Sozialforscher: „Die Corona-Krise trifft nicht alle gleich“

Sozialforscher: „Die Corona-Krise trifft nicht alle gleich“
Corona führte in die Kurzarbeit, in die Arbeitslosigkeit, andere machten weiter, wie immer. Der neue Arbeitsklima-Index zeigt, wie die Krise die Gesellschaft spaltet.

In einem Punkt sind sich die meisten einig: Corona hat in der Arbeitswelt drastische Auswirkungen gehabt. Als die Arbeiterkammer zwischen März und Mai eine Online-Erhebung für den neuen Arbeitsklima-Index durchführte, waren 82 Prozent der Meinung, dass die Krise die Arbeitswelt auch in Zukunft dauerhaft verändern wird.

Optimismus und Verdruss

Und hier zeichnet die Erhebung ein gegensätzliches Bild: Auf der einen Seite stehen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Monaten weitestgehend unbeschadet durch die Krise kamen, auf der anderen Seite fühlen sich 44 Prozent der Arbeitslosen und 30 Prozent der Menschen in Kurzarbeit in ihrer Existenz bedroht. „Die Corona-Krise trifft nicht alle gleich“, fasst Daniel Schönherr, Sozialforscher vom SORA-Instituts die Ergebnisse zusammen.

Das zeige sich etwa am Beispiel vom Homeoffice. „Nur etwa ein Viertel der Beschäftigten in Österreich hat zwischen März und Mai zu Hause gearbeitet, davon waren 56 Prozent Akademiker, während weniger als zehn Prozent der Arbeiter oder Pflichtschulabsolventen im Homeoffice arbeiten konnten“, so der Experte.

Kluft wird größer

Die häufig gestellte Prognose, dass Teammeetings in Zukunft häufiger in Bildschirm-Übertragungen stattfinden werden, Arbeitsformen flexibler gestaltet werden, betrifft bei Weitem nicht alle Arbeitnehmer in Österreich. Im Gegenteil.

Die Kluft, die den Arbeitsmarkt in sichere, gut bezahlte Jobs und prekäre, unsichere Arbeitsverhältnisse mit schlechten Gesundheitsbedingungen teilt, wurde in der Krise nicht nur deutlicher, sie wurde verschärft. „Die soziale Ungleichheit hat in den vergangenen Monaten zugenommen“, ergänzt Johann Kalliauer, Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich die Ergebnisse.

Während einige Berufsgruppen mit der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, sich größeren Ansteckungsrisiken entziehen konnten, hieß es am Bau, im Supermarkt, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen „business as usual“ – weiter, wie gewohnt. Schönherr: „Mehr als die Hälfte der Beschäftigten war weitestgehend am üblichen Arbeitsort tätig.“ Post-Zustellung, Regalbetreuung oder Pflegedienste können eben nicht auf einem Laptop im Wohnzimmer verrichtet werden.

Hart getroffen

Auch in der Stimmungslage zeigt sich eine Kluft. „Bei jenen die ihren Job behalten haben oder in Kurzarbeit waren, zeigt sich ein wachsender Optimismus“, so Schönherr. Im Schnitt glauben 23 Prozent der Beschäftigten, von der Krise härter getroffen worden zu sein, als andere. „Bei jenen die ihren Job behalten haben oder in Kurzarbeit waren, zeigt sich ein wachsender Optimismus“, so Schönherr.

Auf der anderen Seite stehen Leiharbeitende, geringfügig Beschäftigte, Menschen mit Migrationshintergrund, Eltern, Pflichtschulabsolventen und junge Arbeitnehmer unter 26. Geht es um die berufliche Zukunft, sind die letzten beiden Gruppen besonders pessimistisch gestimmt. „Sie haben den Eindruck, dass sie die Krise härter trifft als andere“, erklärt Schönherr. Hier zeigt sich die Kluft erneut.

Doch auch unter den Heimarbeitern lief nicht alles rund. Auch wenn zwei Drittel der Befragten angaben, auch in Zukunft öfter zu Hause arbeiten zu wollen. „Die meisten der Befragten haben einen akademischen Abschluss, arbeiten unter privilegierteren Arbeitsbedingungen, die Auffassung zu Homeoffice-Arbeit damit eher positiv gefärbt“, erklärt IFES-Sozialforscher und Co-Autor Reinhard Raml.

Zwar sind sie in Befragungen in der Minderheit, aber immerhin ein Drittel der Beschäftigten sehen laut Index keine Vorteile in der Heimarbeit, klagen über Mehrfachbelastungen, mehr Zeitdruck oder über Schlafprobleme.

Interview: Menschliches Verhalten in der Krise

Sozialforscher: „Die Corona-Krise trifft nicht alle gleich“

Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und -therapie an der Medizinischen Universität Wien

KURIER: Warum stecken manche Menschen Krisen besser weg als andere?
Stephan Doering: Resilienz bezieht sich mehr auf die Persönlichkeit. Aber natürlich spielt die finanzielle Situation eine sehr große Rolle. Manche konnten entspannt vom Balkon zu Hause arbeiten, bei anderen war der Arbeitsplatz bedroht.  Ich hatte den Eindruck, dass  mit steigendem Stress es  allmählich zu einer Spaltung in der Gesellschaft kam –  in die Verlierer der Krise und in jene, die davon unbeschadet bleiben.

Das zeigt auch der Arbeitsklima-Index: Menschen in besseren Jobs gehen tendenziell optimistischer mit der Krise um.
Resilienz bezieht sich mehr auf die Persönlichkeit. Aber natürlich spielt die finanzielle Situation eine sehr große Rolle, ob jemand entspannt vom Balkon zu Hause arbeiten kann, oder ob  der eigene Arbeitsplatz bedroht ist.  Ich hatte den Eindruck, dass  mit steigendem Stress es  allmählich zu einer Spaltung in der Gesellschaft kam –  in die Verlierer der Krise und in jene, die davon ziemlich unbeschadet bleiben.

Wie beurteilen Sie als Psychologe so ein gesellschaftliches Verhalten mit der Krise?
Ich fand schon eindrucksvoll, wie diszipliniert  die Bevölkerung anfangs mit den Beschränkungen umgegangen ist.  Es war fast eine Art Euphorie zu spüren, wie toll wir das nicht alle machen, wie die Zahlen sinken. Mit den Lockerungen merkt man nun, dass viele an die Grenze ihrer Selbstbeherrschung angelangt sind und sich austoben müssen.

Es stimmt also, dass außergewöhnliche Situationen das Beste ebenso wie das Schlechteste im Menschen zum Vorschein bringen?
Das ist ein wenig pathetisch ausgedrückt, aber im Prinzip ist es so. Unter Stress verlieren wir Stück für Stück unsere Fassade, unsere Gefühle und Ängste werden sichtbar. Erinnern wir uns an die Hamsterkäufe  – da wurden schnell  gute Manieren über Bord geworfen. 

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