Es wird geschrieben, die Aktie sei „grotesk unterbewertet“.
Das stimmt. Wenn Sie unsere Bilanz anschauen, sehen Sie, dass wir keine Schulden haben, keinerlei Hypotheken aufgenommen haben auf unsere Immobilien an bester Lage, welche mit Nettowerten in unserer Bilanz sind. Wir haben, im Gegensatz zu anderen Gruppen, auch keinen Goodwill oder Markenwerte aktiviert. Wir sind einer der größten industriellen Arbeitgeber in unserem Land mit über 100 eigenen Fabriken in der Schweiz. Unsere Maxime ist, die totale Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Das schafft auch Mehrwert für den Werkplatz Schweiz. Wir entlassen die Leute nicht, wenn es einmal schlechter läuft. Wir erhöhen auch nicht die Preise, jedes Mal, wenn der Schweizer Franken stärker wird. Das gefällt natürlich der Börse nicht, aber wir verkaufen ja keine Aktien, sondern wir verkaufen Uhren.
Sie gehen also Ihren Weg, auch wenn das dem Aktienkurs schadet?
Ja, weil wir eine langfristige Strategie haben und zuerst einmal eine Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Kunden. Die Börse ist kein Mitarbeiter und auch kein Kunde von uns.
Der Vorwurf ist, dass Sie jetzt, in der Konjunkturdelle fürs Lager produzieren.
Nein, das stimmt nicht. Für uns ist Lager ein Wert und nicht ein Risiko. Die Marke Swatch hat im letzten Monat einer der besten Umsätze in ihrer gesamten Geschichte erwirtschaftet. Auch die anderen Marken, Omega inklusive, wachsen weltweit, wenn wir die Konsumflaute in Greater China herausnehmen. Unser Lager von rund 7,5 Milliarden Schweizer Franken besteht aus einem Drittel Gold und Diamanten. Da wir 1.500 eigene Läden haben, brauchen sie auch in jedem Laden ein Lager an Produkten, um sie verkaufen zu können. Das sind schon wieder ein paar Milliarden. Der Rest sind Halbfabrikate, wie Komponenten für Uhrwerke und Tonnen von Rohmaterialien wie Spezialstahl, Keramik und Biokeramik. Wir verkaufen ja keine Fische, die nach 2 Tagen schlecht werden, sondern nachhaltig wertvolle Produkte.
Sie haben aktuell ein massives Absatzproblem in China, Hongkong und Macao.
Ja, das stimmt. Aber nicht nur wir, auch die gesamte Luxusindustrie, die Automobilindustrie, die Maschinenindustrie, die Modeindustrie, die Consumer Electronics Industrie, usw. Wir machen dort rund ein Drittel unseres Umsatzes – da haben wir sofort einen Impact, wenn die Wirtschaft sich einbremst. Ein Rückgang dort von 30 Prozent hat natürlich einen starken Einfluss.
Das führte zu 70 Prozent weniger Gewinn im ersten Halbjahr.
Ja, aber im Vergleich zu einem starken ersten Halbjahr 2023 und weil wir, unsere Mitarbeiter auch in schwierigen Zeit weiter beschäftigen.
Macht Ihnen die chinesische Konjunkturflaute schlaflose Nächte?
Nein. Sie müssen die Ursachen einer Flaute sehen. Wenn nur die Swatch Gruppe diesen Einbruch hätte, dann hätte ich schlaflose Nächte. Wenn ich aber sehe, dass ein Markt in vielen Bereichen schwierig und deprimiert ist, dann nicht.
Wie ist Ihre Reaktion?
Dass das für uns neue Chancen öffnet. Die Swatch zum Beispiel ist sogar in diesem Markt gewachsen. Ich glaube, als einzige Marke im Uhrensektor in China. Der oberste Luxus leidet dort stärker, weil die Konsumenten zwar Geld haben, aber es im Moment nicht ausgeben wollen. Im Gegenteil zu Japan, wo wir über 35 Prozent gewachsen sind. Auch in Indien, Mexiko, Südkorea, USA und in der Schweiz sind wir im Plus. Einige Marken in der Gruppe, wie Breguet, haben aber sicher noch enorm mehr Potenzial.
