Stephan Hering-Hagenbeck ist passionierter Zoologe und Tiergärtner. Von klein auf hat sich der gebürtige Frankfurter der Natur verschrieben, wuchs teilweise in Südafrika auf, sein erstes Haustier war eine Schlange.
Später heiratete er in die zerklüftete Hamburger Tiergarten-Dynastie Hagenbeck ein, war fast zwanzig Jahre Teil der Führungsriege und zuletzt Direktor. 2020 wechselte er nach Wien, um den Tiergarten Schönbrunn zu leiten.
„Ein besonderes Privileg“, das man in der Branche anstrebt. Seitdem entpuppte sich der Zoo mehrfach als krisenfest, doch einfach dürfte es nicht sein, Tier und Mensch hierzulande gerecht zu werden.
KURIER:Vor vier Jahren wurden Sie Direktor des Tiergarten Schönbrunn. Seitdem wurde eine Corona-Krise von einer Wirtschaftskrise abgelöst. Wie geht es dem ältesten Zoo der Welt?
Stephan Hering-Hagenbeck: Ausgesprochen gut. Natürlich sind das alles große Herausforderungen. Aber wir sind nach dem Schloss Schönbrunn die zweitgrößte bezahlte Touristenattraktion in Österreich mit knapp 40 Prozent Touristenanteil. Das ist eine Sonderstellung in Europa, die vielleicht nur mit dem Zoo in Berlin vergleichbar ist. Und wir haben eine große Unterstützung in der Lokalbevölkerung.
Auch genügend Jahreskarten-Besitzer?
Wir haben nach wie vor eine knapp sechsstellige Anzahl. Jedoch bemerken wir, dass den Leuten das Geld nicht mehr so locker sitzt.
Es werden also weniger?
Die Zahl war leicht abnehmend, aber wir sehen, dass die Besucher ihre Karte nicht mehr im Voraus kaufen, sobald sie abgelaufen ist. Jetzt ist das meistens mit einem Besuch verbunden. Die Jahreskarte wird auch häufiger genutzt, damit sie sich wirklich rentiert. Wir beobachten das sehr genau, denn die Jahreskarten sind das Rückgrat unserer finanziellen Situation und die Unterstützer des zoologischen Gartens. Daher versuchen wir, noch heuer eine weitere Attraktion mit hineinzunehmen, um das Tiergarten-Erlebnis noch interessanter zu machen.
Bei Touristen ist man mittlerweile auf dem Vor-Corona-Niveau angelangt, richtig?
Ja, aber seit Corona hat sich der Anteil der Touristenverteilung sehr verändert. Zuvor waren die Deutschen der Hauptanteil. Im vergangenen Jahr sind sie von den Tschechen abgelöst worden. Generell bemerken wir viele osteuropäische Besucher. Ich kann das nicht erklären, aber habe das Gefühl, dass die Inflation in diesen Ländern vielleicht noch nicht so durchgegriffen hat wie bei uns.
Beim Fototermin ist Hering-Hagenbeck routiniert. Seit vier Jahren leitet er den Tiergarten Schönbrunn, bringt aber jahrzehntelange Erfahrung mit
Insgesamt waren 2023 über zwei Millionen Besucher zu Gast. Zufrieden?
Da würde ich es wie die Landwirte halten: wir sind nie zufrieden. Eine unserer Grundregeln ist: wir können uns mit Attraktionen auf den Kopf stellen, aber wir sind nun mal wetterabhängig. Unter idealen Wetterbedingungen stoßen wir außerdem an Kapazitätsgrenzen.
Wo liegt das Maximum?
Wir hatten vergangenes Jahr an einem Tag im Frühling mehr als 20.000 Besucher – ein Rekord in unserer Geschichte. Aber so wie ich mich an scheußlich verregneten Tagen wie heute bei jedem Besucher bedanken möchte, der gekommen ist, würde ich mich gerne bei den Besuchern entschuldigen, die sich an solchen Tagen durch den Tiergarten drängeln.
Dafür gibt es jetzt Rundwege, die Besucher leiten.
Das sind natürlich Veränderungen, die Besuchern, die schon lange in den Tiergarten gehen, zunächst nicht einleuchten. Sie sind aber notwendig, weil sich die Situation geändert hat. Auch bei Umstrukturierungen, die wir jetzt vornehmen. Ich habe ja fast zehn Jahre Zoos beraten und komplett neu geplant. Aber die größere Herausforderung ist das, was ich hier machen darf: ein einzigartiges kulturelles Erbe zu schützen.
Der Tiergarten Schönbrunn wurde 1752 als kaiserliche Menagerie der Habsburger gegründet. Er ist im Eigentum der Republik Österreich, wurde aber 1991 aus der Bundesverwaltung ausgegliedert
Die Direktoren: Unter Helmut Pechlaner erlebte der Zoo ab 1992 Jahren seinen großen Aufschwung. 2007 übernahm Dagmar Schratter. 2020 wurde sie von Stephan Hering-Hagenbeck abgelöst
65 Euro kostet die Jahreskarte. Der Preis wurde seit 2022 nicht erhöht
Wirtschaftstreiber: Der Tiergarten steuert als direkter Effekt aus dem Umsatz jährlich rund 40 Mio. Euro zum BIP bei
Müssen Sie durch die Teuerung anders wirtschaften?
