Von Großen lernen

Von Großen lernen
Der Teamchef motiviert, der Unfallchirurg entscheidet, die Pädagogin führt empathisch, der Dirigent visioniert – sie erzählen, wie.

Kinder bewundern ihre älteren Geschwister, eine Zeit lang auch die Eltern. Als Jugendliche sind es Musiker, Sportler oder Schauspieler, die verträumte Blicke ernten – und dann? Was wird aus Vorbildern, wenn man älter wird? Fallen sie der gnadenlosen Realität zum Opfer?

Wer Vorbild ist, wird heroisiert, ist ein Ideal. Bewunderer fertigen sich ein Bild an, das unmöglich für alle Ewigkeit gehalten werden kann, das irgendwann der Enttäuschung weicht. Niemand ist perfekt. Heroisieren ist nichts für Erwachsene.

Leistungen anderer anerkennen dafür umso mehr. Von jenen zu lernen, die in ihrer Disziplin grandios sind, die exzellentes Fachwissen haben, aber auch fühlen und den Menschen achten, ist ein intelligenter Zug. Das ist vor allem für jene wichtig, die am Anfang einer Karriere stehen, die sich gerade umorientieren oder ein Start-up gründen. Oder für Gruppen, die ein neues Terrain begehen – wie Frauen im Management oder Männer in Karenz.

Wie machen Sie’s?

Wir haben vier Menschen, die in ihren jeweiligen Disziplinen großartig sind, befragt, was andere von ihnen lernen können: Darunter eine Pädagogin, weil sie ein Sinnbild ist für Empathie, weil sie sich jede Sekunde auf die Bedürfnisse vieler unterschiedlicher Kinder einstellen muss. Anders der Unfallchirurg: Er muss rasch Entscheidungen treffen, die ein Leben retten können, er trägt die Verantwortung für den verletzten Patienten, der am OP-Tisch liegt. Dirigenten wiederum besitzen die Fähigkeit, aus hundert brillanten Musikern ein noch brillanteres Musikstück zu schaffen. Und der Fußballtrainer muss motivieren können, auch wenn es gerade nicht nach Plan läuft.

Der Fußballtrainer

Teamchef Marcel Koller arbeitet zehn Mal im Jahr mit den Fußballern des Nationalteams. Würde er einen Verein trainieren, hätte er seine Ideen in 6 Monaten im Kopf der Spieler, sagt er. „Mit der Nationalmannschaft dauert das Jahre, weil ich sie immer nur kurze Zeit trainieren kann.“ Das ist seine größte Schwierigkeit im Job.

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epa03957404 Austria's head coach Marcel Koller celebrates after the international friendly soccer match between Austria and the United States in Vienna, Austria, 19 November 2013. Austria won 1-0. EPA/HELMUT FOHRINGER
KURIER: Herr Koller, kann ein Chef überhaupt motivieren?
Marcel Koller: Ja klar. Aber es muss schon auch eine große Eigenmotivation da sein. Wir machen zwar Mannschaftssport, aber jeder ist ein Individuum. Wenn jemand den Antrieb nicht hat, braucht er jemanden, der ihn anschiebt. Als Trainer musst du überzeugt sein von deiner Idee, du musst hartnäckig sein, es immer wieder verlangen, dem Spieler glaubwürdig vermitteln, worum es geht.

Wie vermitteln Sie?
Man muss offen auf die Spieler zugehen, ihre Probleme anhören. Austausch ist gut, aber man darf nicht den Weg verlassen, den man gehen will. Ich will eine gute Atmosphäre schaffen, die Spieler sollen gerne zum Team kommen.

Nicht jeder Spieler ist gleich. Wie individuell motivieren Sie?
Ich gehe auf jeden ein, um das Maximum herauszuholen. In der wenigen Zeit, die wir haben stellt sich aber die Frage: Was ist möglich?

Wie sehr hängt der Erfolg eines Teams vom Chef ab?
Jede Person im Gesamtgefüge ist wichtig – die Spieler, der Trainer, die Personen über ihm. Alle müssen gemeinsam auf ein Ziel zugehen. Ist das nicht so, spürt man Unruhe und Reibungen. Das behindert.

Hat sich die Sache mit der Motivation in den Jahren verändert?
Früher war das viel autoritärer. Der Spieler musste laufen, ob er wollte oder nicht. Heute wird viel hinterfragt – das ist legitim, weil die Spieler sollen meine Ideen verstehen. Manchmal muss man dann aber autoritär entscheiden, wenn man sich nicht einigt.

Sind Sie selbst immer motiviert?
Ja. Ich liebe Fußball. Ich habe wenig Zeit mit den Spielern, deshalb genieße ich das.

Die Pädagogin

180 Kinder, deren Eltern und mehr als 20 Mitarbeiter kann man nur schupfen, wenn man wirkliche Begeisterung für seine Arbeit empfindet und in jeder Lage die Ruhe bewahrt – wie Ulli Stainer. Die Kindergartenpädagogin hat gemeinsam mit ihrem Mann vor 19 Jahren den Kindergarten „Villa Kunterbunt“ in Wien-Neubau gegründet.

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KURIER: Sie müssen auf Kinder, Eltern, Mitarbeiter eingehen – was machen Sie, wenn alles überkocht?
Ulli Stainer:
Ich bewahre die Ruhe. Manchmal gelingt mir das besser, manchmal schlechter, das ist klar.

