine. Ich war davor frustrierter Angestellter in einem Konzern, war an mir selbst gescheitert, war nicht führbar. Ich ließ mich nicht für Geld korrumpieren. Wenn ich nicht überzeugt war, habe ich es nicht gemacht. Meine Karriere war mit 35 zu Ende.

Was hat Sie an den Konzernen am meisten gestört?

Die Führung, der Umgangston war menschenverachtend. Ich wollte nicht mit 55 das Büro neben dem Klo bekommen.

Welche Strukturen fanden Sie 1999 in der allsafe Group vor?

Ein mittelständisches Unternehmen mit 40 Mitarbeitern. Der Chef, ein Patriarch, kümmerte sich um seine Mitarbeiter wie ein Vater um seine Kinder. Alles war genau geregelt, die Mitarbeiter durften nicht frei entscheiden.

Was taten Sie als Erstes?

Die ersten eineinhalb Jahre haben wir Workshops für die Mitarbeiter gemacht, Vertrauen gebildet. Operativ habe ich anfangs fast gar nicht gearbeitet. Ich kam ja als Fremder rein, der Betrieb lief gut. Ich war unsicher in Sachentscheidungen, habe unterwegs das Handy ausgeschaltet, später hieß es: "Chef, wir haben schon entschieden." Erst 2005 begann ich, die Strukturen zu verändern.

Warum?

Der Sinnhorizont fehlte. Wir waren wirtschaftlich erfolgreich, aber nicht innerlich. Ich habe Coaching in Anspruch genommen, holte meine Führungsmannschaft ins Coaching.

Dann haben Sie Meetings, Abteilungen, Hierarchien abgeschafft.

Wir fassten zwei Abteilungen mit hohem Absprechungsbedarf zusammen. Das haben wir nach und nach in allen Bereichen so gemacht. Das Unternehmen ist in Task Forces für Projekte organisiert: Die sieben Einkäufer zum Beispiel sitzen an unterschiedlichen Stellen, es gibt keinen Einkaufsleiter. Jeder ist selbst für seinen Bereich verantwortlich. Die Mitarbeiter reden einfach miteinander – ohne Meetings, eMail und Telefon.

Ist da nicht die Anfälligkeit für Fehler und Missbrauch hoch?

Wir haben keine Kontrollmechanismen, vertrauen den Mitarbeitern vorab. Vor fünf Jahren haben ein Teamleiter und ein Produktionsmitarbeiter Waren gestohlen und weiterverkauft.

Damit muss man dann ja rechnen.

Nein, da war ich naiv.

Welche Konsequenzen hatte das?

Ich habe einen Appell an die Ethik des Einzelnen gerichtet. Aber keine Kontrolle eingeführt. Es ist nie wieder vorgekommen.

Die Kennzahlen hängen tatsächlich an Pinnwänden aus?

Ja, wenn Sie reinkommen, können Sie sehen: der Lohmann hat drei Millionen Euro verdient (lacht). Bei uns gibt es keine Geheimnisse. Die Mitarbeiter erstellen die Kennzahlen für ihren Bereich selbst. Wenn ich Information frei zirkulieren lasse, können fast alle kompetent entscheiden – auch ohne Manager.

Ihre Geschäftsleitung hat 18 Mitglieder. Es geht also doch nicht ganz ohne Hierarchie?

Das sind ehemalige Führungskräfte mit hoher Sachkompetenz. Aber Hierarchien in Bezug auf das Personal haben wir abgeschafft. Auf seine Visitenkarte schreibt jeder, was er will: Für meine Asienreisen nenne ich mich "President", weil Status dort extrem wichtig ist. Reist ein Vertriebsmitarbeiter in die USA, nennt er sich "Vice President of Marketing & Sales". Das dient dem Geschäft.

Wie haben Sie geschafft, dass die oft langjährigen Mitarbeiter Ihre Vision mittragen?

Wenn Sie Veränderungen schleichend umsetzen, ertragen die Menschen viel (lacht). Aber bei den neuen Mitarbeitern hatten wir eine hohe Fluktuation.

Haben Sie den Bewerbungsprozess verändert?

Bei uns steht am Schwarzen Brett, wer wann zum Bewerbungsgespräch kommt. Die Mitarbeiter können teilnehmen.

Dann sitzen 30 Leute im Zimmer?

Das nicht, aber zehn schon.

Unangenehm für den Bewerber ...

Daran erkennen wir, ob er zu uns passt. Wir fragen ihn auch vor allen, wie viel er verdienen will. Nur wer damit umgehen kann, kommt weiter.

Was hat sich am meisten verändert?

Die Mitarbeiter arbeiten hart, sind aber glücklich.

Detlef Lohmann arbeitete bei Daimler und anderen Autozulieferern. 1999 kaufte er sich als Geschäftsführender Gesellschafter bei „allsafe Jungfalk“ in Baden-Württemberg ein, einem Hersteller für Ladungssicherungs- systeme, dessen Inhaber in Pension ging. Er krempelte die Unternehmensstruktur um.

Unternehmen Die allsafe Group hatte im Vorjahr 36 Mio. Euro Umsatz mit 145 Mitarbeitern und 35 Leiharbeitern. Die Firma wurde mehrfach als Top-Arbeitgeber ausgezeichnet.

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