Träum nicht - tu!

Julian Schmid kam mit 24 Jahren als jüngster männlicher Abgeordneter in den Nationalrat
Das Leben im Konjunktiv muss nicht sein. Drei Studierende machen vor, wie sie ihre Vision einer besseren Welt umsetzen.

Manchmal wollen wir vorankommen und uns dabei nicht bewegen" , sagt Poetry Slammerin Julia Engelmann. Manchmal bleibt dann nur ein Leben in Träumen, ein Leben im Konjunktiv, in der diffusen Zone der Orientierungslosigkeit. Die deutsche Psychologie-Studentin lieh in ihrem Poetry Slam "Eines Tages, Baby" einer ganzen Generation ihre Stimme. Einer Generation von Möchtegerns, die lieber vom großen Leben träumt, als den Hintern vom Sofa hochzukriegen.

In vielem hat Julia Engelmann recht. Die Wohlstandsgesellschaft hat träge gemacht, das Multiple Choice der komplexen, schnellen Welt ist zur Lebensbürde, das Yolo zur Maxime geworden.

Und Yolo – "you only live once" – macht das Leben auch nicht leichter. Denn wie sollen die unzähligen Wahlmöglichkeiten für ein einziges Leben reichen? Dieser Druck, sich richtig zu entscheiden, ist ein zu großer, ahnt man. Dann doch lieber die Couch.

Doch dann gibt es die, die aufstehen und ihre Stimme erheben. Die aufstehen und rufen, "Tu was anstatt zu träumen", wie Julia Engelmann. Und jene, die aufstehen und was tun. Weil sie den Traum einer besseren Welt, einer anderen Gesellschaft, nicht nur träumen wollen, sondern leben. Weil sie mitentscheiden wollen, wie Österreichs Zukunft aussehen soll, wie Julian Schmid. Weil sie im kleinen Tun das Große sehen und jede Woche mit Flüchtlingskindern das große Einmaleins üben, um für gerechte Bildung zu sorgen, wie Lynn Loibner. Oder weil sie einfach zeigen wollen, was sonst noch möglich ist, wie Lukas Zeilbauer. Mit 19 Milliarden Euro, rein hypothetisch. Dann bauen sie eine Stadt aus Gold.

Platz 173, im Parlament. Das ist Julian Schmids Arbeitsplatz seit einem Jahr. Als jüngster männlicher Abgeordneter kam der Bachelor-Absolvent der Politikwissenschaft im Vorjahr mit 24 Jahren in den Nationalrat. Der bekennende Antianzugträger hat mit seinen Markenzeichen – Wuschelkopf, Jeans und Sneakers – jahrzehntealten Staub im Parlament aufgewirbelt. Schon als 13-Jähriger baute er in Klagenfurt mit Freunden die „Jungen Grünen“ auf, initiierte als Schulsprecher ein soziales Netzwerk für Schüler und organisierte einen Kantinenstreik. Den Bachelor hat er in der Tasche, der geplante Master in Sozioökonomie liegt zur Zeit auf Eis – zu viel hat der junge Politiker zu tun, um die Gesellschaft ein bisschen grüner zu machen. Im Vorarlberger Landtags-Wahlkampf war er voll eingespannt, kein Problem für ihn, denn: „Mein Job ist sinnvoll, für mehr Leute als nur mich selbst“.

Warum Politik?

„Ich wollte jungen Menschen im Parlament eine Stimme geben. Wird heute politisch falsch entschieden, trifft das meine Generation. Auslöser war der Haider: Meine Freunde und ich verteilten Anti-Schwarzblau-Buttons, als er unser Gymnasium besuchte. Der Schulwart riss mir den Button von der Jacke und schrie, „das ist der Landeshauptmann, das ist gefährlich“. Für mich war damals die Meinungsfreiheit in Gefahr.“

Was gibt dir dein Engagement?

„Dass man was verändern kann. Raunzen war nie meins, es ist lustiger, wenn man etwas umsetzt.“

Deine Vision?

