Die Sommerferien sind in greifbarer Nähe. Was nach Entspannung klingt, wird für viele Familien zum Drahtseilakt. 69 Tage, die Kinder im Schnitt heuer frei haben, treffen auf rund 25 Urlaubstage pro erziehungsberechtigter Person. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, bedarf keiner großen Kalkulation.
„Eltern in Not“ titelt daher der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) vor wenigen Tagen. „Mehr als ein Viertel weiß nicht, wie es eine durchgehende Betreuung im Sommer sicherstellen soll“, sagt ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann.
Am selben Tag meldet sich Arbeiterkammer-PräsidentinRenate Anderl: „Österreich zählt zu den Europameistern, aber leider nicht beim Angebot von Kinderbetreuung, sondern beim Verfehlen der Ziele in der Kleinkindbetreuung.“ Der Anlass? Die 2002 angestrebte Betreuungsquote von 33 Prozent bei unter Dreijährigen hat Österreich bis heute nicht erreicht. Sich ans neue Ziel der 45-Prozent-Quote zu wagen, hat das Bildungsministerium gar nicht erst vor.
Viele Unternehmen gehen daher die Extrameile – bieten Unterstützung, wenn das Betreuungsnetz Lücken aufweist. Mit Betriebskindergärten und gesonderten Betreuungsangeboten. Noble Gesten sind das nicht – lassen sich so Mitarbeiter länger halten und neue besser finden. Der KURIER hat mit vier Unternehmen gesprochen, deren Initiativen außergewöhnlich sind.
Noch in diesem Artikel:
Außergewöhnliche Initiativen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie vier bekannter heimischer Unternehmen. Darunter: 24-Stunden-Kindergartenbetreuung, Zahlungen an Eltern bis zu 40.000 Euro, Eltern-Kind-Büros plus Babysitter etc.
Philadelphy-Steiner und das Drei-Punkte-Modell
„Oft ist das Argument: Das können nur die großen Unternehmen machen. Ich sehe das überhaupt nicht so“, sagt Rechtsanwältin Valentina Philadelphy-Steiner, die 2020 ihre Kanzlei in Wien eröffnete. Die Verantwortung für Kinderbetreuung nur dem Staat zu überlassen, hält sie für zu wenig.
Auch als Arbeitgeberin sieht sie sich in der Pflicht. „Ich wollte einen Raum schaffen, der Karriere und Familie kombiniert“, sagt sie. Also entwickelte sie ein Modell, das sogar selbstständigen Kolleginnen und Kollegen ermöglichen soll, sorgenfrei in die Familienplanung zu gehen.
Die Basis bildet eine völlig flexible Arbeitsverrichtung. Damit auch immer ein Jurist in der Kanzlei anwesend ist, werden Monatspläne und (sollten Kinder krank werden) Wochenpläne erstellt. Diese braucht es, damit Philadelphy-Steiner die Babysitter koordinieren kann, die in einem eigens eingerichteten Raum in der Kanzlei die Kinderbetreuung übernehmen. Wie wichtig das ist, weiß die Familienrechtsexpertin aus eigener Erfahrung.
Vier Tage nach der Geburt ihres zweiten Kindes konnte sie so einen Termin mit einem Mandanten wahrnehmen und danach ihr Baby stillen. Auch in der Aufgabenverteilung werden Bedürfnisse von jungen Eltern berücksichtigt. Akten mit strammen Fristen werden anderen Kollegen zugeteilt, um niemanden in die zeitliche Bredouille zu bringen. Allein im vergangenen Jahr haben drei ihrer Mitarbeiterinnen Kinder bekommen.
Wenn ich als Arbeitgeber die Möglichkeit habe, ein Netz zu schaffen, ist das total zufriedenstellend.
von Rechtsanwältin Valentina Philadelphy-Steiner
„Meine Erfahrung ist, dass sie viel früher in den Beruf zurückkehren, weil ich ihnen die Möglichkeit gebe, ihre Kinder jederzeit mitzunehmen,“ sagt Philadelphy-Steiner. Auch den Kollegen bei Gericht soll auffallen, dass Anwältinnen bei Philadelphy-Steiner schnell nach der Geburt wieder verhandeln gehen, sagt die Anwältin. „Mittlerweile habe ich eine Quote an Kindern, die die Anzahl der Mitarbeiter übersteigt. Das ist für mich die Bestätigung, dass es funktioniert.“
Buwog und die Ferienwoche
Auch beim Wohnbauexperten Buwog dürfen Kinder mit in die Arbeit. Seit 2020 gibt es am Standort Rathausstraße ein Eltern-Kind-Büro, in dem gearbeitet und gespielt werden kann – mit Bauklötzen oder Nintendo, je nach Altersstufe. „Es war uns ein Anliegen, zu unterstützen, wenn die Kinderbetreuung kurzfristig ausfällt“, sagt Personalchefin Sonja Steinmetz.
