Sein Job liegt in der Frauendomäne

Sein Job liegt in der Frauendomäne
Gläserner Aufzug statt Gläserne Decke: In Sozialberufen steigen Männer schnell  auf – trotzdem sind sie rar

Das kleine Mädchen gluckst fröhlich, als der Mann den Ball auf es zurollen lässt. Ein Vater, der mit seinem Kind spielt? Nein. Tatsächlich macht Hannes Edelsbrunner gerade seinen Job. Als Tagesvater betreut er Kinder im Alter von elf Monaten bis zweieinhalb Jahren.

Stephan Resl, Vater der kleinen Victoria, hatte anfangs Bedenken, sein Kind einem Tagesvater zu überantworten. „Latente Vorurteile waren vorhanden, aber wir haben dringend eine Betreuung in unserem Bezirk gesucht“, sagt der Wiener. Auch das Umfeld riet vom – selbst kinderlosen – Tagesvater ab. Ob ein Mann das kann? „Das ging bis zum Vorurteil der Pädophilie“, sagt Resl. Heute ist er froh über die Entscheidung. Kleinkinder würden ohnehin stark von Frauen geprägt, ein Geschlechtermix sei wichtig. „Und Hannes macht seinen Beruf mit soviel Liebe und Interesse.“

Hannes Edelsbrunner ist einer von wenigen. In der Berufssparte Kleinkindbetreuung beträgt der Männeranteil lediglich 1,6 Prozent. Gerade hier und in der Jugendarbeit wird händeringend nach Männern gesucht – weil den Kindern männliche Bezugspersonen fehlen. Auch im Pflegebereich – mit einem Männeranteil von 13 Prozent – wünscht man sich mehr männliche Pflegekräfte, sagt Esmir Kavazovic, Pflegemanager des Wiener Hilfswerks: „Frauen und Männer ergänzen sich in gemischten Teams sehr gut, das hat Vorteile für die Klienten.“

Klischee wählt Beruf

Burschen und Männer für Sozialberufe zu begeistern, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen. Denn die Klischees in ihren Köpfen entscheiden über den Beruf. So finden sich die meisten Burschen in typisch männlichen Berufen wie Kfz-Mechaniker, Installateur, Elektrotechniker, Koch und Maschinenbautechniker.

Der Boys Day des Sozialministeriums am 7. November will das ändern. Seit dem Jahr 2008 versucht man, Burschen für Sozialberufe zu begeistern. 3500 Teilnehmer waren es im Vorjahr, der Schwerpunkt liegt auf Pflege und Erziehung. „Das sind keine ,coolen Männerberufe‘ – mit dieser Einstellung stehen die Burschen sich aber selbst im Weg“, sagt Johannes Berchtold, als Leiter der Männerpolitischen Grundsatzabteilung im Sozialministerium für den Aktionstag zuständig. In Workshops arbeiten Berater mit den Jugendlichen am Männerbild. Es gehe nicht darum, mit den Mädchen gleichzuziehen. „Im Sozialbereich sind die Burschen mit ihren Stärken gefragt“, sagt Berchtold.

Laut Männerbericht 2012 meiden Burschen „frauenspezifische“ Berufe auch deshalb, weil sie sich viel stärker an Status und Geld orientieren. Hohe Einkommen und Anerkennung sucht man in den Frauendomänen aber vergebens. Die Gehälter zu erhöhen, würde aber nicht automatisch mehr Männer bringen, meint Berchtold: „Viele Männer üben Berufe aus, die nicht besser bezahlt sind.“

Männerforscher Paul Scheibelhofer identifiziert ein vorherrschendes gesellschaftliches Prinzip als Hauptproblem für den Männermangel: die Unterscheidung der Arbeit in wertvolle Männerarbeit und weniger wertvolle Frauenarbeit. „Wenn man in einer Firma arbeitet, die die Umwelt zerstört, ist man angesehener als wenn man in der Altenpflege Knochenarbeit leistet.“ Die Gesellschaft müsse umdenken: „Es braucht Professionalisierung und Wertschätzung für Sozialberufe, die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden.“

Schnell nach oben

Anders als Frauen in den Männerdomänen, die von männlichen Seilschaften geprägt sind, müssten Männer in den Frauendomänen sich nicht nach oben kämpfen, sagt der Forscher. Statt der „gläsernen Decke“ gebe es hier den „gläsernen Aufzug“: Die Tendenz, dass ein Mann sich um typisch männliche Aufgaben kümmert, organisiert und Entscheidungen trifft, führe dazu, dass er schnell in der Hierarchie aufsteige. Das Ergebnis: Die Führungskräfte sind häufig Männer. „Daher braucht es keine Männerförderung, sondern neue Männerbilder“, resümiert Scheibelhofer. Einerseits würde den Männern für den Sozialberuf wichtige Eigenschaften wie Empathie und Fürsorglichkeit häufig abgesprochen. Andererseits sei ein rein „männlicher“ Blick im Job fehl am Platz: „Ein Kind, einen alten Menschen möglichst effizient durch den Tag begleiten, das geht nicht.“

