Warum man in seiner Karriere niemals richtig ankommt
Solveig Menard-Gallis Lebenslauf ist der Inbegriff der steilen Management-Karriere. Angefangen als Junior Controllerin beim Getränkehersteller Pago, avancierte sie nur zehn Jahre später zur Finanzdirektorin von Heineken Niederlande.
Heute ist sie die erste Frau im Vorstand von Wienerberger, einem der größten Ziegelhersteller der Welt. Es scheint, als hätte sie die Karriereleiter mit genauem Ziel vor Augen erklommen. Doch geplant war nichts davon und manches würde sie heute anders machen.
Geduld aneignen
„Ich war sicher viel ungeduldiger am Anfang“, erinnert sich die Wienerberger-Vorständin. Berufliches und Privates zu balancieren, war herausfordernd, insbesondere weil sie passioniert in ihrem Beruf war. „Man darf die Balance aber niemals außer Acht lassen“, mahnt Menard-Galli und gibt damit ihrem jüngeren Ich einen Karriere-Tipp.
Auch Karriere-Coachin und Psychotherapeutin Sonja Rieder bestätigt, dass das Vernachlässigen des Privatlebens und der eigenen Gesundheit der häufigste Fehler sei, den Berufseinsteiger machen. „Man kommt mit viel theoretischer Bildung und muss plötzlich praktisch lernen. Die Unsicherheit ist groß, genauso wie der Wunsch, es gut zu machen“, sagt Rieder.
Sich zu übernehmen, sei jedoch weder für einen selbst, noch für das Teamgefüge förderlich, erklärt die Karriere-Coachin: „Zum einen, weil eine Erwartungshaltung entsteht und zum anderen, weil junge Ehrgeizler als Bedrohung wahrgenommen werden.“
Scheitern und Aufstehen
Zu viel Ehrgeiz hatte auch Unternehmer Dejan Stojanovic. 2014 holte er die „Fuckup Nights“ erstmals nach Österreich – ein Event, bei dem Gründer und Manager die größten Fehlschläge ihrer beruflichen Laufbahn vor Publikum präsentieren.Und obwohl Stojanovic sah, weshalb andere scheiterten, beging er denselben Fehler und wollte zu viel zu schnell. Seine erste Co-Gründung, eine groß angelegte Plattform für den Ankauf von Neuwagen, setzte er deshalb in den Sand.
„Erst nachdem ich erkannt habe, dass unsere bisherige Herangehensweise absolut falsch war, habe ich das gemacht, was ich von Anfang an hätte tun müssen“, sagt Stojanovic. Nämlich sich auf kleine Schritte zu konzentrieren, statt sich in das fertige Produkt zu verlieben.
Wagt er sich heute an eine neue Geschäftsidee, mache er das so simpel wie möglich. Selbst große Ideen werden in der Garage mit Freunden konzipiert, statt mit einem Millionen-Investment dahinter. Das Kopfzerbrechen wurde weniger, der Erfolg nachhaltiger, sagt Stojanovic: „Das Nachhaltige braucht ein Fundament und das kann man eben nicht schnell bauen.“
Ein Unternehmen lesen
Ein weiterer Lernprozess, den Berufseinsteiger durchlaufen müssen, sei Zwischenmenschliches besser verstehen zu lernen, sagt Karriere-Coachin Sonja Rieder. Dazu zählt auch das Wissen, wie die eigene Organisation funktioniert. Denn geschriebene Regeln gleichen nicht immer den gelebten, merkt Rieder an.
Ein Beispiel: Manche Betriebe präsentieren sich als familienfreundlich, obwohl in den oberen Führungsetagen kaum Frauen anzutreffen sind. „Es muss passen – vom Team, vom Umfeld und von den Werten“, sagt Solveig Menard-Galli. Sie selbst wählte ihre Arbeitsplätze nach genau diesen Prinzipien. „Das macht man am Anfang vielleicht nur intuitiv“, sagt sie, doch heute entscheidet sie ganz bewusst, für welche Unternehmen sie arbeiten möchte.
Mit Wienerberger habe sie hier ein gutes Match, doch auch die vorhergehenden Organisationen, in denen die Wienerberger-COO tätig war, zeichneten sich durch Werte aus, die der Top-Managerin imponierten: „Sie waren sehr strukturiert in ihrem Zugang, im Sinne von Potenzialanalysen, Mitarbeitergesprächen und regelmäßigem Feedback.“ Weiters habe sie Mentoren, Förderer und Vorgesetzte gehabt, die ihr ganz klar gesagt haben: „Du kannst das.“
Vorbilder finden
Ein Glück, das nicht alle haben. Denn berufliche Türen stehen nicht allen Menschen gleich offen, beschreibt ein kürzlich erschienenes Buch mit dem Titel „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“.
Die Autorin ist Mirijam Trunk – sie selbst ist mit 31 Jahren Teil der oberen Führungsriege von RTL Deutschland und hat erkannt, dass ausgebremste Karrieren nicht zwingend an einem selbst liegen müssen: „Dass man als junge Frau oft für die Assistentin gehalten wird, hat nichts damit zu tun, dass man nicht gut genug ist“, erklärt Trunk.
Schuld seien bestehende Rollenbilder und strukturelle Hürden, die in der Berufswelt vorherrschen. Um diese zu überwinden, müsse man sich aktiv damit beschäftigen und Vorbilder finden, von deren Erfahrung man profitieren könne.
Trunk hat das getan. Sie interviewte 15 erfolgreiche Frauen und legte einen Ratgeber vor, der Berufsanfängern den Einstieg in die Karriere erleichtern soll. Und obwohl sich die Autorin selbst viel Wissen angeeignet hat, würde sie nicht behaupten, beruflich angekommen zu sein. „Ich weiß nicht, ob man diesen Moment jemals erreicht“, sagt sie und ergänzt, dass ihr Grundgefühl trotzdem immer ein gutes war.
Im Reinen sein
Um mit der eigenen Karriere allgemein im Reinen zu sein, müsse man diese wie eine Beziehung betrachten, empfiehlt Karriere-Coachin Sonja Rieder: „Es gibt Schönes und es gibt Verletzendes, um das komme ich nicht herum.“ Beruflich anzukommen sei ein häufiger Wunsch, dem jedoch nicht zu viel Bedeutung zugemessen werden sollte: „Ich würde eher auf gute Berufsphasen hoffen und wenn man gerade in einer ist, diese genießen“, sagt Rieder.
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Endlich angekommen
Auch Solveig Menard-Galli bestätigt, dass es in einer erfolgreichen Karriere gar nicht ums Ankommen gehe, sondern um die Weiterentwicklung und darum, neue Herausforderungen anzunehmen. „Ich bin auch jetzt noch nicht so weit“, sagt sie. „Ich bin zwar im Vorstand, aber selbst da gibt es jeden Tag neue Entwicklungen, mit denen man sich auseinandersetzt.“
Dejan Stojanovic ist nach beruflichen Exkursen in der Anwaltei zwar seit zehn Jahren in der Unternehmerszene angekommen, beruflich festlegen möchte er sich trotzdem auch in Zukunft nicht. „Wenn mich das Gefühl erreicht, dass ich etwas nur mehr manage, mich aber nicht mehr kreativ ausprobiere, weiß ich, dass ich weiterziehen muss.“
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