Warum sich ein Lehrabschluss über den zweiten Bildungsweg lohnt

Warum sich ein Lehrabschluss über den zweiten Bildungsweg lohnt
Dass es nie zu spät ist, einen Lehrabschluss nachzuholen, beweist die 28-jährige Kassiererin Cansa Görgülü. Auch wenn sie nach der Arbeit pauken muss - der Abschluss über den zweiten Bildungsweg hat Vorteile.

Pflichtschulabschluss, dann eine Lehre mit 15 Jahren. Das ist der klassische Weg. Cansa Görgülü ging einen anderen. Sie begann, im Handel zu arbeiten, heiratete und bekam Kinder. „Seit zehn Jahren arbeite ich nun bei Interspar als Kassiererin. Ich dachte immer, für eine Lehre ist es für mich zu spät“, erzählt sie.

Seit Ende September denkt sie anders. Görgülu ist eine von 16 Teilnehmenden des neuen Ausbildungsprogramms des Lebensmittelhändlers Interspar, bei dem die Mitarbeiter in nur sieben bis zehn Monaten einen Lehrabschluss im Einzelhandel nachholen können.

Kurse werden an Dienstzeiten angepasst

Das Ausbildungsangebot würde sich vor allem an Mitarbeiter ohne formalen Lehrabschluss richten, sowie an Menschen, deren Berufsabschluss in Österreich nicht anerkannt wird, heißt es vom Konzern.

Organisiert wird die Ausbildung in verschiedenen Modulen, ein Vorbereitungskurs bereitet Görgülü und ihre Kollegen auf die Abschlussprüfung vor, dafür fährt sie für ein paar Tage im Monat in das bfi Salzburg. „Die Kurse werden monatlich an meine Dienstzeiten angepasst.“

Basis für das Weiterbildungsprogramm ist das Ausbildungsprojekt „Du kannst was!“, einer Initiative der Arbeiterkammer, der Länder und der Wirtschaftskammer, die erwachsenen Arbeitnehmern zu einem formalen Bildungsabschluss verhelfen soll.

Warum sich ein Lehrabschluss über den zweiten Bildungsweg lohnt

Cansa Görgülü hat zehn Jahre Berufserfahrung bei Interspar und holt
aktuell ihren Lehrabschluss nach 

In diese Form der Personalentwicklung zu investieren sei eine Win-win-Situation, sagt Michael Sturm, Geschäftsführer des bfi Österreich.

„Bekommen Mitarbeiter die Möglichkeit, sich intern weiterzubilden, bleiben sie. Arbeitgeber wiederum mildern den Fachkräftemangel, indem sie bestehende Mitarbeiter weiterqualifizieren.“

"Zweiter Bildungsweg gewinnt an Bedeutung"

Görgülü ist bei weitem nicht die Einzige, die im Erwachsenenalter einen Lehrabschluss nachholt. Helmut Dornmayr vom Institut für Bildungsforschung (ibw) beobachtet seit Jahren einen deutlichen Anstieg im Bereich der Nachqualifizierung.

„Der Lehrabschluss über den zweiten Bildungsweg gewinnt immer mehr an Bedeutung – gerade auch angesichts des drohenden Fachkräftemangels“, so Dornmayr.

Laut Zahlen der Lehrlingsstelle der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) wurden von 37.618 erfolgreich bestandenen Lehrabschlussprüfungen im Jahr 2020, 6.346 über eine sogenannte außerordentliche Lehrabschlussprüfung abgelegt. Den zweiten Bildungsweg über einen Arbeitgeber zu beschreiten sei eher unüblich, so Dornmayr.

Breite Zielgruppe

„Die meisten Teilnehmer werden über das AMS vermittelt, etwa im Rahmen der Facharbeiterintensivausbildung, die dann bei einem Bildungsträger die theoretischen Prüfungsinhalte vermittelt bekommen.“ Das bestätigt auch bfi-Chef Sturm.

„Gerade in den Bereichen Elektronik, Bau, Holz, sowie im metallverarbeitenden Gewerbe werden außerordentliche Lehrabschlüsse im Rahmen der AMS-Facharbeiterintensivausbildung absolviert.“

Doch auch angelernte Hilfskräfte oder Quereinsteiger aus einem anderen Berufszweig, die einen Lehrabschluss nachholen möchten, seien eine klassische Zielgruppe des zweiten Bildungswegs, so Sturm. Damit Spätberufene zu einem außerordentlichen Lehrabschluss kommen, gelten einige Voraussetzungen.

Mindestens eineinhalb Jahre Berufserfahrung

„Der Antragsteller muss volljährig sein und eine facheinschlägige Tätigkeit nachweisen, etwa über ein Dienstzeugnis, die Berufserfahrung muss mindestens eineinhalb Jahre zurückreichen“, erklärt Günther Zauner, Lehrlingsexperte der Arbeiterkammer (AK).

Die Antragstellung selbst erfolge bei der Lehrlingsstelle der WKO, dort werde auch die Prüfung abgelegt. „Die Theoriekurse werden in Bildungseinrichtungen absolviert, etwa im Wifi oder im bfi.“ Die Unterrichtszeit sei unterschiedlich und in der Regel auch berufsbegleitend möglich.

Die Nachqualifizierung erweise sich später als Vorteil, so Sturm. „Der Arbeitnehmer hat einen formalen Berufsabschluss mit entsprechender Entlohnung. Zudem erhöht das auch die Mobilität am Arbeitsmarkt, Jobwechsel werden einfacher.“

Dass Cansa Görgülü erst abends nach der Arbeit lernen kann, stört sie nicht. „Es gibt keine Ausreden, ich möchte das schaffen“. Der Kurs gibt ihr Selbstbewusstsein, sie steckt sich bereits ein neues Karriereziel: „Ich möchte in Zukunft die Kassenaufsicht machen.“

Kommentare