Sinnforscherin: "Jede Arbeit ist bedeutsam"

Sinnforscherin Tatjana Schnell: „Arbeit muss nicht unbedingt den Lebenssinn geben. Wichtig ist nur, dass sie ihn nicht zerstört“
Forscherin Tatjana Schnell erklärt, warum die Putzfrau glücklicher als der Manager ist.

Wenn wir dem, was wir tun, keinen inneren Sinn geben, dann wird es funktional. Und wenn es funktional wird, dann wird es mechanisch. Dann degradieren wir uns zu einer Maschine." Paul J. Kohtes, Zen- undManagementtrainerTatjana Schnell sucht den Sinn. Und zwar beruflich. Die Psychologin forscht an der Universität Innsbruck über Lebenssinn und Sinn in der Arbeit.

KURIER: Frau Schnell, worin sehen Sie den Sinn in Ihrer Arbeit?

Tatjana Schnell: Ich beschäftige mich mit einem Thema, das mich immer schon interessiert hat. Ich habe Gestaltungsmöglichkeiten, kann mit meiner Forschung etwas verändern.

Ist die Suche nach dem Sinn im Job nicht Ausdruck unserer Wohlstandsgesellschaft – weil wir keine anderen Sorgen haben?

Ich glaube nicht, dass Sinn als Luxusprodukt anzusehen ist, sondern: Die Sinnsuche wird wichtiger, weil die Arbeit ihren Sinn verloren hat. Die Leute wissen nicht mehr, warum sie arbeiten. In Entwicklungsländern wird die Sinnfrage nicht gestellt, weil der Sinn offensichtlich ist. In unserer heutigen Gesellschaft steht immer weniger im Vordergrund, was man warum tut und das gut zu machen, sondern vielmehr, immer mehr davon zu verkaufen.

Sie sagen, Sinn fördert Engagement und Motivation. Inwiefern?

Der US-Forscher Adam Grant führte ein Experiment mit Mitarbeitern in einem Call Center durch, die Spenden für Studierende eintrieben. Die erste Gruppe arbeitete wie immer, die zweite Gruppe bekam Briefe von zwei Ex-Mitarbeitern, die schrieben, der Job war gut für ihre Karriere. Die dritte erhielt Briefe von zwei Uni-Absolventen, die sich durch die Spenden ihr Studium finanzieren konnten. Bei den ersten beiden Gruppen blieb die Leistung konstant, die dritte aber warb um 140 Prozent mehr an Spenden ein – weil sie wusste, warum sie tut, was sie tut. Das lässt sich auf viele Arbeitsbereiche umlegen. In Verwaltung oder Akkordarbeit haben viele Leute das Gefühl, sie machen etwas Sinnloses.

Was gibt unserer Arbeit Sinn?

Erstens Kohärenz: Das, was ich tue, passt zu meiner Identität und dem, wie ich mich in anderen Lebensbereichen verhalte. Zweitens die Zielorientierung: Gehen Job und Unternehmen in eine Richtung, die meinen Werten entspricht? Drittens ist die Bedeutsamkeit der Tätigkeit sehr wichtig: Hat die Arbeit für andere Menschen positive Konsequenzen, ist das unglaublich sinnstiftend. Viertens die Zugehörigkeit: Fühle ich mich als Teil des größeren Ganzen? Gerade im Lowcost-Bereich sind Mitarbeiter austauschbar. Ist die Zugehörigkeit dahin, wird der Job als sinnlos erlebt.

Ist die Sinnsuche nicht ein Privileg der Hochqualifizierten? Eine Frau, die putzen geht, um ihre Kinder zu ernähren, fragt wohl nicht groß nach dem Sinn ihres Tuns.

Studien zeigen, dass nicht nur in Akademikerjobs Sinn wichtig ist. Ihn kann ich auch beim Putzen haben, weil ich Müll entsorge, damit andere Menschen sich bei ihrer Arbeit konzentrieren können. Unsere Putzfrau ist oft besser drauf als so manche Kollegen (lacht). Wenn ich den Leuten möglichst viele Versicherungen andrehe, die sie gar nicht brauchen, wird es schwieriger. Dann kommt es zu Gewissenskonflikten.

