Signore Nutella wider Willen
Als Michele Ferrero 1946 das Familienunternehmen seines Vaters Pietro, einem Konditor, in Alba bei Turin im Alter von 33 Jahren übernimmt, ist der Grundstein für das heutige Schokolade-Imperium bereits gelegt. Denn Pietro hatte in den 1940er-Jahren die Idee, bei der Herstellung einer süßen Streichcreme die teure Schokolade durch billigere Haselnüsse zu ersetzen. Dies war der Beginn des Aufstrichs, der 1964 den Namen Nutella erhielt. Michele allerdings war es, der das Unternehmen zu einem international agierendem Konzern machte und damit zum reichsten Mann Italiens mit einem Vermögen von 23 Milliarden Euro wurde. 1997 tritt der ältere Sohn Pietro, Biologe und Finanzspezialist, der Tradition folgend in die Fußstapfen des Vaters. Doch seine Ära an der Spitze des Konzerns ist kurz. Der Radsportler verunglückt im April 2011 bei einer Trainingsfahrt in Südafrika. Nun ist die Nachfolge wieder offen. "Entweder der Vater öffnet sich für ein externes Management oder er verkauft das Unternehmen", heißt es in Finanzkreisen. Denn der Seniorchef hat sich zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, der jüngere Sohn Giovanni kümmerte sich um das Marketing der Gruppe von Brüssel aus, für ihn war die Nachfolge nie ein Thema. Als der Patriarch im Februar 2015 mit 89 Jahren stirbt, ist Giovanni plötzlich allein. Er ist verantwortlich für den Süßwarenkonzern – und muss ein Erbe antreten, für das er nie vorgesehen war.
Romancier in jungen Jahren
Er ist in Brüssel aufgewachsen, hat gute Schulen besucht, in den USA Betriebswirtschaft studiert und sich in Pennsylvania auf Marketing spezialisiert. Doch er ist ein Schöngeist und schreibt nach dem Studium lieber Romane. Beim Mailänder Verlag Mondadori hat er drei Romane veröffentlicht. In "Der Gesang der Schmetterlinge" etwa schildert er die Erfahrungen der Ballerina Emma, die in Südafrika die wahre Liebe findet. In "Das Chamäleon" erzählt er die Geschichte eines Pariser Unternehmers, der einen Nachfolger für sein Firmenerbe sucht. Passt genau.
Seinen ersten öffentlichen Auftritt als Ferrero-Chef hat er im Mai 2015 gemeinsam mit seiner Frau Paola, die für die EU-Kommission arbeitet. Auf der Expo in Mailand weiht Giovanni den Ferrero-Pavillon ein, einen bunten Spielplatz, der für Gesundheit und Fitness steht. Mit leiser Stimme trägt er seine Botschaft vor, der französische Akzent ist nicht zu überhören. Die Linie, die er vorgibt: "Kein Raubtierkapitalismus, sondern Corporate Social Responsibility", soziale Aspekte seien wichtiger als Profit.
Kampfansage an Mitbewerber
Der neue Chef, dessen Firma es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einem weltweiten Programm Kinder zu Bewegung zu motivieren, joggt selbst gerne. Der gläubige Katholik fiebert für den Fußballklub Juventus Turin. Als nach dem Tod seines Vaters Übernahmegerüchte aufkeimen, stellt er klar, dass der Konzern nicht zum Verkauf steht. Wie zur Bestätigung dieser Aussage übernimmt Ferrero im März 2015 Oltan, das führende türkische Unternehmen für Haselnussverarbeitung und im August den britischen Schokoladeproduzenten Thorntons um 157 Millionen Euro, eine Kampfansage an alle Mitbewerber und ein klarer Strategiewechsel. Während sein Vater vor allem auf Produktinnovationen setzte, darunter Ferrero Rocher, Raffaello, Kinderschokolade, Milch-Schnitte, Hanuta, Kinder-Überraschungseier, Mon Chérie, Duplo, Tic-Tac, will Giovanni durch Übernahmen wachsen. In den nächsten Jahren plant er, außerhalb Europas zu expandieren und neue Märkte in Asien und Lateinamerika zu erschließen. Auch die Eigenproduktion von Rohstoffen wird erwogen. Ein Börsegang sei hingegen kein Thema, betont er.
Der drittgrößter Schokoladenhersteller der Welt feiert heuer seinen 70. Geburtstag. In elf Produktionsstätten werden jährlich 365.000 Tonnen Nutella hergestellt und in 160 Ländern verkauft, der Umsatz lag 2015 bei 9,5 Milliarden Euro. Giovanni ist mit einem Vermögen von 21,4 Mrd. Euro im Ranking der reichsten Europäer auf Rang 6. Wie die gesamte Familie scheut auch er weiterhin die Öffentlichkeit, gibt keine Interviews, es existieren kaum Fotos. Giovanni Ferrero ist verheiratet und hat zwei Söhne, so viel ist bekannt. Diese könnten dafür sorgen, dass der Konzern auch in Zukunft in der Hand der Familie verbleibt. Bis es jedoch so weit ist, muss Giovanni erst beweisen, dass er das Unternehmen auch führen kann.
Kommentare