„Meine Mutter hat einen Schal gestrickt“, lautet der letzte Satz in Sara Webers Biografie. Ein kurioser Abschluss für eine Laufbahn, die beeindruckt. Die Deutsch-Amerikanerin beschäftigt sich seit Jahren mit Arbeitswelten. Damit, wie sie gerechter gestaltet und somit zukunftsfähig werden. Ohne aktuellen Trends blind hinterherzurennen.
Weber schrieb für viele renommierte deutsche Medien: für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, hat mit „ÜberArbeiten“ eine eigene Kolumne im Spiegel. Fünf Jahre arbeitete sie bei LinkedIn. Ihr erstes Buch „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ wurde ein Bestseller. Jetzt legt sie das zweite nach. Eine intensive Auseinandersetzung mit Mensch und Technologie. Und wie diese im Job sinnvoll koexistieren.
KURIER: Sie sagen, die Revolution der Künstlichen Intelligenz kommt zum richtigen Zeitpunkt. Weshalb?
Sara Weber: Wir haben ja gerade einige Probleme in der Arbeitswelt. Eines davon ist, dass Arbeitskräfte fehlen und wir in Deutschland und Österreich dieses Problem aus politischen Gründen nicht über Einwanderung lösen. Zu sagen, dass die Menschen jetzt noch mehr arbeiten sollen, ist schwierig. Denn die Menschen, die arbeiten, sind jetzt schon erschöpft und ausgebrannt. Und wir haben die Herausforderung, dass unser Leben nicht nur aus Erwerbs-, sondern auch aus Sorgearbeit besteht. In Deutschland werden 80 Prozent der Pflegebedürftigen zumindest teilweise von Angehörigen gepflegt. Das funktioniert nicht, wenn alle mehr Erwerbsarbeit leisten. Es braucht also eine andere Lösung. Ich halte Technologie da für einen ganz wichtigen Faktor.
Und doch ist sie kein Wundermittel.
Es gibt viele Studien, wie viel Wirtschaftsleistung und Produktivität aus Künstlicher Intelligenz entstehen kann. Aber ich finde es schwierig, sich auf genaue Zahlen zu berufen, einfach weil wir es nicht wissen. Es ist eine Technologie, die sich wahnsinnig schnell entwickelt. Aber nicht immer in die Richtung, von der wir ausgehen.
Trotzdem halten Sie das Potenzial für groß.
Weil wir jetzt schon so viele Bereiche wissen, in denen wir Technologie einsetzen können. Wir wissen, dass wir repetitive Aufgaben in vielen Fällen automatisieren können. Das sind Kleinigkeiten, die womöglich kein ganzer Job sind, aber stupide Aufgaben, von denen man pro Woche vielleicht mehrere hat. Die lassen sich jetzt schon mit wenig Programmierverständnis abgeben.
Und doch hat man das Gefühl, dass mehr über KI geredet, als tatsächlich in den Betrieben genutzt wird.
Ja und ich glaube, wir reden falsch darüber. Wir sind sehr produktfokussiert, sprechen ganz oft über neue Tools (Werkzeuge, Anm.). Aber es wird kaum nachgedacht, ob diese wirklich sinnvoll sind. Die größere Diskussion wird nicht geführt: Wie wollen wir arbeiten, was ist unser Ziel? Das klingt nach Metaebene, aber die Fragen muss man sich stellen, damit Technologie auch entlastet und produktiver macht. Und KI nicht nur für Prestigeprojekte eingesetzt wird, die niemandem im Unternehmen etwas bringen, nur um dann eine Pressemitteilung zu verschicken.
Müssen neue Anwendungen und Programme nicht von oben implementiert werden?
Das ist oft der Impuls. Aber die Geschäftsführung kennt die Strategie, die großen Projekte. Aber sie weiß oft gar nicht, womit die Leute ihre Zeit verbringen. Das heißt, die eigentliche Expertise, was unnötige Aufgaben sind und was automatisiert werden könnte, liegt bei den Mitarbeitenden. Deswegen ist es wichtig, dass man mit Menschen aus allen Abteilungen spricht, um dann nicht nur die Situation für die Mitarbeitenden zu verbessern, sondern auch Vorteile für das Unternehmen zu schaffen.