Wie subjektiv ist die Sinnfindung?

Sinn ist etwas Existenzielles, Subjektives. Doch jede Arbeit – den Artikel schreiben, das Klo putzen – tut man für die Gesellschaft. Alles ist bedeutsam – diese Erkenntnis ist in vielen Bereichen verloren gegangen.

Wenn ich in meinem Job zu wenig Sinn sehe, was kann ich tun? Die innere Einstellung ändern?

Ich will niemandem dazu raten, sich zu verbiegen. Oft machen es einem auch die Arbeitsbedingungen schwer. Kann man seine Ideale nicht ausleben oder hat man große Gewissensbisse, sollte man sich nach einem anderen Job umschauen. Ist ein Jobwechsel nicht möglich, kann man sich ehrenamtlich engagieren und so den fehlenden Sinn kompensieren. Die Arbeit muss nicht unbedingt den Lebenssinn geben. Wichtig ist nur, dass sie ihn nicht zerstört.

Die Frage nach dem Sinn zu beantworten ist Aufgabe der Manager?

Ich sehe Manager nicht als die neuen Sinnstifter. Aber sie können Bedingungen für die vier Sinnkriterien schaffen: die richtigen Menschen einstellen, Zugehörigkeit für Mitarbeiter stärken und Orientierung etwa mit Leitbildern geben. Das ist auch gefährlich: Der schlimmste Sinnzerstörer ist, wenn Unternehmen sich Werte auf die Fahnen heften, die sie nicht leben.

Worin unterscheiden sich Frauen und Männer bei der Sinnfindung?

Männer suchen eher Sinn in ihrem Beruf – über Selbstverwirklichung, Leistung und Macht. Frauen legen eher Wert auf das Wir- und Wohlgefühl, wollen Beziehungen pflegen. Sie kommen nicht nur wegen der "Gläsernen Decke" nicht in Führungspositionen, sondern weil sie Macht nicht so stark wollen.

Führt ständiges Hinterfragen und Streben nach mehr Sinn nicht auch zu mehr Unzufriedenheit?

Die Sinnfrage stellt man selten freiwillig, sondern, wenn ein Sinnbruch passiert – man nicht vorankommt, in einer Position gelandet ist, in die man gar nicht wollte. Wenn wir merken, dass etwas sinnlos ist, ist das unangenehm. In unserer Gesellschaft muss man sich die Zeit für solche existenziellen Fragen freischaufeln. Dazu braucht es einen gewissen Leidensdruck.

Wie sieht es mit der Sinnfrage bei den Managern aus?

Zwei Drittel der Topmanager vermissen Sinn im Job – wie etwa gut zu führen. Wenn ich Mitarbeiter entlasse, weil ich Kosten senken muss, steht der Sinn nicht im Vordergrund, sondern das Überleben am Markt.

Wozu raten Sie bei der Sinnsuche?

Jeder sollte sich fragen: Was sind meine Ideale, Visionen? Widersprechen sie dem, was ich tue? Kennt man seine Ziele und Werte, kann man zu vielem Nein sagen.

Tatjana Schnell leitet als Assoziierte Professorin die Empirische Sinnforschung an der Universität Innsbruck. Seit 2005 ist sie Persönlichkeits- und Differenzielle Psychologin an der Universität Innsbruck. Nach ihrem Studium in Göttingen, London, Heidelberg und Cambridge (UK) promovierte sie an der Universität Trier zum Thema Lebenssinn. Sie veröffentlichte diverse Artikel in internationalen Fachzeitschriften.
Auf www.sinnforschung.org berichtet sie über Forschungsergebnisse. Dort findet sich für Interessierte ein Leitfaden zur Reflexion über den Lebenssinn (unter„Mein Lebenssinn“).

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