Haben Sie eine Strategie?
Ich kann mich sehr gut selbst beruhigen oder rede mit einer Kollegin oder meinem Mann. Um einen klaren Gedanken zu fassen, muss man manchmal einen Schritt zurückgehen.

Wie sehr kann man auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen?
Man muss ein Ziel haben, auf welche Bedürfnisse man eingehen kann. Denn auf alle wird man nie eingehen können. Am wichtigsten sind für uns die Kinder: Wichtig ist, dass man niemanden bevorzugt und niemanden benachteiligt. Man muss alle gleich behandeln und darf auch jene nicht vergessen, die eher ruhig sind. Dazu muss man aufmerksam beobachten. Manchmal braucht ein Kind natürlich mehr Aufmerksamkeit als ein anderes. Wenn es einem Kind oder einem Mitarbeiter nicht gut geht, muss man mit viel Gefühl rangehen, tolerant sein und ein besonderes Auge darauf haben – das heißt nicht, dass derjenige dann alle Freiheiten hat.

Wie schotten Sie sich von Emotionen ab?
Es ist ein emotionaler Job und man kann die Emotionen nicht einfach so abstellen. Aber ich bin seit 19 Jahren Kindergartenpädagogin, ich kann ein raunzendes Weinen von einem schmerzhaften Weinen unterscheiden.

Der Dirigent

In einem Berufsorchester arbeiten bis zu hundert Musiker zusammen – Individualisten, die gemeinsam Spitzenleistung bringen müssen. Der Dirigent, Redner und Führungskräfte-Coach Christian Gansch (www.gansch.de) zeigt in seinem Buch Vom Solo zur Sinfonie, was Firmen von Orchestern lernen können.

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honorarfrei
KURIER: Wie schafft es ein Dirigent, dass aus hundert Diven ein Sinfonieorchester entsteht?
Christian Gansch:
Das Bild des Publikums, dass der Dirigent unantastbarer Meister ist, der alles macht, ist Klischee. Es gibt in einem Orchester viele Instrumentengruppen, jede hat Führungskräfte, die für ihr Team verantwortlich sind und ihre Gruppe mit ihrem Instrument dirigieren.

Welche Aufgabe hat der Dirigent?
Der Dirigent schafft aus Vielfalt Einheit, in dem er das Wechselspiel der Kräfte organisiert. In einem Orchester spielen ja international rekrutierte Spitzenkräfte, die alle ihre eigene Vision von einem Stück haben – er muss diese Individualisten auf den Punkt zusammenführen

Wie schafft er das?
Durch Überzeugungsarbeit – nicht durch Befehle. Wenn Musiker das Warum nicht kennen, werden sie sich für seine Ideen weder motivieren noch begeistern.

Wie werden in einem Orchester Konflikte überwunden?
Durch eine offene Kommunikationskultur. In einem Orchester wird oft Tacheles geredet, es ist kein konfliktfreier Raum. Aber: Sie müssen gelöst werden, bevor das Publikum den Saal betritt. Ein wesentlicher Faktor eint die Musiker: Das Bewusstsein, dass die Zuhörer ein Recht auf eine stimmige Performance haben. Daher pflegen die Persönlichkeiten das orchestrale Motto: Aufeinander hören – miteinander handeln. Solistische Freiheiten sind zwar wichtig, aber stets mit großer Verantwortung für das Umfeld.

Der Chirurg

Chirurgen müssen oft in Sekunden eine Entscheidung treffen – ist sie falsch, kann das ein Menschenleben kosten. Harald Hertz ist Unfallchirurg und ärztlicher Leiter
des Lorenz Böhler Unfallkrankenhauses.

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ZU APA TEXT CI - Der grztliche Leiter des Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler, Harald Hertz, anläßlich er heutigen Pressekonferenz zum Thema "Neue Techniken in der Knie- und Schulterarthroskopie". APA-Photo: Barbara Gindl
KURIER: Wie schnell treffen Sie Entscheidungen?
Harald Hertz:
Es ist immer besser, eine Entscheidung zu treffen, als keine zu treffen. Wenn man lange herumlaviert, ist der Mensch tot. Nachdem wir mit Menschenleben zu tun haben, muss man jedoch auch die nötige Sorgfalt walten lassen.

Was tun Sie, um Fehler zu vermeiden?
Man braucht Wissen, das gewisse Bauchgefühl, die Erfahrung und muss Standards einhalten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wieso gibt es keine 25-jährigen Ärzte? Weil sie keine Erfahrung haben und ohne Erfahrung geht hier nichts. Man muss viel wissen und sich laufend mit der Materie beschäftigen, sich weiterbilden – ein Arzt ist immer ein Arzt, auch im Urlaub. Ebenso sind Standards und Checklisten wahnsinnig wichtig – sie bewahren vor Fehlern.

Wie viel Risiko darf bei einer Entscheidung sein?
Das Risiko muss immer mit dem Nutzen, den die Entscheidung bringt, abgewogen werden. Es gibt viele Faktoren, die man beachten muss, bei der Wahl der Methode einbringen muss, auch was man dem Patienten zumuten kann und wie gut man die Methode beherrscht. Man darf keinesfalls eitel sein, sondern muss gegebenenfalls Kollegen miteinbeziehen. Chirurgen müssen Teamplayer sein.

Wie gehen Sie mit der Verantwortung um, Leben zu retten?
Die Verantwortung trägt man. Wenn eine falsche Entscheidung getroffen wird, ist das furchtbar, dann braucht man einige Zeit, bis man wieder obenauf ist. Zum Glück passiert das sehr selten.


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