Trotz allem geschafft: Sechs Geflüchtete über berufliche Erfolge
Eigentlich hatte Ehsan nur eine Stunde Zeit. Doch wie soll man in 60 Minuten fast zehn Jahre Lebenszeit zusammenfassen? Etwa jene, in der er „stumm“ war, wie Mohammad Ehsan Bathri es nennt, weil er kein Wort Deutsch konnte. Oder wie er mitten im Winter obdachlos wurde und sich in der Wartehalle im Wiener Westbahnhof aufwärmen musste.
Über zwei Stunden spricht der junge Mann, der 2011 aus Afghanistan nach Österreich kam, über die Wendungen, Tiefen und Höhen in seinem Leben. Er erzählt in fließendem Deutsch, wie er sich einen Freundeskreis aufgebaut hat, über Pechsträhnen und Glücksmomente in der Arbeitssuche.Trotz allem: „Ich bin endlich zu Hause und helfe auch meinen Landsleuten dabei, hier ein Zuhause zu finden.“
"Ich musste helfen"
Als im September 2015 eine große Anzahl an Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak mit dem Zug aus Ungarn nach Wien kamen, stand auch Ehsan am Bahnsteig. „Ich musste einfach helfen.“ Fünf Jahre ist es nun her, seitdem sich Österreich und Deutschland dazu entschlossen hatten, ihre Grenzen zu öffnen, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
Tausende Menschen wurden damals in dem Hitzesommer 2015 über die Grenzen gewunken, mit der Erlaubnis, in Österreich Asylanträge zu stellen. Genau genommen waren es 90.000, darunter je 25.000 Afghanen und Syrer, sowie 13.500 Iraker.
Erste Bilanz
Wie haben sich die Neuankömmlinge fünf Jahre danach integriert? Diese Frage wurde letztens sehr häufig gestellt. Aus österreichischer Sicht, so sagen es viele Expertinnen und Experten, geht es in erster Linie um die Integration auf dem Arbeitsmarkt.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet schaut die Statistik nicht schlecht aus. „Von jenen, die 2015 Asyl bekommen haben und beim AMS gemeldet waren, haben derzeit 45 Prozent einen Job“, sagt Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche.
Auf gutem Weg
Zusammen mit der Ökonomin Sandra Leitner veröffentlichte er in der vergangenen Woche eine Studie über die Integration von Geflüchteten auf dem heimischen Jobmarkt. Mit den 45 Prozent habe man eine Faustregel in der Flucht- und Migrationsforschung knapp erreicht, so Judith Kohlenberger, Migrationsexpertin an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Nur ein kleiner Teil
„Aus früheren Fluchtbewegungen weiß man, dass nach fünf bis sechs Jahren ungefähr die Hälfte einen Job hat – wobei Corona hier natürlich die Entwicklung verlangsamen wird.“ Insgesamt machen Menschen mit Fluchterfahrung nur einen kleinen Teil am österreichischen Arbeitsmarkt aus – weniger als ein Prozent, um genau zu sein.
Von rund 3,8 Millionen unselbstständig Beschäftigten, stammen nur rund 29.000 Menschen aus den typischen Fluchtländern Afghanistan, Syrien, dem Irak und Iran.
Wir haben sechs getroffen und gefragt, wie es ihnen heute geht.
Mohammad Ehsan Bathri, 30, lebt seit 2011 in Wien
„Ich bin 2011 aus Afghanistan nach Österreich gekommen, damals war ich 21. Heute würde ich sagen: Ich bin nach Hause gekommen. Mein positiver Bescheid kam erst im November 2019, erst dann hatte ich die Erlaubnis, zu arbeiten. Bis dahin sind fast neun Jahre vergangen. Das Warten auf den Bescheid war ziemlich stressig, ich habe viele Jahre nachts nicht schlafen können, ganz am Anfang war ich auch obdachlos.
Ich wusste lange nicht, ob ich bleiben kann, oder nicht. Geholfen hat mir dann eine Sozialarbeiterin, über sie bin ich von einer österreichischen Familie aufgenommen worden, bei der ich bis heute wohne, im letzten Jahr hat sie mich auch adoptiert. Als 2015 so viele Menschen aus Afghanistan, Syrien und Irak nach Österreich gekommen sind, war das schwer für mich.
Ich wollte unbedingt helfen – also habe ich gratis Deutschkurse für meine Landsleute organisiert. Denn das erste, was man in einem fremden Land lernen muss, ist die Sprache. Sie ist der Schlüssel, um an der Gesellschaft teilzuhaben, die Kultur zu verstehen.