Ohne Vladimir Putin wäre aus dem angehenden Anwalt kein Tagesvater geworden. Hannes Edelsbrunner hatte seinen Job in einer Grazer Kanzlei gekündigt, seine Frau sollte Kulturattache in Moskau werden. Daraus wurde nichts, wegen bilateraler Spannungen. Das Paar übersiedelte nach Wien, Edelsbrunner entschied sich gegen die Anwaltei: „Ich konnte im Job nie abschalten, hätte ein Magengeschwür bekommen.“

Das Motiv Im Internet stieß der 43-Jährige auf den Beruf des Tagesvater. Edelsbrunner hat selbst keine Kinder, daher ist „Acht Stunden Arbeit und Kinder ohne durchwachte Nächte“ ein guter Deal. In der Ausbildung war er unter 20 Teilnehmern der einzige Mann, „daran gewöhnt man sich“. Vor zwei Jahren begann er über den Verein „Eltern für Kinder“, Kleinstkinder zu betreuen. Dass das Monatsgehalt von 1400 Euro netto moderat ist, war ihm „wurscht“, „ich wollte Lebensqualität und Freude am Job.“

Die Reaktionen Von den Klienten hört Edelsbrunner nichts Negatives, „es kommen nur die zu mir, die sich das vorstellen können“. Privat würden vor allem Frauen positiv auf seinen Beruf reagieren, ein Bekannter nannte ihn abfällig „Babysitter“. Hauptsache sei: „Den Kindern ist es egal, dass ich ein Mann bin.“

Roman Koppon ist für viele seiner Klienten das Highlight des Tages. Der Pflegehelfer arbeitet seit 18 Jahren in dem Beruf, seit zehn Jahren ist er beim Wiener Hilfswerk beschäftigt. Fünf bis sechs Klienten betreut er täglich mit der mobilen Hauskrankenpflege, manchmal auch zehn – im Alter von 21 bis 93 Jahren. Er gibt ihnen zu essen, die tägliche Insulinspritze, er wäscht sie. Und das mit „Witz und Schmäh“, wie er sagt.

Das Motiv Gelernt hat Koppon den Beruf des Einzelhandels- kaufmanns, arbeitete im Textilhandel. Er ließ sich vom AMS beraten, machte einen Berufsorientierungstest. Damals wurde ihm geraten, in den Sozialbereich einzusteigen. Er wollte mehr Kontakt zu Menschen, entschied sich für die Ausbildung zum Pflegehelfer. „Im Praktikum war es dann doch ein Schock, Menschen zu pflegen“, meint der 41-Jährige. Der Männeranteil in der mobilen Hauskrankenpflege beträgt beim Wiener Hilfswerk etwa zehn Prozent. Damals gab es nur vereinzelt männliche Pfleger, das habe sich inzwischen etwas geändert, sagt Koppon. Sein Beruf gibt ihm heute mehr als der Verkauf von Hemden damals: „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man sieht, wie glücklich die Menschen sind, wenn ich dort bin. Viele sind allein, freuen sich auf mich“, sagt er. Als belastend empfindet er seinen Job nicht: „Ich sehe meine Arbeit nicht als Arbeit, ich habe immer Spaß daran, den Menschen zu helfen.“ Wichtig sei, „ein Feeling für die Menschen zu haben, offen und ehrlich zu sein.“

Die Reaktionen Als Koppon seine Berufswahl verkündete, reagierten die Freunde mit Erstaunen: „Sie haben gemeint, sie könnten das nicht, das wäre ihnen zu grauslich. Es ist anfangs auch nicht einfach, aber man gewöhnt sich daran.“ Die Klientinnen hätten anfangs Berührungsängste, weil ein Mann sie waschen soll. Koppon: „Die Barrieren lösen sich aber schnell auf.“

Mit 15 war für Thomas Bradac klar: Er wollte als Bürokaufmann arbeiten. „Handwerkerjobs haben mich nie interessiert“, erzählt der 23-Jährige.

Das Motiv Bradac wollte einen Job, in dem er verschiedene Abteilungen und Branchen kennenlernen konnte, einen Beruf, „in dem ich mich weiterentwickeln kann.“ Hunderte Bewerbungen schickte er ab, bis es mit der Lehre als Bürokaufmann beim Fonds für Soziales Wien klappte. Heute arbeitet er in der Personalabteilung des AKH Wien, ist für Administration im Bereich Personelle Sonderaufgaben zuständig. Zehn der ca. 40 Mitarbeiter in der Personalabteilung sind Männer, in seinem Bereich ist Bradac der einzige Mann neben vier Frauen. Dass er in einer Frauendomäne arbeitet, war für ihn nie ein Problem: „Es gibt immer mehr Bürokaufmänner.“ Dass man in harten Männerjobs mehr verdient, sei zwar evident, meint Bradac. Er könne sich aber immer noch beruflich weiterentwickeln und so sein Gehalt erhöhen. Bradac glaubt auch, dass gemischte Teams besser funktionieren als reine Frauen- oder Männerteams. Er bringe männliche Sichtweisen ins Team ein: „Ich gehe gelassen und ruhig an die Dinge heran.“

Die Reaktionen Vom Bruder, einem Installateur, und von Freunden hörte er schon lästernde Bemerkungen. „Mir ist das egal“, sagt er. „Ich will in dem Beruf arbeiten, der mich glücklich macht.“

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