"Schauspieler werden wollte ich nie"

Murathan Muslu wurde von Umut Dağ - damals Regiestudent - entdeckt
Murathan Muslu schaffte es vom Bauarbeiter zum gefragten Schauspieler.

Er erscheint im Innenhof des Wohnbaus. Groß, trainiert, mit Undercut und zwei Pistolen aus der Requisite in Händen sieht Murathan Muslu mehr aus wie ein Gangster als ein Polizist. Hier, mitten in seiner Heimat Wien-Ottakring, wird die vierte Staffel der ORF-Serie "Cop Stories" gedreht. Muslu steht seit mehr als einem Jahr als Polizist Itchy vor der Kamera – gemeinsam mit Serge Falck: "Den kenn ich vom Fernsehen, seit ich ein kleiner Kacker war", sagt Muslu. Für die Rolle des geläuterten Totschlägers Ertan in Umut Dağs Kinofilm "Risse im Beton" gewann er heuer den Österreichischen Filmpreis und den Diagonale Schauspielpreis. Vor zweieinhalb Jahren arbeitete das Kind türkischer Einwanderer noch am Bau als Installateurs-Gehilfe. Wie es zum ungewöhnlichen Berufswechsel kam und warum er sich nicht als Schauspieler fühlt, erzählt der 33-Jährige im Interview.

KURIER: Früher Bauarbeiter, jetzt Schauspieler – haben Sie das Gefühl, aufgestiegen zu sein?Murathan Muslu:Ich war Hilfsarbeiter, Installateur. Finanziell und beruflich gesehen ist es ein Aufstieg. Außerdem macht die Arbeit unglaublich viel Spaß.

Wie sind Sie denn am Bau gelandet?

Ich habe mich immer mehr in die Musik (Anm.: Er rappte in der Gruppe Sua Kaan.) reingefreakt, musste meine Miete bezahlen. Die meisten in meiner Umgebung waren am Bau.

Wann gaben Sie den Baujob auf?

Ein, zwei Monate vor dem Dreh zu "Risse in Beton", um mich vorzubereiten.

Sie lernten Regisseur Umut Dağ – damals noch Haneke-Schüler an der Filmakademie – kennen, als Sie Rapper waren.

Ich komme ins Home Studio und der Umut liegt auf meiner Couch. Ein Kumpel hatte uns connected. Er machte dann eine Doku über unsere Band Sua Kaan. Ein Jahr später fragte er mich, ob ich in seinem Abschlussfilm "Papa" mitspiele. Ich dachte nur: Er hat für uns gratis Musikvideos gemacht, ich will ihm helfen. Der Dreh war Jux und Spaß. Dann gewann der Film Preise.

Dachten Sie, dass Sie Talent haben?

Ja, aber ich hab mir nie gedacht, dass ich mal in einer österreichweiten Serie mitspiele.

War Schauspieler Ihr Berufswunsch als Kind oder Jugendlicher?

Nie. Ich habe 600 VHS-Kassetten, habe früher die Schule geschwänzt, um mir Filme anzuschauen. Ich wollte Fußballer werden und hab bei der Wiener Auswahl gespielt, mich aber verletzt. Dann wollte ich Wirtschaft studieren. Das ist heute noch Thema, aber ich komm nie dazu. Vielleicht mit 40.

Was haben Freunde und Familie damals zum Berufswechsel gesagt?

Ich habe den Freunden erzählt, ich spiele in einem Film mit. Die sagten, cool, und dann redeten wir über andere Dinge.

Am Bau und am Set – zwei völlig verschiedene Arbeitsumgebungen. Woran mussten Sie sich gewöhnen?

Dass die Leute beim Film so nett sind. Ich dachte, alles ist ernst. Auf der Baustelle kommt der Chef, sagt, ,Mach das‘ und geht weg. Der Ton ist rauer.

Sie besitzen Ihr altes Baustellenhandy, um am Boden zu bleiben.

Wenn es mit dem Schauspielen nicht klappt, geh ich zurück auf den Bau – dann muss ich mein Handy nicht wechseln. Ich sehe, dass vielen Schauspieler bange ist, dass sie nächstes Jahr keinen Job haben.

Seit wann können Sie vom Schauspiel leben?

Wohl seit "Risse in Beton". Nach der Berlinale 2014 hatte ich mehr Kontakt zum Agenten, es kamen mehr Angebote rein.

Wie hat sich Ihr Leben seit diesem Film sonst noch verändert?

Gar nicht. Ich habe mich sehr über den Filmpreis gefreut, hab ihn mir am nächsten Tag angeschaut und war schon ein bisschen stolz. Aber am übernächsten Tag war das vorbei. Erst mit dem nächsten Preis würde ich sagen: Ich bin Schauspieler.

Sie sehen sich nicht als solcher?

Ich würde gern noch eine andere, schwierige Rolle spielen. Wenn die Leute sagen, das ist gut, dann bin ich Schauspieler. Ich kriege viele Angebote, aber ich bin noch am Anfang, da muss man mehr leisten – mit einer Serie ist es nicht getan. Schnell aufsteigen heißt schnell absteigen.

Sie nehmen keinen Schauspielunterricht? Wäre er kontraproduktiv?

Lernen ist nie kontraproduktiv, aber vielleicht würde er mich verfälschen. Auf "Risse im Beton" habe ich mich akribisch vorbereitet, Gesten geübt, neun Kilo zugenommen, mich mit Musik auf die Rolle eingestimmt.

Sie haben als Jugendlicher mehrmals Schulen gewechselt – warum?

Ich konnte mich nicht entscheiden. Ich war in der Tourismusschule, HAK, im Gymnasium. Matura habe ich leider nicht machen können.

Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt es doppelt so viele Schulabbrecher wie bei jenen ohne. Was geben Sie ihnen mit?

Ist das noch immer so schlimm? Ich kann nur sagen: Hört auf euch selber. Und geht in die Schule. Alle meine Kumpels sagen, verdammt, hätte ich die Schule fertig gemacht.

Til Schweiger, mit dem Sie "Tatort" drehten, will ein Flüchtlingsheim gründen. Was sagen Sie dazu?

Finde ich super. Jeder Schauspieler sollte sich engagieren. Je länger die Arme sind, desto leichter kann man anderen helfen, denen es nicht so gut geht.

Was ist Ihr Ziel als Schauspieler?

Dabei zu bleiben mit weniger Jobs, aber dafür mit Wow-Effekt beim Publikum. Ich bin so ein Kunst-Typ, mir ist Qualität wichtiger als Quantität.

Was wäre Ihre Traumrolle?

Ich würde gern quer durch den Gemüsegarten spielen – einen Rocker, einen Junkie, einen Guten, einen lustigen Typen. Ich vertrau mir, dass ich das könnte.

Murathan Muslu wurde 1981 in Wien-Ottakring als Sohn türkischer Einwanderer geboren. Er arbeitete von Jugend an als Installateur und Hilfsarbeiter am Bau.1996 gründete er die Hiphop- Formation Sua Kaan („Wasser und Blut“), 2010 wurde Sua Kaan für das Album „Aus eigener Kraft“ für den Amadeus Music Award nominiert. 2011 spielte Muslu in Umut Dağs Abschlussfilm für die Akademie „Papa“ mit, 2012 in „Kuma – Zweitfrau“. Auch in zwei Tatort-Folgen war er zu sehen. 2014 folgte eine fixe Rolle in der Serie „ Cop Stories“ und sein Durchbruch in Dağs „Risse im Beton“.

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