Ich bin ehrenamtlich sehr engagiert, ich war bei der Volkshilfe, im Flüchtlingsverein Ute Bock und im Kadib Kultur Sport Verein, für den bin ich bis heute tätig. Ich organisiere Sport-Events und veranstalte zwei Mal im Jahr Fußballturniere. Wir hatten auch einen Schwimmkurs für Frauen geplant, allerdings hat Corona vieles gestoppt.
Vor Corona habe ich als Küchenhilfe in einem Restaurant in Kaisermühlen gearbeitet, seit Montag arbeite ich als Maler im Baugewerbe. Mein Traum ist es, ein Lokal für Studenten zu eröffnen, die einen Lernort suchen, mit guter, afghanischer Küche. Das fehlt in Wien.“
Ahmad Mansour, 35, kam 2015 aus Damaskus nach Österreich
„Ich liebe meinen Beruf. Ich bin seit 22 Jahren Friseur, mein Salon in Damaskus war direkt neben der österreichischen Botschaft. Finanziell ging es mir gut, ich hatte viele Kunden, eine Eigentumswohnung und einmal im Jahr war ich auf internationalen Shows engangiert.
2015 musste ich das alles aufgeben, der Krieg hatte das Leben in Damaskus unsicher gemacht. Nach meiner Ankunft in Österreich vor fünf Jahren habe ich bei mehreren Friseuren gearbeitet, aber nur für wenige Monate. Ich war zuerst in Judenburg, dann nach zwei Jahren habe ich meinen positiven Bescheid bekommen und bin nach Wien gezogen.
Bei meinem letzten Arbeitgeber habe ich zwei Jahre als Friseur gearbeitet und nebenbei Deutschkurse besucht. Dann habe ich beschlossen, meine Wohnung in Damaskus zu verkaufen, um hier in Wien meinen eigenen Salon zu eröffnen, den ich seit 2018 führe.
Von der Haarmode unterscheidet sich die europäische Haarmode von der arabischen eigentlich kaum, meine Arbeit bleibt also dieselbe. Ich kenne die Trends, ich weiß, was angesagt ist. Früher habe ich viele Geschäftsreisen nach Mailand und Paris unternommen, habe Messen und Beautyshows besucht, wusste alles über die neuesten Produkte und Trends in Schnitt, Farbe und Styling. Ich habe auch öfter als Stylist auf internationalen Shows gearbeitet.
Ich bin froh sagen zu können, dass ich heute sowohl arabischsprachige als auch deutschsprachige Kunden bei mir im Salon habe. Im Moment schaue ich mich nach einem größeren Geschäftslokal um, da ich mein Angebot ausbauen und neben einem Haar- auch einen Beautysalon eröffnen möchte. So stelle ich mir meine Zukunft vor – um gut für meine Frau und meinen Sohn sorgen zu können. In einem Monat werde ich nämlich Vater. Es ist unser erstes Kind.“
Joan Kahlo, 37, Rechtsberater im Verein für Menschenrechte Österreich
„Ich bin Rechtsanwalt, in Aleppo hatte ich eine eigene Kanzlei. Als die starken Bombardierungen auf die Stadt begannen, sind wir geflohen. Der Krieg hat mich zum Gehen gezwungen. In Österreich habe ich das Gefühl, endlich in Frieden leben zu können – aber ich musste auch kämpfen.
Nach vier Monaten hatte ich meinen ersten Job an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2017 war ich ein Jahr lang Praktikant im Verein für Menschenrechte Österreich, 2018 wurde ich als Rechtsberater angestellt. Ich habe großes Glück, einen Job in meinem Bereich gefunden zu haben.
Wenn es um die Integration auf dem Arbeitsmarkt geht, sollte man die arabisch- und kurdischsprachigen Community mehr einbeziehen. Etwa sollte man das jeweilige Bildungsniveau berücksichtigen, neben Deutsch, Werte- und Orientierungskursen auch Seminare im Familienrecht oder in gewissen Bereichen des Strafrechts geben.
Und man muss die Asylverfahren beschleunigen. Viele aus dem Jahr 2015 sind bis heute offen – für die Betroffenen bedeutet das, dass sie nicht an der Gesellschaft teilhaben können. Im Nachhinein ist die Wartezeit ein Loch in der Biografie. Meines hat zum Glück nur 40 Tage gedauert.
Nächstes Jahr möchte ich eine Nostrifizierung meines Studienabschlusses machen. Viele unserer Studienabschlüsse werden in Österreich nicht anerkannt. Das ist ein Problem, weil es eine Einschränkung in der Jobsuche bedeutet, es betrifft oft die gut bezahlten Jobs.“
Dania Kabil, 27, ist Rechtsberaterin und studiert Jus an der Uni Wien
„Ich stamme aus Damaskus, wo ich meinen Abschluss in Jus gemacht habe. Seit 2015 lebe ich in Wien. Nach meinen Deutschkurs habe ich ein sechsmonatiges Praktikum an der WU im Rechtsbereich gemacht. Ich habe dort viel Erfahrung gesammelt und einen Einblick in die Arbeitswelt erhalten.