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist eine Bäckerei in Rheinland-Pfalz. Man denkt bei KI oft an große Tech-Firmen, aber vielleicht nicht an kleine Handwerksbetriebe auf dem Land. Dort wird durch KI besser und qualitativer produziert und das unter besseren Arbeitsbedingungen.
Wie das?
Indem es ein Programm gibt, das kalkuliert, wie viel und was für die einzelnen Filialen produziert werden muss. Es werden Daten aus den Verkaufszahlen genutzt und Zusatzinfos eingespeist, ob Feiertage oder Ferien anstehen. Dadurch hat man die Möglichkeit, nicht auf die Bestellungen der Filialen warten zu müssen und erst abends die Arbeit des Knetens und Backens zu beginnen. Man weiß jetzt vier Tage im Vorhinein, was gebraucht wird. Die Teige können tagsüber angesetzt werden, sie können ausreichend ruhen, was gut für gut für die Qualität und Bekömmlichkeit ist. Und nur ein ganz kleiner Teil muss nachts backen. Von rund 30 Bäckerinnen und Bäckern und fünf Azubis arbeiten nur fünf nachts. So bekommt die Bäckerei wieder viel mehr Nachwuchs, schließlich ist die Nachtarbeit ein wahnsinniges K.-o.-Kriterium.
Finanziell rechnet sich das wahrscheinlich auch.
Es werden Kosten gespart, weil man tagsüber mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach Strom generieren kann, zielgenauer produziert und somit weniger wegwirft, was auch noch vorteilhaft für die Umwelt ist. Das ist ein Rundumschlag an Nachhaltigkeit, Fürsorge für die Mitarbeitenden und Umsatzziel. Viel besser geht es ja gar nicht.
Aber wird KI nicht häufig auch zu schnell integriert? Beim Kundendienst wäre man heute überrascht, einen echten Menschen auf der anderen Leitung zu haben.
Auf jeden Fall. Zum Teil hat man als Verbraucherin das Gefühl, gar nicht mehr ernstgenommen zu werden. Bei vielen Fragestellungen ist KI ja super. Ein Chatbot genügt, wenn ich etwa ein Formular nicht finde. Aber manchmal hat man komplexe Probleme.
Die dann einfach ungelöst bleiben.
Das hat natürlich damit zu tun, dass ganz viele der Jobs in Callcentern ausgelagert sind, um Kosten zu sparen. Oftmals machen das externe Unternehmen, die sich im Ausland befinden. Sie sind nicht beim Unternehmen angestellt, haben dann auch weniger Zugriff auf Daten. Ich würde mir wünschen, dass man ganzheitlicher darüber nachdenkt. Vielleicht braucht es durch die KI kein so großes Team mehr im Callcenter. Aber vielleicht macht es Sinn, die wenigen Mitarbeiter für komplexere Aufgaben wieder ins Haus reinzuholen.
Nicht nur im Kundendienst werden Mitarbeiter ersetzt, auch im Management. Manche Firmen werben sogar mit KI-CEOs. Geht das Zeitalter des Managements zu Ende?
Das bleibt eine Marketing-Geschichte, weil zu viele strategische Entscheidungen, die zu treffen sind, auch rechtssicher sein müssen. Oder wer übernimmt die Verantwortung, wenn etwas schiefgeht? Da wird man nicht „die KI“ sagen können. Aber die Frage ist natürlich schon, was die Rolle von Management ist. Ist sie, platt gesagt, nur nach unten hin Aufträge zu verteilen und nach oben hin zu berichten, kann das auch die Technologie übernehmen. Das ist keine schöne Arbeitswelt und hätte viel mit Überwachung und Kontrolle zu tun. Aber wir sehen, dass das zum Teil schon passiert. Etwa bei Lieferdiensten. Da hakt man ab, wenn ein Auftrag erfüllt ist, und kriegt den nächsten zugewiesen.