Wir mussten Eintrittspreise anpassen, das haben wir sehr moderat gemacht. Wir sind jetzt bei 27 Euro. Wir stehen aber erheblich mehr auf eigenen Beinen. Unsere Investitionen tragen wir, seitdem ich hier bin, weitestgehend selbst. Und man darf nicht vergessen: Für die Gesellschaft ist ein Tiergarten erst einmal ein Freizeitziel. Aber ein moderner Tiergarten hat hoheitliche Aufgaben übernommen, die wir uns selbst aufoktroyiert haben: Die Forschung, der Artenschutz und die Bildung. Die möchten wir weiter ausbauen und bekommen dazu keine Zuschüsse aus der öffentlichen Hand.
Wie steht es um das Personal? Haben Sie genug?
Wir suchen seit knapp einem Jahr aufgrund von anstehenden Pensionierungen einen Betriebsleiter. Dieser verantwortet ein sehr breites Spektrum, weshalb wir gerne einen längeren Übergang gehabt hätten. Und wir suchen fast genausolang einen technischen Leiter. Das ist eine wirkliche Herausforderung, die Führungsebene zu besetzen.
Warum gestaltet sich das so schwierig?
Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es um die 30 Zoos, davon bestimmt sechs große, die vergleichbare Aufgabengebiete wie Schönbrunn haben. Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal in Österreich, sind zwar in der Österreichischen Zoo Organisation, aber die anderen Mitglieder sind deutlich kleiner. Eines der größten Mitglieder ist das Haus des Meeres, das aber eine ganz andere Ausrichtung hat.
Im Bereich der Pflege gibt es genug Nachwuchs?
Hier ist es herausfordernder, Menschen mit Passion zu finden. Die Richtigen sind die, die sich von früher Kindheit an mit Tieren oder Natur beschäftigt haben. Dafür haben wir eine neue Lehrlingskampagne gestartet. Für die Nachbesetzung von Führungspositionen wäre mein Ideal, das aus den eigenen Reihen heraus zu tun.
Der direkte Kontakt mit Tieren ist in der Pflege aus Sicherheitsgründen selten geworden. Vermisst man den?
Man ist professioneller geworden. Das Fatalste wäre, wenn jemand sein Leben verlieren würde. Das ist zum Glück in meinem Vierteljahrhundert in diesem Beruf nicht passiert. Das habe ich mir als oberstes Ziel gesetzt, niemals jemandem kondolieren zu müssen. Deswegen gehe ich auch mit 110 Prozent an das Thema Sicherheit ran.
Tierpfleger ist ein Ausbildungsberuf. Eine Lehre in Schönbrunn dauert drei Jahre. Dabei werden alle 650 Tierarten kennengelernt und jedes Revier durchlaufen. Im ersten Lehrjahr sind das u. a. der Tirolerhof und das Regenwaldhaus sowie Grundlagen der Tierkunde. Erst im dritten Lehrjahr lernt man den Umgang mit gefährlichen Tieren und bereitet sich auf die Abschlussprüfung vor.
Aufgaben: u. a. Versorgen von Wild- und Haustieren, Erhaltung der Tiergesundheit, Zuständigkeit für Futtermittel
Voraussetzungen: abgeschlossenes neuntes Schuljahr sowie Begeisterung für Tiere und Natur.
Eine Maßnahme war, die viel zitierte Pumpgun zu beantragen. Etwas, das die Wogen hierzulande hochgehen ließ. Gibt es mittlerweile einen Entscheid?
Ich gebe Ihnen dazu mein offizielles Statement (liest aus Unterlagen): Es ist unseren Bedürfnissen vonseiten der Behörden und vom Verwaltungsgericht entsprochen worden. Gegenwärtig ist unser Sicherheitskonzept entsprechend aktualisiert und adaptiert (legt Unterlagen beiseite). Die ganze Situation war für mich etwas Besonderes, weil es in Deutschland kein Thema ist. Es ist ein Sonderfall in Österreich, dessen Aufmerksamkeit ich vielleicht falsch eingeschätzt habe. Aber wir haben jetzt eine Lösung.
Die Lösung ist konkret?
Dass wir Schusswaffen auf dem Gelände haben. Für den Fall, dass es zu dem GAU für einen Tiergärtner kommt und man zwischen dem Leben eines Menschen und dem eines Tieres entscheiden muss.
Ebenfalls in die Kritik geriet, Tiernamen weniger nach außen zu tragen, um sie nicht für Marketingzwecke zu instrumentalisieren. Braucht es nicht die Finjas und Pinguinküken, um Menschen in den Zoo zu locken?
Natürlich braucht es das und davon haben Zoos immer gelebt. Auf der anderen Seite haben wir es als ganz wichtiges Instrument des Artenschutzes nicht geschafft, dieses Thema in der Gesellschaft zu verankern. Gerade Medien unterscheiden nicht zwischen Tierschutz und Artenschutz. Das sind zwei völlig verschiedene Themen. Artenschutz ist Population. Darum geht es eigentlich: den Fokus nicht auf das Individuum zu stellen.
Ihre Pläne für Schönbrunn in den nächsten Jahren?
Ich möchte den großartigen Stellenwert, den der Tiergarten weltweit hat, wenigstens erhalten und ausbauen. Ich glaube, in den vergangenen vier Jahren habe ich gezeigt, in welche Richtung das geht. Der Tiergarten steht wirtschaftlich gut da, erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit. Dass man dem einzelnen mit bestimmten Entscheidungen auf die Füße tritt, wird schon mitberücksichtigt, aber das muss man auch in Relation sehen.
(kurier.at, JC)
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Aktualisiert am 02.03.2024, 15:24
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