Seit Oktober 2017 arbeite ich als Rechtsberaterin im Verein für Menschenrechte Österreich (VMÖ), nebenbei nostrifiziere ich meinen Jus-Abschluss an der Uni Wien. Vollzeit-Job und Studium zu vereinen ist nicht einfach. Wenn ich Prüfungen habe, habe ich kein Sozialleben, nach der Arbeit gehe ich in die Uni-Bibliothek und lerne bis spät.
Mein Ziel ist es, für die Menschenrechtsorganisation Human Rights watch Organisation zu arbeiten, um mich für die Einhaltung von Menschenrechten zu engagieren. Ich habe Glück gehabt – aber ich habe sehr hart dafür gearbeitet.
Am Anfang konnte ich kein Wort Deutsch, die Jobsuche war schwer. Absagen wurden oft damit begründet, dass ich überqualifiziert sei. Erst später habe ich verstanden, man hätte mir extra Gehalt zahlen müssen. Es ist nicht immer klar, was man in Österreich mit Integration meint. Warum erklärt man mir in einem Werte- und -Orientierungskurs die Straßenampeln? Viele Syrer sind bereit, sich zu integrieren. Aber niemand hat uns gefragt, was es aus unserer Sicht braucht."
Adel Badenjeky, 33, kam 2015 nach Oberpullendorf, seit 2016 ist er in Wien
„Mir ist es wichtig, Brücken zwischen der österreichischen und arabischsprachigen Community zu bauen. Deswegen verfolge ich neben meinem Beruf als Webdesigner ziemlich viele Projekte.
Zusammen mit meiner Frau Malaka Olabi habe ich den Verein „Mai NGO“ gegründet, über den wir IT-Kurse für Frauen und Kinder mit Migrationshintergrund anbieten. Mit diesen Kompetenzen wollen wir ihnen helfen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, denn gute Kenntnisse von Programmen sind gefragte Schlüssel-Qualifikationen.
Meine Leidenschaft für das Programmieren habe ich früh entdeckt. Ich war zwölf Jahre alt, als ich meine erste Website erstellt habe, mit 17 habe ich ein 3D-Computerspiel entwickelt und erfolgreich verkauft. Später habe ich IT an der Universität in Aleppo studiert.
Außerdem habe ich zusammen mit meinem Vater die Werbeagentur 4DGoody.eU gegründet. Wir haben uns auf sogenanntes Ethno-Marketing spezialisiert und sind auch Herausgeber des arabischsprachigen Magazins „Daleel“.
Darin verfassen wir Artikel über das politische Leben in Österreich, übersetzen wichtige Begriffe aus dem Deutschen ins Arabische, erklären Verkehrsregeln und geben Informationen über das Bildungssystem. Wir erreichen damit überwiegend zugewanderte, arabischsprachige Menschen, für die wir wichtige Infos für ihr neues Leben in Österreich zusammentragen.“
Der Syrer Hazem K., 35, gründete 2018 das Start-up „Waterless Care“
„Vor zwei Jahren habe ich das Start-up Waterless Care gegründet. Ich habe schon vorher in Dubai in der Automotive Industrie gearbeitet und wollte weiter in diesem Bereich bleiben. Also habe ich mich über den österreichischen Automarkt informiert und herausgefunden, dass die Waschstraßen und -systeme hier sehr veraltet und ziemlich umweltbelastend sind.
Denn bei einer Reinigung in der Waschstraße werden pro Jahr rund 56,9 Millionen m³ Wasser verschwendet und verschmutzt. Zum Vergleich Neusiedler See beträgt bei mittlerem Wasserstand circa 320 Millionen m³ Wasser.
Außerdem ist so eine Reinigung teuer. Ich möchte mit Waterlesscare eine ökologische und mobile Autoreinigung anbieten, die wir auf Wunsch auch direkt beim Kunden durchführen. Wir stellen unsere eigenen, rein pflanzlichen Reinigungsmittel her, brauchen für unseren Service weder Strom- noch Wasseranschluss vor Ort.
Es läuft gut, durch Corona haben wir aber weniger Aufträge. Nebenbei bin ich noch Mitglied des E-Carsharing-Anbieterteams Eloop für Operation und Logistics. Bevor ich nach Wien gezogen bin, habe ich zwölf Jahre lang in Dubai gelebt, dort habe ich unter anderem als Store-Manager bei Villeroy und Boch gearbeitet, ich war damals der jüngste Store-Manager weltweit. Mit der Finanzkrise 2008 habe ich mich beruflich umorientiert und in der Automotive Industrie im Kundenservice für große Automarken gearbeitet.“
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