Pflegetage seien seitdem merklich reduziert. Doch genutzt wurde das Büro nicht so stark wie erhofft. Man saß nicht direkt beim eigenen Team, weshalb das Eltern-Kind-Büro jetzt in jedes Stockwerk wandert. Ende des Sommers sind alle Räume fertiggestellt.
Auch die Kinderbetreuung an den Fenstertagen, die seitens der Buwog angeboten wurde, fand zu wenig Anklang, „weil Fenstertage nicht an allen Schulen und Betreuungsstätten gleich sind“, sagt Steinmetz. Deshalb evaluierte das Unternehmen erneut und startete 2021 die Ferienbetreuung. Eine Woche lang werden die Kinder abgeholt und machen ganztags Ausflüge. Heuer sind es 13 Kinder, die sich angemeldet haben. Offiziell ist das Angebot für Sechs- bis Zwölfjährige. Dennoch ist man flexibel. „Vergangenes Jahr waren Kinder unter sechs Jahren dabei. Das war auch kein Problem.“
Voestalpine und das Tag-und-Nacht-Konzept
Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Kinder bis zu zwölf Jahren gibt es ab September für die Mitarbeiter der voestalpine. „Wir haben immer mehr Frauen im Schichtbetrieb“, erzählt CEO Herbert Eibensteiner bei einem Rundgang durch den Kindergarten. „Uns geht es darum, jungen Familien mit außergewöhnlichen Arbeitszeiten eine familiäre Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen.“
Die Räumlichkeiten dazu bietet die vivo Kinderwelt in der Linzer Schnopfhagenstraße. Eine 100-prozentige Tochter des Konzerns, mit einem Investment von zehn Millionen Euro dahinter. Kürzlich wurden die Plätze von 90 auf 200 aufgestockt.
„Die Nachfrage war so groß“, sagt Eibensteiner. Die 24-Stunden-Betreuung ist ein zusätzliches Angebot, bei dem Schlafräume noch wohnlicher gestaltet wurden. Mindestens zwei Betreuer sollen nachts immer da (und natürlich wach) sein. Daher werden jetzt auch die Pädagogen aufgestockt – von 17 auf 25. Zur Eingewöhnung bleiben die Eltern anfangs in der Nähe, aber oftmals würde sich das weniger problematisch gestalten als erwartet, heißt es seitens vivo Kinderwelt.
Kearney und die 40.000 Euro
Der globale Unternehmensberater Kearney greift für seine Mitarbeiter tief in die Tasche. Nicht erst, wenn Kinder da, sondern auch wenn sie noch in Planung sind. Bis zu 40.000 Euro für Fertilitätsbehandlungen und Adoption soll es innerhalb eines neuen Familienpakets geben. Die Beantragung ist ab zwölf Monaten im Unternehmen möglich, solange sich Mitarbeiter danach für zwei Jahre verpflichten.
Weiters gibt es eine sechsmonatige vollbezahlte Auszeit nach der Geburt des Kindes. „Ja, auch für Väter“, selbst wenn die Mutter parallel in Karenz ist, erklärt Kearney-CEO Marc Lakner. „Wir wollen Väter ermutigen, nach der Geburt ihres Kindes für die Familie da zu sein und die Gleichstellung stärken.“
Das Angebot richtet sich deshalb an alle Mitarbeiter. „Es gibt keinen Unterschied ob Paare verheiratet sind, homo- oder heterosexuell, alleinerziehend, wie sie Eltern geworden sind oder es werden wollen“, so Lakner. Getoppt wird das von monatlichen Zuschüssen für Kinderbetreuung von bis zu 500 Euro – je Kind. „Dieses Angebot ist sicherlich ein Novum und ungewöhnlich, nicht nur in der Branche“, merkt Lakner an. „Aber wir sind überzeugt, dass das auf lange Sicht für die Firma und für die Mitarbeiter ein positiver Beitrag ist.“
Ausgerollt wird das Angebot aktuell europaweit. „Die anderen werden nachziehen“, so Lakner. Denn der globale Wettbewerb um Talente würde eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie voraussetzen. „Wir sind überzeugt, hier einen Beitrag zu leisten, wir wollen Kollegen länger halten und neue Talente überzeugend gewinnen.“
Der Europäische Rat hat 2002 Ziele für die Kinderbetreuung festgelegt. Darunter eine 33-prozentige Betreuung für Kinder unter drei Jahren
29,1 Prozent erreicht Österreich aktuell. Nur Wien und das Burgenland erfüllen bislang das Ziel
Neue Ziele wurden seitens EU bereits Ende 2022 beschlossen. Die Empfehlung liegt bei 45 Prozent für jene Länder, denen die Umsetzung der 33 Prozent noch nicht gelungen ist.
Das Bildungsministerium setzte sein eigenes Ziel von vorerst 31,9 Prozent
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