Vitamin B am Jobmarkt: Du, ich kenn da wen
„Bei uns im Team sind alle miteinander verbandelt. Wenn ich neue Leuten suche, dann immer über das eigene Umfeld – über meine Schwester, den Cousin, den Schwager“, erzählt Sören Lex, Gründer des Start-ups Plasticpreneur. Lediglich Spezialisten machte er über Gründerzentren ausfindig, inzwischen beschäftigt er zehn Mitarbeiter. „Einmal habe ich zwei Ausschreibungen auf Facebook gepostet und über 30 Bewerbungen bekommen. Besetzt wurden die Stellen am Ende doch mit Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis.“
Dass Lex zuerst im eigenen Umfeld sucht, hat allerdings auch einen pragmatischen Grund:„Wir sind ein recht junges Start-up, gerade ein halbes Jahr alt. Wir können keine hohen Gehälter zahlen. Bei uns muss man bereit sein, viel Zeit und Arbeit zu investieren für wenig Geld – im eigenen Freundeskreis wird man da eher fündig.“
Suche über Netzwerke
Nicht nur Start-up-Gründer suchen über Kontakte nach neuen Köpfen, auch große, etablierte Unternehmen greifen bei Stellenbesetzungen oft auf das Netzwerk ihrer Angestellten zurück. Mitarbeiter werden mitunter aktiv dazu aufgefordert, das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber weiterzuempfehlen. Bei einer gelungenen Neueinstellung werden bei einigen Firmen auch Prämien ausgezahlt. Bei höher dotierten Jobs, etwa bei Senior-Level-Positionen, verhält es sich wieder anders. Hier sucht man nicht, hier wird man gefunden.
Die Personalberatung Eblinger & Partner etwa ist auf die Kandidatensuche für Spitzenpositionen spezialisiert. „Wir beschäftigen Kontaktpersonen in den verschiedensten Netzwerken, die uns mit Insiderinformationen versorgen. Wir agieren oft über Ihre Empfehlungen und kontaktieren dann mögliche Kandidaten“, sagt Geschäftsführer Florens Eblinger.
Vertrauensvorschuss
Es ist eine Jobvergabe abseits des offenen Stellenmarkts. Wer gute Beziehungen hat, ist hier unbestritten im Vorteil. Während die einen noch Motivationsschreiben tippen oder in der Warteschleife zum Bewerbungsgespräch hängen, nehmen andere die Abkürzung über Kontakte aus dem eigenen Umfeld. „Man kann Personen besser einschätzen, wenn man sie über persönliche Kontakte findet. Es gibt einen Vertrauensvorschuss, den gibt es bei regulären Bewerbungen nicht in dem Ausmaß“, sagt Enzo Duit, Gründer des Start-ups Warrify.
Manche nennen es Vitamin B, Experten sagen dazu verdeckter Stellenmarkt. Hier werden Jobs über Kontakte und Empfehlungen besetzt, hinzugerechnet werden aber auch Initiativbewerbungen oder Job-Aufrufe in geschlossenen Facebook-Gruppen. „Im Grunde ist es einfach eine andere Strategie der Jobsuche“, sagt der New- bzw. Outplacementberater Michael Hanschitz (siehe Interview weiter unten).
Verdeckter Stellenmarkt
Die 65.004 offenen Stellen, die dem Arbeitsmarktservice im Juli gemeldet wurden, bilden also nur einen Bruchteil vom Arbeitsmarkt ab. Mit 432.539 Arbeitslosen (inklusive der Personen in AMS-Schulungen) ist der Druck groß. Wer eine Arbeit sucht, muss sich gegen eine hohe Anzahl an Konkurrenten durchsetzen.
Wie viele Jobs am verdeckten Stellenmarkt vergeben werden, kann nur geschätzt werden. In Deutschland soll jede dritte Stelle über persönliche Kontakte besetzt sein, erhob eine Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Jahr 2017.
Eine Studie der Statistik Austria aus dem Jahr 2016 belegte, dass vor allem für Junge die Familie und der Bekanntenkreis wichtige Türöffner in das Erwerbsleben sind. Gut ein Drittel der 15- bis 34-Jährigen verdankt ihren Job informellen Tippgebern, 23 Prozent haben den Job durch die Bewerbung auf eine Stellenanzeige gefunden. Das AMS spielte mit fünf Prozent eine recht untergeordnete Rolle.
Über welche Kanäle man einen Job findet, hängt auch vom formalen Bildungsniveau ab: Je niedriger, desto wichtiger werden interessanterweise Beziehungen. Für Akademiker aber war die Bewerbung auf eine Stellenanzeige (31 Prozent) die wichtigste Quelle für einen Arbeitsplatz. Erst dahinter folgten Jobs über soziale Kontakte (23 Prozent ).
