So ist Studieren online
Mein Kurs beginnt spätabends und vielleicht auch deswegen mit einem gewöhnungsbedürftigen Gedanken: Ich könnte auch jemand ganz anders sein – und niemand würde es merken. Vor der ersten Einheit von Doing Journalism with Data habe ich mit niemandem beim European Journalism Centre persönlich gesprochen oder telefoniert, auch keine personalisierte eMail erhalten. Ausschreibung, Anmeldung, Einschreibung – alles läuft per Massenmail und Online-Formular.
Zumindest bekomme ich jetzt den ersten Lektor zu Gesicht: Jede Einheit startet mit einem zehn bis zwanzigminütigem Video, danach gibt es ein kleines Multiple-Choice-Quiz, Übungsaufgaben und Internet-Leselisten zum Vertiefen.
Klick und Stopp
Der erste große – vielleicht der große – Vorteil eines Online-Kurses macht sich nach zwei Minuten bemerkbar: Die Einführung ist so grundlegend, dass ich sie getrost überspringen kann. In einem echten Hörsaal hätte ich jetzt die unangenehme Wahl, Zeit abzusitzen oder mich gleich zum Start der allerersten Lektion rauszuschleichen.
So aber klicke ich einfach auf Stopp – und starte Lektion zwei. Und weil die interessant ist, folgen rund um Mitternacht noch die Nummern drei, vier und fünf – und die (planmäßig) erste Woche ist an einem Abend so gut wie erledigt. Der eigene Rhythmus stellt sich in den nächsten Kurs-Wochen noch als zweischneidige Sache heraus: Super praktisch, wenn man gerade viel zu arbeiten und keine Zeit hat – oder sich freie Abende und Motivation günstig bündeln. Unpraktisch, wenn Zeit und/oder Lust fehlen – da wären dann vorgegebenen Vorlesungszeiten praktisch und auch der sanfte Gruppendruck von Kommilitonen und Professoren, die einen im Hörsaal erwarten.
Im eigenen Tempo
Davon abgesehen ist das Lernen mit Videos sehr effizient: Erklären lassen – stoppen – das Erklärte selbst probieren – noch mal zurück – noch mal probieren – weiter im Video ... im eigenen Tempo bleiben gefühlt mehr Dinge hängen und weniger Fragen offen. Und wenn der Lektor nuschelt, hat man mit einem Klick Untertitel ...
Was trotzdem abgeht: Sich mit den anderen Studenten live auszutauschen – dafür sind die Online-Foren zum Kurs zu schnell zu voll und zu unübersichtlich. Das klassische "Lass’ mich mal bei dir schauen, bei mir hat’s grad nicht funktioniert" funktioniert unkomplizierter, wenn man nicht nur virtuell miteinander in einer Klasse sitzt.
Zeugnis per eMail
Nach fünf Wochen weiß ich einiges mehr über Excel-Kniffe und Datenjournalismus – und so gut wie nichts über all die anderen, die den Kurs gleichzeitig absolviert haben. Ein letztes Online-Quiz, dann die automatisch generierte gute Nachricht: Ich habe bestanden. Mein Zeugnis kommt ein paar Tage später – per eMail, als PDF-Datei.
In den USA startet gerade die erste Online-Eliteuni, doch Minerva ist ein Projekt mit unsicherem Ausgang. Niemand weiß, wie so ein Abschluss am Arbeitsmarkt ankommt.
Österreichische Arbeitgeber reagieren immer besser auf Fernstudien im Lebenslauf. „Progressive Unternehmen, die auch offen für neue Medien sind, sehen Fernstudien durchwegs als gleichwertig an“, sagt Reinhilde Hört-Hehemann von der Trigon Entwicklungsberatung. Denn sie lassen den Schluss zu, dass Absolventen einen hohen Grad an Selbstorganisation mitbringen. Hört-Hehemann: „Fernstudenten haben einen anderen Zugang zum Lernen, weg vom klassischen Nachproduzieren. Lernen bekommt einen innovativen Aspekt.“
Qualität muss sein Voraussetzung für Arbeitgeber: Das Programm ist hochwertig und wird von einer angesehenen Universität angeboten. „Es macht einen Unterschied, ob ich ein Fernstudium in Oxford oder in Pinkafeld absolviere“, so Constanze Hill von HILL Management OÖ . Und es kommt darauf an, das Fernstudium richtig zu verkaufen: „Ein Fernstudium lässt sich wunderbar à la ‚Ich wollte meinen Arbeitgeber nicht belasten und habe in meiner Freizeit online studiert‘ argumentieren“, rät Hill.
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