Herr Hayek, Sie produzieren alles hier in der Schweiz, am teuersten Standort der Welt.
Ja, die Schweiz ist ein relativ teures Pflaster. Aber wir sind produktiver und flexibel. Wir haben Gewerkschaften, mit denen wir wirklich arbeiten können. Es gibt keine Streiks, wenig Bürokratie. Wir haben ein gutes Ausbildungsmodell, viele Lehrlinge, gute Schulen und KMU, die mit uns zusammenarbeiten. Das alles überwiegt doch den Anteil an höheren Kosten, die man für Mitarbeiter hat. Die Personalkosten sind also nicht das Thema, es ist die Produktivität des Personals, die man sehen muss. Und die stimmt hier in der Schweiz. Die Mitarbeiter sind motiviert und stolz, hier in der Industrie zu arbeiten.
Die Steigerung der Personalkosten und den Umsatzeinbruch in Asien – das stecken Sie einfach weg?
Nicht ganz. Wir haben ja 70 Prozent weniger Gewinn gemacht. Aber das ist nur eine kurzfristige Situation. Das Personal sollte nie aufgrund einer kurzfristigen Profitkultur abgebaut werden. Die Industrie in Europa war immer sehr familien- und unternehmerbestimmt, die langfristiger denken als die Finanzindustrie. Aber ich sehe da leider einen Kulturwandel in Europa. Der Profit und der Börsenkurs werden mehr zum alleinigen Gradmesser für den Erfolg eines Unternehmens. Das ist leider das amerikanische Modell.
Die Kooperation Swatch und Omega: Ist das Ihr größter Coup? Frage an den Schweizer: Wer hat’s erfunden?
Es ist vielmehr ein Prozess, der eine Initialzündung braucht. Am Anfang stand ein Auftrag, den ich dem Chef einer unserer Swatch Fabriken gegeben habe, ein neues, innovatives Material für die Marke Swatch zu finden. Das führte zu der Entwicklung von unserem Bioceramic. Daraus wurde als eines der ganz ersten Produkte die NASA Big Bold von Swatch. Die anderen Marken der Swatch Group wollten dieses Material auch für sich nutzen. Ich wollte das nicht, denn Bioceramic ist eine Swatch Erfindung und muss bei der Marke Swatch bleiben. Da entstand die Idee, einmal zu sehen wie denn eine Omega oder ein paar andere Marken, auch Externe, unter Verwendung von Bioceramic aussehen würden. Also haben wir uns im geheimen und ganz kleinen Team daran gemacht, ein paar Prototypen herzustellen, quasi eine Kopie in Bioceramic. Das hat uns dann dazu inspiriert einen Schritt weiterzugehen und aus der „Kopie“ ein Original zu machen. Die MoonSwatch Omega X Swatch war geboren. Eine Swatch, aber eben auch eine Omega.
Wie hat der Omega-Chef reagiert?
Der ist fast vom Sessel gefallen, als wir ihm die ersten Prototypen gezeigt haben. Natürlich war das für ihn ein Schock und eine Provokation, aber eine positive.
Haben Sie nie einen Imageschaden für die Omega befürchtet?
Nein, nie. Swatch ist eine Ikone und Omega ist eine Ikone und beide sind Swiss made und Swatch hat ja auch die gesamte Schweizer Uhrenindustrie in den 80er-Jahren gerettet, aber dass es eine große Provokation sein würde, war uns schon klar. Und der Erfolg war phänomenal, sowohl für Swatch, wie auch für Omega, die seit der Lancierung der MoonSwatch die Verkäufe der Speedmaster im zweistelligen Prozentsatz gesteigert hat.
Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Mit Kreativität und Mut. In der Luxus- Uhrenindustrie stehen alle vor folgendem Problem. Einige Marken sind so exklusiv und limitiert, dass sie arrogant werden oder wirken. Wir müssen aber immer attraktiv bleiben und auch junge Leute für uns gewinnen, die heute vielleicht noch nicht das Geld für teure Uhren haben. In der Mode kann man Teil der Luxusmarke werden, indem man zum Beispiel ein Parfum kauft. Bei der Uhrenindustrie geht das nicht so. Mit einer Kooperation wie Swatch und Omega sie gemacht haben, schafft man Sympathien und Zugang zu allen Leuten, ob reich, weniger reich, jung oder alt.