Abgekürzte Bewerbungsverfahren
Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand, sie sparen Geld und Zeit. Vor allem Firmen ohne Personalabteilung. Aber auch Führungspositionen in größeren Konzernen werden ab einer gewissen Gehaltsklasse nicht mehr über Stelleninserate ausgeschrieben. Einen weiteren Grund nennt Sören Lex: „Die Tätigkeiten entwickeln sich oft mit dem Wachstum unseres Start-ups weiter. Da ist es schwer, formale Anforderungskriterien für den Job zu definieren.“
Die Methode hat aber auch Nachteile. Nicht jeder kennt wen, der wen kennt. „Es ist eine Form von struktureller Diskriminierung und führt zu weniger Diversität in Teams“, kritisiert Volker Frey vom Klagsverband. Er unterstützt Betroffene von Diskriminierung vor Gericht. Auch für die Durchlässigkeit am Arbeitsmarkt habe das Folgen. „Der verdeckte Stellenmarkt führt zur Dequalifizierung. Für gut ausgebildete Zuwanderer ist es schwieriger, über das eigene Umfeld zu höher qualifizierten Jobs zu kommen.“
Auch Ältere oder Menschen mit Behinderung hätten weniger Zugang. Manche werden aufgrund des Fachkräftemangels zur Netzwerksuche gezwungen. Bei Warrify fand man die Programmierer fast ausschließlich über einen der Mitgründer. Das habe auch Nachteile, so Duit: „Wir haben jetzt sieben Leute im Office, davon sind sieben männlich.“
„Ein gutes Netzwerk ist die beste Versicherung am Arbeitsmarkt“
KURIER: Im Vorgespräch haben Sie gesagt, dass der verdeckte Stellenmarkt und die Jobsuche über Vitamin B nicht dasselbe sind– was ist der Unterschied?
Michael Hanschitz: Vitamin B heißt für mich, dass jemand seine Position ausnutzt, um eine Stelle mit jemanden zu besetzen, für den er oder sie nicht qualifiziert ist. Auf dem verdeckten Stellenmarkt hingegen überreicht man über einen Kontakt seine Unterlagen direkt an einen Verantwortungsträger. Sie werden also trotzdem auf Ihre Qualifikation geprüft.
Aber ist so eine verdeckte Jobvergabe nicht diskriminierend?
Diskriminierend finde ich das nicht, Zugang zum verdeckten Stellenmarkt hat jeder – die Frage ist eher, können Sie netzwerken oder können Sie es nicht? Der Punkt ist doch: Viele Leute wissen gar nicht, dass auch sie über Kontakte einen Job suchen können und schauen nur nach ausgeschriebenen Stellen.
Nicht alle haben solche Kontakte und haben somit nicht dieselben Chancen.
Auch viele meiner Kunden sagen: ich kenne keine Leute. Nur sind sie sich oft nicht über ihr Netzwerk bewusst: Jeder hat Familie, Verwandte, Bekannte, wo man nachfragen kann. Auch an anderen Knotenpunkten kann man andocken: Wer ist mir in die Schule gegangen? Welche Kontakte habe ich auf Xing oder Linkedin? Mit wem kann ich auf einen Kaffee gehen? Das ist einfach nur ein Abarbeiten des Umfelds und keine große Hexerei. Manche schämen sich aber, auf Leute zuzugehen und offen zu sagen, dass sie auf Jobsuche sind. Das ist für sie ein Tabuthema. Sein Umfeld darüber zu informieren, ist ein aber wichtiger Schritt.
Welche Rolle spielen hier soziale Netzwerke?
Wer auf Xing 400 oder 500 Kontakte hat, ist in einer guten Ausgangsposition, aber nicht automatisch im Vorteil. Mit den allermeisten wurde vermutlich noch nie persönlich gesprochen – das sind keine realen Kontakte, die einem helfen, sobald man auf Jobsuche ist. Hier beginnt die Arbeit erst: Man muss die Leute anschreiben, mit ihnen telefonieren, Treffen vereinbaren und Beziehungen aufbauen.
Wie geht man dann weiter vor?
Auf solche Gespräche sollte man sich gut vorbereiten und sich im Vorfeld überlegen, was man sagt. Eine andere Strategie wäre, Branchenveranstaltungen zu besuchen und an Netzwerktreffen teilzunehmen. Events gingen durch Corona zwar zurück, sie finden aber virtuell statt. Ich empfehle die Daumenregel: Erhöhen Sie ihren Kommunikationsaufwand mal fünf, nutzen Sie jede Gelegenheit, um an Informationen in der Branche zu kommen.
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