Am seidenen Faden: Was tun, wenn man nicht mehr weiter weiß?

Woran festhalten, wenn alles um einen zerbricht?
Den Job verloren, die Rechnungen stapeln sich, die Verzweiflung sitzt tief. Wohin man sich wenden kann, wenn alles um einen zerbricht.

Die Telefone läuten beim Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) nun öfters. Die Zahl der Anrufer an der Helpline hat sich seit der Corona-Pandemie beachtlich gesteigert. Während im Vorjahr insgesamt 863 Anrufe beim BÖP eingingen, waren es heuer bereits 3.166. Auch im Kriseninterventionszentrum ist die Anzahl besorgter Anrufer gestiegen. „Mittlerweile spielt bei mindestens 70 Prozent der Anrufer die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen eine Rolle“, sagt der Geschäftsführer und ärztliche Leiter des Kriseninterventionszentrum Thomas Kapitany.

Extrem anfällig

Existenzängste, Sorgen um Angehörige, Gewalt in der Partnerschaft, Einsamkeit, Überforderung bis hin zu suizidalen Gedanken: Die Liste der Probleme der Anrufer ist lang. „Für viele Menschen ist das eine extrem herausfordernde Zeit. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass derzeit ja viele Ausgleichsaktivitäten wegfallen. Reisen. Das Fortgehen mit den besten Freunden. Das macht uns zusätzlich anfälliger für persönliche Krisen“, sagt Kapitany.

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie hat die Donau-Universität Krems die psychische Gesundheit der Österreicher wiederholt untersucht. Die erste Studie im April zeigte einen Anstieg der psychischen Symptome für Depression, Ängste oder Schlafprobleme auf das drei- bis fünffache der Werte vor der Pandemie.

Aktuelle Ergebnisse bestätigen, dass depressive Symptome sowohl im Juni als auch im September immer noch bei rund 20 Prozent der Bevölkerung auftraten. Auch Angstsymptome oder Schlafstörungen liegen weiterhin bei 16 Prozent. Besonders deutlich ist der Vergleich bei schweren Fällen: Seit Beginn der Pandemie leiden rund acht Prozent unter einer schweren depressiven Symptomatik, bei einer Untersuchung 2014 war es nur ein Prozent.

Was hat Ihnen immer geholfen?

Geldprobleme, Angst vor der Zukunft, Kündigungen: Wir leben in einer unsicheren Zeit mit extrem hohen Belastungen, weiß auch Psychologin Felicitas Auersperg: „Zunächst kann ein Blick in die eigene Biografie helfen. Was hat mir bei meinen persönlichen Krisen immer geholfen?“ Das können Bewältigungsstrategien im Außen sein, wie der regelmäßige Austausch mit Freunden oder Sport. Aber auch bestimmte Gedanken, die Hoffnung, Mut und Kraft geben.

„Schon allein das Bewusstsein darüber, dass man bereits schwierige Situationen in seinem Leben gemeistert hat, kann einen die nötige Kraft für die jetzige Krise geben.“ Kommt man mit dieser Methode aber nicht weiter, betont die Psychologin, ist das spätestens der Moment, wo man sich Hilfe suchen sollte. „Professionelle Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Vernunft.“

Fokus auf das Gute

Wie wichtig es ist, seine Sorgen mitzuteilen, weiß auch Psychotherapeut Kapitany: „Sein Leid auszusprechen, bringt Ordnung in die Sorgen. Außerdem bekommt man Verständnis geschenkt und das macht die Situation leichter. Sonst dreht man sich im Kreis mit seinen Gedanken und kommt womöglich nicht mehr alleine hinaus.“

Persönlichen Halt gibt im Alltag vor allem der Kontakt zu anderen Menschen. Bei Überforderung besteht laut Experten zudem die Gefahr, antriebslos zu werden. „In dem Fall hilft es, sich eine Tagesstruktur zurechtzulegen“, sagt Auersperg.

Dazu zähle, sich Termine auszumachen wie zum Sport oder dem täglichen Anruf der besten Freundin sowie fixe Zeiten einzuplanen, wann man sich die Jobanzeigen durchschaut. Außerdem hilft es, wenn man seinem Geist und Körper Gutes tut.

„Es ist besonders wichtig, sich Zeit für die psychische Gesundheit zu nehmen, auch, weil Angst und Stress das Immunsystem schwächen. Generell solle man versuchen, den Fokus beim Positiven (alles, was jetzt gut im eignen Leben ist) zu halten, auch wenn es in diesen Zeiten besonders schwer fällt.

Anlaufstellen & Hilfe

Telefon- und E-Mail-Beratung, kostenlos und anonym:

Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP): +43 1 504 8000, von Montag bis Sonntag von 9 bis 20 Uhr oder per E-Mail an: helpline@boep.or.at.

Kriseninterventionszentrum: +43 1 406 95 95, von Montag bis Freitag zwischen 10 und 17 Uhr. Unter www.kriseninterventionszentrum.at besteht die Möglichkeit der E-Mail-Beratung.

Telefonseelsorge: Unter der bundesweiten Notrufnummer 142 wird rund um die Uhr Telefonberatung angeboten. Unter www.telefonseelsorge.at besteht ebenfalls die Möglichkeit der E-Mail-Beratung.

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