Ein mittleres Management, wo das Menschliche im Vordergrund steht, wird viel wichtiger. Aber die Frage ist natürlich: Wie viele Menschen braucht man, wenn das Delegieren und Berichten wegfällt?
Neigen wir trotzdem dazu, die Fähigkeiten der KI zu überschätzen? Oder dürfen wir groß träumen, weil die Technologie noch so neu ist (siehe Rückblick unten)?
Wir dürfen groß träumen. In manchen Bereichen ist die Technologie schon so gut und könnte mehr, als wir ihr zutrauen. Aber wir tun oft so, als wäre nur die Technologie fehlerhaft. Und alles, was wir Menschen abliefern, ist das Beste vom Besten. Das stimmt einfach nicht. Wenn man ehrlich ist, haben wir alle Dinge schon halbherzig gemacht. Wir unterschätzen also die Technologie, aber überschätzen uns selbst.
Wo sehen Sie jetzt den Auftrag an die Arbeitswelt?
Ich glaube, dass wir das Potenzial haben, die Technologie und diesen Umbruch zu nutzen, besonders in Hinblick auf den Arbeitskräftemangel. Wir haben die Chance, mit sogenannten Bullshit-Jobs, von denen manche, böse gesagt, vielleicht nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind, rigoros aufzuräumen. Indem wir Technologie als Werkzeug nutzen, um uns selbst Freiräume zu schaffen. Für das, was wir besser können als Maschinen. Und von dem wir wollen, dass Menschen diese Arbeit machen. Das ist letztlich eine gesellschaftliche Frage.
Rückblick:
Künstliche Intelligenz: Gekommen, um zu bleiben
Am 30. November 2022 ging der Chatbot von OpenAI, auch bekannt als ChatGPT, live. Während ihn manche bis heute nicht ausprobiert haben, stürzten sich andere direkt darauf. Auch um Späßchen wie dem Papst in der Daunenjacke nicht selbst auf den Leim zu gehen.
Journalisten veröffentlichten (mit Warnhinweis und nur zum Spaß) Artikel, die von der KI geschrieben wurden. Schüler und Studierende testeten (sicher auch nur zum Spaß), ob sich Referate oder Seminararbeiten auch mit weniger Aufwand schreiben lassen. Das verursachte Hype und Panik gleichermaßen. Beide sind geblieben, der Chatbot auch. 200 Millionen Menschen nutzen heute den flinken Assistenten.
Dass das nicht alles ist, was die KI kann, beweisen unzählige Anwendungen, die längst in der Lebens- und Arbeitswelt angekommen sind. Es beginnt beim Staubsauger, von dem die Nachbarin erzählt und der einem plötzlich als Werbung am Handy angezeigt wird und führt bis zum Einsatz komplexer Robotik in der Medizin oder Industrie.
Wie groß die Revolution noch werden kann, ist die große Frage. Klar ist: Investoren und Tech-Firmen sehen viel Potenzial, auch wenn das erhoffte Geschäft bislang ausbleibt. Ob KI aber tatsächlich die Welt auf den Kopf stellt oder nur die bestehende Technik wie das Internet ergänzt, wird sich zeigen.
Fakt ist, dass KI auch hierzulande Fahrt aufnimmt. 52 Prozent der Österreicher sollen in den vergangenen zwölf Monaten KI beruflich verwendet haben, erhebt eine neue PwC-Studie. Und die Hoffnungen sind groß: 95 Prozent der Nutzer glauben, dass sich ihre Arbeit verbessern wird. Dass sie effizienter und kreativer wird. Und damit sogar Löhne und Gehälter steigen. Auch interessant: 78 Prozent fühlen sich bereit, es mit der neuen Technologie aufzunehmen. Und sich an neue Arbeitsweisen anzupassen.
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