„Eine ordentliche Bildungsreform, den Klimawandel stoppen. Mir sagt man immer wieder, Weltverbesserungspolitik ist a bissl naiv. Doch Politik ist dazu da, die Menschen und das Gemeinwohl zu vertreten und nicht Einzelinteressen z.B. von Konzernen.“

Lynn Loibner studiert an der Uni Wien Musikerziehung, Philosophie und Psychologie auf Lehramt. Und sie ist alleinerziehende Mutter eines achtjährigen Sohnes. Auch wenn sie könnte – die Ausrede „keine Zeit und kein Geld“ lässt die angehende Lehrerin nicht gelten. Seit zwei Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich als Lernhelferin für Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Ihren ersten Einsatz im Nachbarschaftszentrum3 im dritten Bezirk in Wien hatte sie an einem Donnerstag, ließ dafür eine Philosophie-Vorlesung sausen. „Das Thema der Vorlesung war ,Böses Tun‘ – ich wollte lieber Gutes tun“, lacht sie. Ein Mal die Woche gibt Lynn Loibner einer Gruppe von Schülern für zwei Stunden Nachhilfe.

Warum Lernhilfe?
„Ich wollte etwas machen, das für mich sinnvoll ist, abseits von Unizeugnissen. Bildungsgerechtigkeit ist mir ein Anliegen, ich habe mich viel damit beschäftigt.
Ich will Bildung an Kinder weitergeben, die nicht solche Startchancen haben, wie ich sie hatte. Ich bin im Vergleich zu ihnen privilegiert, kann studieren.

Was gibt dir dein Engagement?
„Es geht mehr als „nur“ um Nachhilfe. Die Kinder lernen schnell Deutsch, sind geschickt, aber bezweifeln ihr Können sehr. Ich bestärke sie darin, dass sie das können und höre ihnen zu. Ich bekomme auch viel Schlimmes mit, beispielsweise über ihre Flucht. Wenn sie erzählen, dass sie eine Hausübung gut geschafft haben, ist das schön. Ich kriege zwar kein Geld, aber kriege viel zurück.“

Deine Vision?

„Mehr Bildungsgerechtigkeit in der Gesellschaft. Alle sollen die gleichen Chancen auf eine höhere Ausbildung haben.“

Im Wiener Arsenal Objekt 219 rühren junge Frauen und Männer eifrig Zement an, gießen ihn in vorbereitete Formen am Boden. Etwa 25 Studierende sind hier, alle in Lafarge-T-Shirts gekleidet, ein Sponsor. Jeden Tag wird hart gearbeitet, zwischendurch gemeinsam gekocht. Hier entstehen die Bausteine für Hypotopia, einer utopischen Modellstadt, die Bauingenieur-Student Lukas Zeilbauer mit Studienkollegen der TU Wien seit sechs Wochen auf eigene Faust aus dem Boden stampft. Seine Idee: Eine Stadt mit den 19 Hypo-Milliarden zu bauen. Rein hypothetisch. Lukas Zeilbauer weist die Studierenden an, insgesamt helfen ihm Dutzende. Hypotopia wird ab Mitte Oktober am Karlsplatz aufgebaut.

Warum Hypotopia?

„Als ich vom Hypo-U-Ausschuss hörte, habe ich überlegt, wie viel Geld das wirklich ist. 19 Milliarden Euro – das kann man sich nicht vorstellen. Das sind 55.000 Einfamilienhäuser. Ich wollte das darstellen und habe mir überlegt, warum bauen wir nicht gleich eine ganze Stadt? Beton steht für das Beständige, das Fundament – das Gegenteil der Finanzwirtschaft.“

Was gibt dir dein Engagement?

„Wir sind unabhängig, haben keinen Professor, der uns sagt, macht es so oder so. Wir haben viel nach Gefühl gemacht und liegen voll im Zeitplan. Einige Firmen sponsern uns, stellen uns Baumaterial und Werkzeug zur Verfügung. Das ist toll.“

Deine Vision?

Hypotopia ist ein Ideal einer Stadt: Wir haben die Energiegewinnung, Entsorgung, das Verkehrssystem ausgearbeitet, wollen die Stadt angreifbar machen. Der Geldbetrag wird spürbar und berührbar. Mit einer Ausstellung wollen wir zeigen, wie das Leben möglich ist – ohne Autos, energieautark, ohne Müllprobleme, in einer Reparaturgesellschaft statt der jetzigen Wegwerfgesellschaft. Hypotopia soll eine Plattform für zukunftsträchtige Maßnahmen sein. Wir hoffen, dass sie weitergenutzt wird.“

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