Wie sehr ärgert Sie eigentlich der Sekundärmarkt?
Wir haben immer gesagt: MoonSwatch sind keine limitierten Editionen. Ich mag Limitierungen generell nicht, weil man damit Kunden ausschließt. Wenn aber ein Produkt wie die MoonSwatch so sehr gesucht ist, und Leute ein zusätzliches Geschäft daraus machen wollen, kann man das leider nicht verhindern. Wir kommunizieren aber immer wieder nicht im Sekundärmarkt zu überteuerten Preisen zu kaufen, denn unsere Uhren sind nicht limitiert.
Es gibt sogar den Vorwurf der Verknappung.
Wir verknappen nichts, die Nachfrage ist riesig. Ich erinnere Sie daran, die MoonSwatch ist ein industriell hochwertig hergestelltes Produkt. Da können Sie nicht einfach die Kapazitäten im Handumdrehen verdoppeln oder verdreifachen. Nehmen wir mal folgendes hypothetisches Beispiel: Wenn Sie eine Uhr in 15 Sekunden herstellen könnten, wäre das schon ziemlich schnell. Das heißt: in einer Minute vier Uhren, in zwanzig Stunden 4.800 Uhren. 360 Tage im Jahr macht rund 1,7 Millionen Uhren. Dividiert durch unsere 220 Läden sind das 7.854 Uhren pro Laden bzw. 20 Uhren pro Laden pro Tag. Das ist nicht viel im Vergleich zur riesigen Nachfrage.
Wie lange kann man so eine hohe Nachfrage aufrechterhalten?
Ich weiß nicht, indem wir natürlich innovativ und attraktiv bleiben. Aber ich gebe Ihnen recht, ein Selbstläufer ist es natürlich nicht.
Wird es je eine Smartwatch von Swatch?
Nein, die Marke Swatch ist nicht darauf aus, Millionen Daten von Kunden zu sammeln und zusätzliche Services zu verkaufen. Wir wollen auch nicht in den Massenmarkt der Consumer Electronic Produkte einsteigen, die jedes Jahr neue Produktgenerationen mit neuen Chips lancieren müssen. Die Produktion von schnelllebigen Consumer Electronic Produkten können Sie fast nur über Dritte in Indien und China bewerkstelligen. Es gibt aber eine smarte Tissot Uhr. Dies sind schöne Swiss made Uhren, denen man connected Funktionen hinzugefügt hat, aber die nicht ein Connected Device sind, das zufälligerweise auch die Zeit anzeigt. Diese Produkte spiegeln die Philosophie der Swatch Group wider, total unabhängig von Dritten zu sein bei der Herstellung des Produktes. Aber generell, die Einführung der Apple Watch ist und war sehr gut für die Schweizer Uhrenindustrie.
Wie das?
Weil sie wieder zum Uhrentragen animiert. Ich sage, das größte Problem ist, wenn die Menschen nichts mehr am Arm tragen. Wenn eine Smart Uhr die Leute dazu bringt, dass sie wieder etwas am Arm tragen, dann haben wir den Markt wieder vergrößert - auch für traditionelle Uhren. Und genau das passiert. Die höchsten Verkaufszahlen der MoonSwatch haben wir übrigens im Silicon Valley.
Sie tragen zwei Uhren, wie viele Uhren haben Sie zu Hause?
Das weiß ich nicht. Es sind vor allem viele, viele Swatch Uhren und ein paar andere Marken aus unserem Konzern, aber keine Fremdmarken.
Die Zeit ist Ihr Geschäft. Sie werden heuer 70. Wie spät ist es für Sie?
Es gibt Tage, wo ich mich sehr alt fühle und Tage, wo ich mich wahnsinnig jung fühle. Aber sonst habe ich kein Zeitgefühl. Ich zitiere John Huston: die Amerikaner verkaufen die Zeit, die Franzosen lassen sie vorbeigehen, die Italiener leben die Zeit, die Deutschen organisieren sie. Und die Schweizer machen die Zeit. Sie können mich also nicht nach dem Lebenszyklus fragen, wo wir doch die Zeit machen.
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