Stress wirkt später und hält länger
KURIER: Ihre neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass Nervenzellen im Hirnwasser eine Stressreaktion auslösen können, deren Wirkung erst mit einer Verspätung auftritt und dann dauerhaft ist. Können Sie das mit einem einfachen Beispiel erklären?
Tibor Harkany: Wenn eine Maus einer Katze begegnet, ist es von Vorteil, wenn die Maus bereits alarmiert ist – ohne erst überlegen zu müssen, was zu tun ist. Die Katze wird ihren Angriff nämlich mehrere Male starten. Eine bessere Wissensreaktion kann also vermeiden, dass etwas passiert. In der Natur hilft diese Prädiktion, den zweiten oder dritten Versuch zu erkennen. Bei Menschen ist das genauso. Wenn Kinder beispielsweise Computerspiele spielen, ist eine kurze Reaktionszeit vorteilhaft. Mit jedem Schritt müssen sie schneller reagieren. Wenn unser Gehirn wieder zum „Null-Niveau“, also zur Ausgangslage zurückkommt, dann überleben wir diese Schritte. Ein Problem entsteht dann, wenn wir diesen Stress nicht mehr ausschalten können, wenn diese Wachsamkeit oder „Alertness“ erhöht bleibt. Das kann zum posttraumatischen Stresssyndrom führen.
Eine solche längere Stressreaktion kann auch im Arbeitsumfeld ausgelöst werden?
Sie kann immer ausgelöst werden. Die Frage ist, wie stark sie ist. Beide Reaktionen kommen parallel und sollten in Balance sein.
Welche Symptome treten bei Stress auf?
Wenn man gestresst ist, ist man normalerweise irritiert, ein wenig „high“. Stress wird mit Gefühlen vermischt – wir müssen sie dann koordinieren. Wenn wir zum Beispiel Stress mit dem Chef haben, haben wir eine andere Stressreaktion, als wenn wir lange nichts zu essen haben. Obwohl die endokrine Basis die gleiche ist, differenzieren wir, wie wir sie emotional bewerten.
Ist Stress vermeidbar? Sollten wir ihn überhaupt vermeiden?
Akuter Stress ist eine Lebensfunktion. Ohne ihn können wir nicht überleben. Wenn man zu Hause etwas kocht und die Hand auf die heiße Herdplatte legt, bewirkt Stress, dass wir sie wegnehmen und uns nicht verletzen. Wenn er jedoch eskaliert, erhöht und regelmäßig kommt, kann er in eine Krankheit übergehen. Es gilt aber noch zu untersuchen, ob diese Eskalation mit Medikamenten oder Autogenem Training vermeidbar ist.
Wie wirkt sich dauerhafter Stress auf die Karriere aus?
Im Beruf ist Stress in geringem und nicht chronischem Ausmaß gut, denn für kurze Zeit erhöht er die Leistungsfähigkeit. Chronischer Stress wirkt sich negativ aus und beeinflusst die Produktivität. Er kann psychische Erkrankungen wie Depression oder Burn-out – wenn wir Burn-out als existent akzeptieren – begünstigen.
Sind Workaholics süchtig nach Stress?
Ich denke nicht, dass Workaholics in Zusammenhang mit Stress stehen, sondern vielmehr mit Neugier. Sie führen eine „Liebesbeziehung“ mit ihrer Arbeit. Nach längeren Perioden brauchen sie aber auch immer eine Ruhephase.
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